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Sigmar Gabriel: Abschiedsworte eines Vertriebenen

Nun hat also auch Sigmar Gabriel in Nahles und Scholz seine Schoduvel gefunden, denen er dann in großer letzter Geste des Verscheuchten noch alles Gute wünscht .

© Frank Altmann/Pool/Getty Images

Der Harzer Junge Sigmar Gabriel hat fertig. Seine 30jährige politische Karriere muss er jetzt als einfacher Bundestagsabgeordneter auslaufen lassen. Andrea Nahles und Olaf Scholz unterrichten Gabriel gestern davon, dass er im Auswärtigen Amt seine Koffer packen darf und auch sonst kein Bundesministerium besetzen wird.

Auf der Webseite des Niedersachen finden sich folgende Worte: Wenn ich nach Berlin muss, fragt mich meine Frau manchmal spöttisch: „Na, musst Du wieder mal die Welt retten? Hier zu Hause gäbe es auch genug zu tun!“ Also wird es ihm an Arbeit nicht mangeln. Gabriel erzählt dort auch, dass ihn eine Lehrerin, als er zehn Jahre alt war, zur Sonderschule schicken wollte, weil er angeblich zu dumm gewesen sei und zu viel Ärger machte. Auch diesen frühen Moment seiner Vita greift Gabriel auf, als er sich heute früh um 0:19 Uhr via Facebook zur Entscheidung des SPD Vorstandes erklärt: „Es war eine spannende und ereignisreiche Zeit, die mir große Chancen und Erfahrungen eröffnet hat, die weit über das hinaus gingen, was ich mir als junger Mensch zu träumen gewagt hätte.“

Gut, man könnte es boshaft eine zelebrierte Weinerlichkeit nennen. Man könnte aber auch sagen: Es gab schon deutlich aufregendere, auch emotionalere Momente, wenn Altgediente aus Amt und Würden scheiden müssen. Gerhard Schröders bizarrer Auftritt in der Elefantenrunde ist hierfür ein Beispiel. Auch ein Niedersachse wie Gabriel.

Schröder, Glogowski, Gabriel – in der Reihenfolge waren Sie Ministerpräsidenten des Landes. Sozialdemokratisierte Männerbündler. Als Schröder damals vor dem Untersuchungsausschuss gegen den Braunschweiger-Ex-OB Glogowski aussagen sollte, kommentierte er das folgendermaßen: Es sei nicht die Sache des Bundeskanzlers, Glogowski „weiter Steine ins Kreuz zu schmeißen.“ Glogowski hatte sich 1999 als Ministerpräsident seine Hochzeitsfeier teilweise von Firmen sponsern lassen. Sie schenkten gratis Bier und Kaffee aus. Braunschweig hat eine Brauerei und eine Kaffeerösterei, die Männerfreundschaften beschränkten sich also nicht nur auf die Politik.

Und Glogowski zögerte also auch nicht, seinem Wegfährten, dem Genossen Gabriel einen letzten Liebesdienst zu erweisen, als er gegenüber der Braunschweiger Zeitung noch die Hoffnung bekundete, Gabriel bleibe Außenminister: „Gabriel ist eine starke Persönlichkeit“.

Aber all das und nun der „Abschiedsbrief“ via Facebook klingen auch, wie aus einer anderen Zeit herübergerettet. Der Odem der Bonner Republik zieht hier noch ein paar letzte Schwaden. Bonner Barock von Goslar über Braunschweig bis Hannover. Sigmar Gabriel zählt dann auch noch ein paar politische Ereignisse auf, die er für seine größten Erfolge hält. Die er also in irgendeinem Geschichtsbuch gerne mit seinem Namen verbunden sehen würde: Die Rettung von mehr als zehntausend Arbeitsplätzen bei Kaisers/Tengelmann, die Befreiung deutscher Staatsangehöriger aus ungerechtfertigter Haft im Ausland und die erfolgreiche Entwicklung von Vorschlägen zur Wahl zweier Bundespräsidenten. Nun ist auch der Posten des Bundespräsidenten keine Option mehr. Dahin wird man gewählt, wenn man anders dort nicht wegzubekommen ist, wo die echten Entscheidungen fallen.

Nun ist es der natürliche Gang, dass immer die letzten Bilder und Sätze am längsten haften bleiben. Da wären die Teestunde im privaten Goslarer Wintergarten mit Baumarktplastikkorbsessel mit dem türkischen Außenminister und natürlich das, was er seine Tochter Marie über Martin Schulz souffliert hatte, als die befand: “Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“

Nun klingt, was uns Gabriel da aufgeschrieben hat, schon ganz schön trauerkloßig. Da muss der traurige Mann mit dem verkleinerten Magen zurück in diese unheimliche Stille der Abgeordnetenbänke im Bundestag. Und eine Margret ruft ihm dann zu allem Überfluss via twitter noch auf Englisch hinterher: „Excellent. Your hatred against anybody you disagreed with did enormous damage to Germany.“ Und Jörg Kachelmann schreibt: „Alles Gute und Respekt für die zurückliegende Arbeit. Ich denke an dunklen Tagen an den gemeinsamen Karnevalsabend in Papenburg und stelle oft fest: Das war aber schlimmer – vielleicht ja für Sie auch ;-)“

Papenburg? Ach ja. Da hatte Sigmar Gabriel 2002 vom Papenburger Carneval-Verein den Narrenpreis entgegengenommen. Damals schrieb die Welt: „Als Büttenredner hatte dann Gabriel immer wieder die Lacher auf seiner Seite. Er scherzte nicht nur über Politiker der Oppositionsparteien, er spottete auch über Politiker aus den eigenen Reihen.“ In Niedersachsens Karnevalshochburg Braunschweig heißt der Umzug übrigens „Schoduvel“, der Begriff kommt aus dem mittelniederdeutschen und setzt sich zusammen aus düvel „Teufel“ und scho „scheuchen“. Schoduvel steht für einen alten Brauch, durch Lärm, Verkleidung und schreckenerregendes Auftreten die bösen Geister der Kälte, des Todes und der Gefahr zu verscheuchen.

Nun hat also auch Sigmar Gabriel in Nahles und Scholz seine Schoduvel gefunden, denen er dann in großer letzter Geste des Verscheuchten noch alles Gute wünscht und viel Erfolg bei der Bewältigung der Herausforderungen „zum Wohle unseres Landes und zum Wohle Europas“ und na ja, hoffentlich auch ein bisschen zum Wohle dieser beschaulichen Harzer Kaiserpfalzstadt Goslar. Goslar war mal ganz groß. Damals. Ganz früher.

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