Fünf SPD- und ein parteiloser Oberbürgermeister sowie ein SPD-Landrat aus NRW verzweifeln an der Bundes- und NRW-Landesregierung, zumal auch an SPD-Kanzler Scholz; dieser hat kein Ohr für sie. Nun hat soeben die „Welt“, Ausgabe vom 23. Januar, von einem Erfahrungsaustausch unter den sieben kommunalen NRW-Spitzenvertretern berichtet (Bezahlschranke).
Es handelt sich um die kommunalen Spitzen von Hagen (OB Erik O. Schulz, parteilos), Duisburg (OB Sören Link, SPD), Herne (OB Frank Dudda, SPD), Solingen (OB Tim Kurzbach, SPD), Leverkusen (OB Uwe Richrath, SPD), Mönchengladbach (OB Felix Heinrich, SPD) und Olaf Schade (Landrat Ennepe-Ruhr-Kreis, SPD). Die sieben haben sich zum Austausch zusammengetan, weil sie deutlich machen wollen, in welch kritischer Lage sich ihre Kommunen befinden. Sie sprechen zugleich für zahlreiche andere Städte und Gemeinden. Und sie machen ungeschminkt klar, dass sie zunehmend überfordert sind und dass ihnen die Krisen über den Kopf wachsen. Seit Jahren fordern sie ergebnislos von den wechselnden Regierungen in Bund und Land mehr finanzielle Unterstützung und den Abbau von Bürokratie.
Katastrophendiagnosen noch und noch
Wir fassen einige „Diagnosen“ und Kernaussagen der sieben kommunalen NRW-Spitzenleute zusammen:
- „Viele in dieser Runde haben seit 2015 im Grunde genommen ja nichts anderes zu tun, als sich mit Krisen rumzuschlagen“, sagt Solingens OB Kurzbach von der SPD. Und weiter: „Wir merken, dass dieses System bricht und dass es nicht einfach immer so weiterlaufen kann.“
- OB Richrath aus Leverkusen bekräftigt: „Unsere Systeme funktionieren in Krisenzeiten nicht mehr. Es kommt volle Breitseite bei den Familien an, und damit verlieren wir die Akzeptanz der Demokratie.“
- Bei Bundeskanzler Scholz, das sagen auch die sechs SPD-Leute, kommt das nicht an. Sie erzählen, dass sie nicht einmal Antworten auf Briefe bekämen, weder vom Kanzler noch von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).
- „Ich habe das Gefühl, dass Bund und Land diesen respektvollen Umgang mit uns als kommunale Ebene ganz oft vermissen lassen. Wir werden einfach allein gelassen mit diesen Zukunftsaufgaben“, sagt der Duisburger OB Link. Er habe „das Gefühl, dass da teilweise nicht verstanden wird, wie die Situation vor Ort ist, oder dass es ausgeblendet wird, weil es nicht so sein kann, wie es nicht sein darf“.
- OB Dudda aus Herne ergänzt: „Da ist ein Beharrungsvermögen bis zur Ignoranz. Und das treibt viele Bürgerinnen und Bürger auch zur Weißglut.“ Später bekräftigt er: Das Beharrungsvermögen in Ministerien sei „ungeheuer“.
- „Eine der größten Nöte für die Menschen unserer Städte ist die Versorgung mit Kita-Plätzen“, sagt Solingens OB Kurzbach. Man brauche „nicht lange drum herumzureden: Insbesondere die Zuwanderung, die Migration der Geflüchteten aus der Ukraine mit vielen Familien mit Kindern hat unsere Systeme und Planungen nicht nur maximal gefordert, sondern es hat sie überfordert.“ Solingen habe binnen eines Jahres 900 Kinder und Jugendliche „ins System bekommen“.
- Zudem müssen sich die Kommunen um Integrationsmaßnahmen kümmern. Herne etwa finanziert mit einer Stiftung Sprachkurse an drei stark belasteten Grundschulen, damit die Kinder überhaupt schulfähig werden. In Hagen haben 70 Prozent der Unter-Zehnjährigen einen Migrationshintergrund. In Duisburg bringt die Zuwanderung von etwa 20.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien zusätzliche Probleme mit sich. Im Stadtteil Marxloh mit einem hohen Migrantenanteil etwa müssen Kinder wegen Platzmangels mit dem Bus zu weiter entfernt liegenden Schulen gefahren werden.
- Die Oberbürgermeister berichten, dass sich verzweifelte Eltern an sie wenden, weil beide berufstätig sind und die Betreuung ihrer Kinder nicht gesichert ist. Sie hören von Kita-Trägern, dass demnächst Schließungen drohen, wenn nicht mehr Geld für Betreuung und Personal fließt.
- In Hagen hat sich ein besonderer Ausdruck für die strukturellen Mängel an Schulen etabliert: „ausfallorientierte Instandhaltung“. Damit ist gemeint, dass nur noch die notwendigsten Schäden repariert werden. An bauliche moderne Standards ist nicht mehr zu denken.
Ja, es hat mit Migration zu tun!
Folge: Eine seit Jahren vernachlässigte Infrastruktur wird unerwartet von immer mehr Menschen beansprucht. Dabei kommen die Stadtoberhäupter immer wieder auf Migranten und Flüchtlinge zu sprechen. Die Aufnahme 2015/2016, die Armutszuwanderung aus EU-Staaten in Südosteuropa, die Unterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen seit 2022 und neue Migranten verschärfen die Lage. Plätze in Kitas und Schulen, Wohnungen fehlen. Ein zügiger Neubau ist aus finanziellen Gründen und wegen bürokratischer Hürden nicht in Sicht. Leverkusens OB Richrath warnt: „Wenn wir nicht ausreichend Geld ins Bildungssystem stecken, wenn wir die Kitas nicht ausstatten, dann bricht uns letztendlich die Gesellschaft weg.“
Der Vollständigkeit halber fügen wir an: Alle sechs Städte sind in den Jahren 2018 bis 2021 dem Bündnis „Städte Sicherer Hafen“ beigetreten. Damals haben Sie im Überschwang der Willkommenskultur signalisiert: „Wir haben Platz.“ Die Folgen kommen jetzt vor Ort an. Immerhin ist man viele Jahre später an der Basis jetzt bereit, Klartext zu sprechen und ehrlich zu berichten – nachdem man jahrelang alle Hinweise und berechtigten Warnungen auf diese Entwicklung als „rechtsrechtsrechts“ diffamiert und in den Wind geschrieben hatte.
Im Raumschiff Berlin kommt auch das bisher nicht an, wo man sich noch auf die Aufmärsche von Funktionären zurückzieht. In der zunehmenden Wagenburg Berlins muss man sich ja um die großen Linien der Trans- und De-Formations Deutschlands kümmern.