Petra Pau stellt die Regeln für die Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz klar. In einer früheren Debatte hat sie für das Gesetz gesprochen, jetzt soll sie die Debatte neutral leiten und ermahnt die Abgeordneten, die Geschlechter der anderen zu achten – also im Sinne des noch zu beschließenden Gesetzes. Eigentlich dürfte Pau nicht mehr Vizepräsidentin des Bundestags sein, weil ihre Partei Die Linke keine Fraktion mehr stellt. Doch die Ampel hat Pau das Amt gnädig gelassen. Jetzt führt sie es im Sinne der Ampel aus. Man kennt sich, man hilft sich.
Dabei wäre die Ermahnung gar nicht nötig gewesen. Zumindest nicht im Fall der größten Oppositionspartei, der Union. Die schickt Mareike Lotte Wulf ans Pult. Die ist in Niedersachsen zweimal als Direktkandidatin angetreten. Zweimal hat der Wähler sie zurückgewiesen. Doch die CDU hat die jeweilige Liste genommen, um Wulf trotzdem noch ins Parlament zu bringen. Manchen Frauen helfen Quoten in der Karriereplanung. Dank des Selbstbestimmungsgesetzes können Männer, die sich als Frauen lesen, diese Plätze nun auch für sich beanspruchen.
Am wichtigsten in der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz ist Mareike Lotte Wulf, dass die Ampel nicht so schlecht über das alte Transsexuellengesetz reden solle. Es sei doch für seine Zeit recht modern gewesen. Dann sagt sie noch, dass das neue Gesetz „möglichem Missbrauch“ nichts entgegensetze. Ohne zu sagen, welchen möglichen Missbrauch sie meint. Aber wirklich wichtig ist Wulf, dass das alte Gesetz gut wegkommt. Die CDU ist eine Oppositionspartei, die sich selbst als Teil der grün-roten Regierung liest.
Kritischer als Wulf, aber dafür auch polemischer tritt Martin Reichardt (AfD) auf. Er vergleicht die Möglichkeit, sich sein Geschlecht künftig frei wählen zu können, mit einem Kanzler Olaf Scholz (SPD), der sich künftig als Napoleon Bonaparte ausgeben dürfte. Reichardt sagt, das Selbstbestimmungsgesetz wäre „unfreiwillig komisch, wenn es nicht auch so traurig, aber auch gefährlich wäre“. Er sieht darin eine „Infantilisierung des aktuellen Mainstreams“ und wirft Transfrauen vor, sie würden mit ihrem Kostüm nur die „eigenen Stereotypen von Weiblichkeit“ widerspiegeln.
In der Sache sind es Susanne Hierl (CSU) und Sahra Wagenknecht, die die Schwächen des Selbstbestimmungsgesetzes vorführen. Hierl macht ihre Kritik daran fest, dass künftig schon Fünfjährige einen Geschlechtswandel verlangen können. Zwar sieht das Gesetz eine Beratungspflicht vor. Doch Hierl weist darauf hin, dass diese Beratung von jedem kommen könne. Zum Beispiel auch von einer „queeren“ Interessengruppe.
Tatsächlich hat es der Paragraph drei des Gesetzes in sich. Lehnen Eltern einen Geschlechtswandel eines Kindes zwischen 14 und 18 Jahren ab, sind Standesämter verpflichtet, das dem jeweiligen Familiengericht zu melden. Vor diesem Gericht müssen die Eltern dann nachweisen, dass der Geschlechtswandel nicht dem „Kindeswohl“ widerspricht. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat also eine Beweislastumkehr durch den Bundestag gebracht. Eltern müssen vor Gericht nun nachweisen, dass ihre Entscheidungen für ihre minderjährigen Kinder richtig sind.
Noch weiter geht die Regelung für Kinder zwischen fünf und 14 Jahren. „Bei der Ablehnung eines Wunsches nach Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen müssen das Kindeswohl und der Entwicklungsstand des Kindes im Zentrum stehen“, heißt es im Gesetz. Widersprechen Eltern dem Wunsch ihres Kindes nach einem Geschlechtswandel, wenn das noch nicht einmal 14 Jahre alt ist, werden sie zum Fall fürs Gericht: „Das Familiengericht kann jederzeit von Amts wegen oder auf Anregung der Beteiligten (des Minderjährigen, der Eltern) wie auch Dritter (dem Jugendamt, Beratungsstellen, Vertrauenspersonen) tätig werden.“ Also eröffnen FDP, SPD und Grünen queeren Interessengruppen, Kinder zu ermutigen, ihre Eltern vor Gericht zu bringen. Und nicht nur das: Widersetzen sich Eltern dem Geschlechtswandel eines achtjährigen Kindes, kann das Gericht einen „Ergänzungspfleger“ für die Familien bestellen.
Sahra Wagenknecht kritisiert, dass das „Geschlecht von einer biologischen Tatsache zu einer Frage der Gemütsverfassung“ werde. Sie berichtet aus Spanien, wo gewalttätige Ehemänner Transgesetze genutzt haben, um sich Zugang zu den Frauenhäusern zu verschaffen, in denen ihre misshandelten Frauen lebten.
Wagenknecht wirft der Ampel vor, solche Übergriffe zu ermöglichen – und das auf der Grundlage einer Ideologie, an die sie selber nicht glaube. Denn im Kriegsfall gibt es plötzlich keine verletzten Gefühle mehr. Nennt ein privater Bürger eine Claudia Klaus, muss er dank Ampel dafür bis zu 10.000 Euro Strafe zahlen. Nennt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Kriegsfall eine Claudia Klaus, heißt er auch Klaus und muss zur Waffe greifen und das Vaterland verteidigen.
Der Bundestag hat das Selbstbestimmungsgesetz mit 374 gegen 251 Stimmen nach der dritten Lesung angenommen. In der zweiten Lesung stimmten noch zwei Abgeordnete der FDP dagegen. Allerdings hat keiner der liberalen Abgeordneten den „German Mut“ gehabt, diese Position auch am Mikrofon des Bundestages zu vertreten.