Markus Söder hat es doch tatsächlich fertiggebracht, die alte Feindschaft zwischen Bayern und Tirol aufs „Allerschönste“ in allen Facetten der Vorurteile wieder zum Leben zu erwecken. Sind seine Äußerungen schon daneben – ein Ischgl ist genug, die Wiener Regierung macht es gut, aber die Tiroler lässt Ernsthaftigkeit vermissen – , ist sein Ton ganz und gar unangebracht. Aber solches Protzpoltern und solche Maßlosigkeit ist offensichtlich dieses Mittelfranken generelles Problem. In seinem geradezu hektischen Eifer, die „Härte“ seiner Kanzlerin zu übertreffen, ihr dabei zuvorzukommen, liegt es sicher außerhalb seines Wahrnehmungsvermögens, dass Merkel bei jeder negativen Reaktion auf Söder bei Bürgern und Medien in sich hineingrinst. Söder ist der heiße Kandidat in der langen Reihe der von Merkel gefällten Unionspolitiker, der sich selbst zu Fall bringt, indem er es übertreibt beim täglichen Wettlauf, die „härtere“ Merkel zu sein.
Der Professor der Wirtschaftsphilosophie und Mitglied der Leopoldina Michael Esfeld wirft Merkel, Söder und Co. Missbrauch der Wissenschaft vor: „Die Regierung hole … nur von jenen Wissenschaftlern Rat ein, die auch das sagen, was die Regierung hören will.“ Bei der politischen Entscheidung Lockdown dürfe sich die Politik nicht hinter der Wissenschaft verstecken und so tun, als würde diese das Leben von Bürgern, Wirtschaft und Gesellschaft lahmlegen.
Der bisher Regierungs-freundliche Merkur titelt: »In der „Söder-kratie“: Bayern droht der Corona-Kontrollstaat – und die einst stolze CSU nickt es ab«. Die Zusammenfassung des Kommentars von Chefredakteur Georg Anastasiadis lautet: »Die 50er-Inzidenz war gestern, und auch die 35 soll wohl nur ein Placebo sein. Markus Söder bastelt insgeheim an der No-Covid-Strategie. Ein Plan, der gruseln lässt.« Das gießt Öl ins glimmende CSU-Lager.
Wolfgang Hauskrecht berichtete von der No-Covid-Strategie des herrschsüchtigen Söder, da gruselt es wirklich:
„Zonen“? So soll das gehen:
»Zentrales Element ist das Einrichten von Zonen. Es gibt grüne und rote Zonen. In grünen Zonen können die Einschränkungen zurückgenommen werden, in roten Zonen bleiben sie. Die Zonen wären flexibel festlegbar – es könnte sich um Kommunen, Landkreise, aber auch um einzelne Wohnblöcke handeln. Um zur grünen Zone zu werden, darf es 14 Tage lang keine Neuinfektion unbekannten Ursprungs geben, also Corona-Fälle, die keiner schon entdeckten und isolierten Infektionskette zuzuordnen sind. Zudem muss die 7-Tage-Inzidenz unter zehn liegen.«
Wer so etwas ernsthaft will, käme an einem ausgewachsenen Polizeistaat nicht vorbei. Nicht nur aus anderen Bundesländern, auch aus Bayern selbst kommt da so viel Widerstand, das wird nicht Wirklichkeit. Aber dass Söder so etwas will, sagt viel über Söder. Ein Hort von Radikaldemokraten und strengen Anhängern der Herrschaft des Rechts war die CSU noch nie, aber der Freistaat war unter ihrer Führung Jahrzehnte das am besten verwaltete Bundesland. Söder wird allen drei Kriterien nicht gerecht.
Die Bayern selbst rufen nach Aufsperren und das täglich mehr. Nachdem zum Beispiel neue Corona-Schnelltests für den Hausgebrauch erfolgreich funktionieren, notiert der Bayerische Rundfunk, »fordern mehr und mehr Kommunen Bund und Länder zum Handeln auf: Eine Selbsttest-Offensive könne den Lockdown beenden.« Zuhause grumbelt es schon lange an vielen Orten, nun dringen Murren bis Zorn raus ins Freie.
Im Freistaat übersteht das Söder schon. Sollte sich die demoskopische Wetterlage nicht allzu radikal ändern, bleibt Söder auch in einer Regierung mit den Grünen im Amt. Aber das Rennen um die Kanzlerkandidatur der Union verliert er genau mit seiner „Söder-kratie“ von „Corona-Kontrollstaat“. Merkel grinst zusammen mit ihrem Küchenkabinett.
Währenddessen legt sich der Vorgänger von Söder, den nun wirklich niemand mehr ernst nimmt, verbal mit der EU an. Der Anlass: Die EU-Kommission wies die Bundesregierung angesichts deren wie eine Rundumverteidigung anmutenden Grenzschließungen zart und zurückhaltend darauf hin, dass es für Grenzkontrollen und -schließungen gemeinsame Regeln gäbe.
Lostineu.eu schreibt: »“Jetzt reicht’s!”, empörte sich Bundesinnenminister Seehofer. Die EU habe bei der Impfstoffbeschaffung “genug Fehler gemacht” und habe daher nicht das Recht, Berlin Lektionen zu erteilen.« In seiner Anwandlung von einstiger Löwenrolle hatte Seehofer wohl vergessen, wer die EU-Kommission im Sommer 2020 beauftragt hat, Impfstoffe zu beschaffen. Die EU hat sich unprofessionell und Lobby-getrieben um Impfstoffe gekümmert, wofür sie kein Mandat hat, statt den Binnenmarkt und das Schengen-Abkommen zu schützen, was ihre Aufgabe wäre, schreibt lostineu.eu Brüssel und Berlin ins Stammbuch. Birds of a feather flock together.
Der Standard beschreibt den Umgang der bayerischen Grenzpolizisten Söder und Seehofer mit Tirol und Tschechien so:
»Schon am Donnerstag hatte Söder Tirol zum „Mutationsland“ erklärt … Aus Tirol wie Tschechien dürfen derzeit nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gab es zunächst für Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, Lkw-Fahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte … Am Sonntag schließlich gestand Söder Tiroler Pendlern bestimmte Ausnahmen zu. Demnach dürfen Pendler nach Deutschland einreisen, wenn sie gebraucht werden, um den Betrieb in systemrelevanten Branchen aufrechtzuerhalten.«
Von Eingeweihten ist zu erfahren, dass Söder aus Tirol niemanden mehr reinlassen wollte und nur nachgab, weil Bayern auf die 22.000 Pendler aus Tschechien nicht verzichten konnte, während es die 9.600 Österreicher nicht zu brauchen glaubte. Was ihre Eignung als Trampeltiere der Diplomatie anlangt, sind Franke Söder und Bayer Seehofer doch von einem Stamm. In ihrer Rückzugsflexibilität auch, Söder lernt halt noch.
Dass Söder Tirol „Mutationsland“ nennt, werden die Tiroler nicht so bald vergessen, wie ich dem Mittelfranken aus persönlicher Kenntnis der Tiroler in Nord-, Süd- und Osttirol versichern darf. Dass aus dem polit-medialen Wien durchaus ähnliche Töne Tirol gegenüber erklangen wie aus München, sei nicht verschwiegen. Dass ein Teil dieser Ressentiments auch dem Reich von Nichtschifahrern versus Schifahrern entstammt und nicht alle aus dem Orbit „Mander s’ischt Zeit!“, ist klar. Aber wie viel von beidem ganz real ist, erlebe ich in dieser Zeit viel deutlicher, als ich vorher gedacht hätte. Dass ich in dieser Sache Partei bin und zwar gern, ist ebenso selbstverständlich wie unverschweigbar.
Markus Söder hat die alte Feindschaft Bayern gegen Tirol aufs „Allerschönste“ in allen Facetten der Vorurteile wieder zum Leben erweckt. Darauf einbilden sollte er sich nichts.