Tichys Einblick
TE-Serie: Bürokratiemonster

Deutschlands Sinn für Pragmatismus hängt im Papierstau des Faxgeräts

Die Bürokratie nimmt der Wirtschaft die Luft zum Atmen. Unter der Ampel wuchern neue Regeln und Dokumentationspflichten. Doch letztlich scheitert der Abbau an bürokratischen Hürden in den Köpfen der Politik und der Verwaltung.

IMAGO / Panthermedia

Alle reden von Abbau der Bürokratie. Doch das Gegenteil passiert: „In seinem letzten Bericht verzeichnete der Normenkontrollrat einen erheblichen Zuwachs der Bürokratie für die Unternehmen“, sagt Marie-Christine Ostermann. Sie ist die Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer. Der Klimaschutz ist ein wichtiger Grund für den Zuwachs der Bürokratie. Um ihn durchzusetzen, führt die Ampel zusätzliche Normen und Regeln ein. Diese wiederum muss sie überprüfen lassen, das erfordert mehr Kontrolle und Dokumentationspflichten.

Diese Form des bürokratischen Aufwuchses ist demokratisch gewollt. Dass es kaum noch eine Partei gibt, die eine Alternative zu dieser Politik stellt, ist ein anderes Thema. Doch das Mehr an bürokratischem Aufwand ist nicht allein eine Folge gewollter Regularien. Das Mehr an bürokratischem Aufwand kommt vielmehr von einem missglückten Denken in Politik und Verwaltung. Deren Verantwortlichen kreieren Regeln, die Bürger und Wirtschaft quälen – und den eigenen politischen Zielen zuwiderlaufen.

Gesetz im Kabinett
Marco Buschmann kämpft gegen das Bürokratiemonster – das wächst weiter
Zum Beispiel beim Ausbau der Photovoltaik: Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hat jüngst zehn pragmatische Vorschläge gemacht, wie sich Bürokratie abbauen ließe – und die politischen Ziele der Bundesregierung dabei sogar gefördert würden. Etwa, indem die Anmeldung von Photovoltaik erleichtert werde, wie ein Vorschlag lautet.

Will ein mittelständisches Unternehmen derzeit Photovoltaik nutzen, muss es das bei der Bundesnetzagentur anmelden. Die Daten dazu liegen beim jeweiligen Betreiber des Stromnetzes schon vor. Doch das Unternehmen muss diese Daten noch einmal komplett erfassen und einreichen. Das macht laut DIHK das Verfahren nicht nur aufwendiger, sondern auch fehleranfälliger. Die DIHK schlägt daher vor, dass die Agentur beim Betreiber die Daten abfragen kann.

In der Digitalisierung ist Deutschland ohnehin gescheitert. Nicht nur wegen des weltweit drittklassigen Netzempfangs. Sondern weil die Möglichkeiten digitaler Technik in Ministerien und Amtsstuben nie angekommen sind. Sie sind im Papierstau des Faxgeräts hängengeblieben. Oder in den Köpfen der Verantwortlichen. Das Scheitern der Digitalisierung und die ausufernde Bürokratie gehen in Deutschland aber Hand in Hand.

So hat die EU mit einer Richtlinie die Mitgliedsstaaten dazu verurteilt, ein Nachweisgesetz einzuführen. Betriebe müssen nun penibel genau die Arbeitszeiten inklusive jeder noch so kleinen Pause dokumentieren. Allerdings hat die EU dabei digitale Kommunikation ausdrücklich erlaubt. Deutschland, die letzte Heimat des Faxgeräts, hat diesen Weg aber ausdrücklich ausgeschlossen. Dank Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) müssen die Betriebe die Nachweise der Arbeitszeit jetzt handschriftlich unterschrieben einreichen: „Da hört für mich jedes Verständnis auf“, sagt Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer.

Auftakt Reihe: Das Bürokratiemonster wächst
Alle predigen den Abbau der Bürokratie - und füttern das Monster weiter
Die digitale Provinz Deutschland zeigt sich auch bei einem weiteren Vorschlag der DIHK: In den Handwerksordnungen ist vorgesehen, dass Betrieb, Kammern und Auszubildende digital miteinander kommunizieren können. Eigentlich selbstverständlich im Jahr 2023. In Industrie und Handel ist das aber nicht möglich. Das Berufsbildungsgesetz sieht digitale Kommunikation im entsprechenden Paragraphen 34 immer noch nicht vor. Daher müssen Betrieb und Azubi offiziell per Post miteinander kommunizieren. Die DIHK würde das Gesetz entsprechend gerne ändern lassen.

Große Konzerne wie BASF, Bayer oder VW trifft die Bürokratie in Deutschland weniger hart. Sie haben entsprechende Abteilungen, die tagtäglich in den Papierkrieg ziehen. Kleine und mittlere Unternehmer trifft die Wucht der deutschen Bürokratie indes voll. Sie müssen diese Aufgaben nebenbei miterledigen – was nicht Wenige von ihnen komplett erledigt.

Die DIHK macht das an dem Beispiel der „EInnahme-Überschuss-Rechnung“ deutlich. Diese Rechnung soll Unternehmen entlasten, die weniger als 600.000 Euro im Jahr umsetzen und weniger als 60.000 Euro Gewinn dabei machen. Allerdings ist dieses Formular laut DIHK so „komplex, dass es ohne externe Expertenhilfe meist nicht ausfüllbar ist“.

Schon kleinste Betriebe müssen durch solche Regelungen eigene Mitarbeiter für die Verwaltung einstellen. Im Gastgewerbe muss zum Beispiel ein Betrieb laut DIHK im Schnitt 14 Stunden pro Woche aufbringen, um die bürokratischen Ansprüche zu bedienen. Die Kosten, die dadurch entstehen, entsprächen 2,5 des Umsatzes. Brutto.

Derzeit sitzt Justizminister Marco Buschmann (FDP) am vierten Bürokratieabbaugesetz. Interessenvertreter wie Marie-Christine Ostermann erhoffen sich davon, „dass der Trend hin zu mehr Bürokratie endlich gebrochen wird“. Allerdings müsse es Beschlüsse mit sich bringen, „die auch in den Unternehmen zu spüren sind“. Dafür müssten alle Ministerien Vorschläge machen. Doch das passiere nicht, berichtet Ostermann. Dabei hätten die Familienunternehmer die Bundesregierung auf die größten Probleme aufmerksam gemacht: „Wir hoffen inständig, dass diese und weitere Bürokratiehemmnisse in einem vierten Bürokratieentlastungsgesetz nun auch zügig angegangen und gelöst werden.“

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