Der Shitstorm um den CDU-Politiker Carsten Linnemann zeigt vor allem, dass die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland außer Rand und Band geraten sind. Ständige Skandalisierung und politische Hysterie haben längst Universitäten, Fußballvereine oder Kommunalverwaltungen erfasst. Dabei tragen Medien – angefangen von Nachrichtenagenturen bis zu den politischen Wochenblättern – einen erheblichen Anteil dazu bei. Sie füttern nicht nur mit einem einseitigen „Haltungs“-Journalismus die fortschreitende Emotionalisierung und Entsachlichung der politischen Debatten, sondern heizen auch mit üblen Zuspitzungen und verkürzten Zitaten die allgemeine Hysterie an.
Der dpa-Redakteur hatte getan, was zu den Kern-Kompetenzen jedes guten Nachrichtenredakteurs gehört: Kompliziertes Verkürzen, Komplexes reduzieren, Langes aufs Wesentliche zu komprimieren. Bei dieser oft sehr anspruchsvollen Aufgabe, zum Beispiel bei stundenlangen Politikerreden oder bei wissenschaftlichen Studien, passieren zwangsläufig auch mal Überspitzungen und einfach auch Fehler – das war schon immer so. Eine dramatische Qualität gewinnen diese Fehlleistungen aber, wenn sie die politischen Auseinandersetzungen vergiften oder emotionalisieren.
Die Geschwindigkeit, mit der viele Medien mit schreienden Überschriften um Aufmerksamkeit für diese offenbar ungeheuerliche Forderung Linnemanns warben, zeigt den bedauerlichen Willen vieler Redaktionen, auf Teufel komm raus zu skandalisieren. Für viele scheint schon die Thematisierung des real gravierenden Problems an den Schulen eine Verletzung des allgemein eingeforderten Konsenses zu sein, alles, was mit Migration und Flüchtlingen zu tun hat, mit einem Schleier des Wohlwollens, Gutredens und notfalls Ausblendens zu verkleiden.
Mittlerweile hat sich dpa berichtigt. In der Meldung wurden nachträglich die Überschrift und das erfundene Zitat (dpa sagt: „selbst gewählte Formulierung“) korrigiert. Linnemann hat nicht von einem Grundschulverbot gesprochen.
Einen kleinen Vorteil hat die Debatte: all die Politiker und Kommentatoren, die nach den ersten Medienberichten über Linnemann, zornig und empört loswetterten, müssen sich gefallen lassen, als üble Brunnenvergifter der Demokratie zu gelten und sich auf „Zusammenfassungen“ zu verlassen statt den Originaltext zu Rate zu ziehen.
Das gilt insbesondere für seine „Parteifreunde“ in der CDU und in der „Union der Mitte“, genährt in der Parteizentrale, die wüst über Linnemann hergefallen sind. Linnemann konnte sich gegen dpa durchsetzen und die Korrektur erzwingen. Doch das ist selten erfolgreich. So bleibt der Kampf gegen Fake-News in den Medien oft vergeblich.
Wenn Linksradikale zur Revolution oder Rechtsradikale zur Diktatur aufrufen, kann jeder Bürger sehen, was Sache ist. Die angeblichen Demokraten in den Medien, Parteien oder Sozialen Netzwerken, die gierig alles aufgreifen, um zu diffamieren, zu stigmatisieren, zu skandalisieren und zu denunzieren, sind eine sehr viel größere Gefahr für eine funktionierende Demokratie. Sie sind die wahren Verräter des demokratischen Gedankens. Journalisten, die mit giftigen Formulierungen und Zuspitzungen dazu beitragen, dass sich die aufgeheizte politische Stimmung weiter verschlechtert, sollten sich zumindest schämen.
Mittlerweile erhält Linnemann aber auch Unterstützung gegen die Nachsprecher in der eigenen Partei: „Grundschullehrer werden überfordert und die Bildungschancen unserer eigenen Kinder beeinträchtigt, wenn in der Klasse Schüler sitzen, die den Lehrer sprachlich nicht verstehen. Integrations- und Inklusionsideologen fallen im Gutmenschen-Eifer über ihn her. Die einen, weil sie – vom medialen Mainstream berieselt – nicht mehr die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen können oder wollen, die anderen, weil ihnen die fehlende Sprachkompetenz der „neu Hinzugekommenen“ ihre gutbezahlten Jobs als Lotsen an den Trog des Wohlfahrtsstaates sichert. Lass Dich vom Geschrei nicht irritieren, Carsten, Du hast völlig recht – egal, was jetzt wieder auch von CDU-Vertretern in Bundes- und Landesregierungen vorgebetet wird“, so beispielsweise Klaus-Peter Willsch. (aktualisierte Fassung)