Bringt Innenminister Kaare Dybvad Bek von den dänischen Sozialdemokraten jetzt den CSU-Oberen die migrationspolitischen Flötentöne bei? Diese Erwartung dürfte trügen. Denn dazu sind die Positionen der in Deutschland regierenden Parteien viel zu sehr festgelegt, und das seit Jahren schon. Noch im November beschränkten sich die Forderungen der bayerischen Staatsregierung – angesichts einer Verdoppelung der Asylanträge im Freistaat – auf die zahnlose Forderung von mehr Rückführungen (also Detailkorrektur ex post), der Einführung einer „Bezahlkarte“ für Asylbewerber und der Benennung einer Handvoll Staaten (Algerien, Tunesien, Marokko, Indien, Armenien) als sichere Herkunftsstaaten.
„Geldleistungen an rechtskräftig abgelehnte und vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber“ wollte CSU-Innenminister Herrmann „deutlich reduzieren“ und so Ausreisen hervorrufen. Aber warum braucht es überhaupt noch Geldleistungen an abgelehnte Asylbewerber? Dass solche Maßnahmen reichen könnten, um die Dauer-Überlastung durch inzwischen mehr als 350.000 Asylanträge im Jahr zu beenden, wird kaum einer glauben. Auch der Däne Dybvad Bek mit dem gleichsam durch Seeluft und Erfahrung gegerbten, in markante Falten gelegten Gesicht nicht. Sein Land spricht längst von der Sicherheit Syriens und hat folglich seit Februar 2019 den Aufenthaltsstatus von gut 2.155 Syrern überprüft. Wieviele daraufhin Dänemark verlassen haben, erfährt man nicht so direkt. Nun erklärte Dybvad Bek gegenüber der Bild, es gebe in seinem Land nur noch 400 ausreisepflichtige Asylbewerber „in Rückkehrpositionen“.
Klar ist: Dänemark ist, egal ob von Rechtsliberalen oder Sozialdemokraten regiert, längst viel weiter als Deutschland. Es begann mit Dybvads Vor-Vorgängerin Inger Støjberg, die für ihre zahlreichen Gesetzesverschärfungen bekannt war. Die bekannteste war das Schmuckgesetz, das es bis heute erlaubt, den persönlichen Besitz von Asylbewerbern zur Deckung der Kosten für Verfahren und Unterbringung einzuziehen.
Dybvad Bek: Asylsystem ermuntert Menschen zu Überfahrten
Alle paar Monate kündigt auch der aktuelle Ausländerminister eine Gesetzesverschärfung an, so etwa im vergangenen Juli eine Verschärfung der Regel, dass Asylbewerber ihr Heimatland zehn Jahre lang nicht besuchen dürfen, da sie sonst ihren Flüchtlingsstatus verlieren. Diese Regel soll bald auch über zehn Jahre hinaus gelten.
Das aktuell geltende veränderte EU-Asylsystem nennt Dybvad „unmenschlich und dysfunktional“. Das ist seit langer Zeit die Position der dänischen Sozialdemokraten. Dieses gerade in Brüssel neu „reformierte“ gemeinsame Asylsystem sei es, das Menschen dazu ermuntere, die „lebensgefährlichen Reisen nach Europa anzutreten“. Allein im letzten Jahr hätten „mehr als 2.700 Kinder, Frauen und Männer bei der Überfahrt über das Mittelmeer ihr Leben verloren, während Menschenschmuggler ein Vermögen verdienen“. Andere stürben, „noch bevor sie das Mittelmeer erreichen“.
Schon Ende des Jahres hatte Dybvad gesagt, dass sich die EU „leider mitten in einer europäischen Migrationskrise“ befinde. Auch wenn bisher nur Zahlen bis einschließlich November 2023 vorliegen, seien „die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren sehr hoch und wir müssen bis 2016 zurückgehen, um einen größeren Zustrom als in diesem Jahr zu finden“, so Dybvad Bek. In Deutschland, wo sich absolut Vergleichbares abspielt, spricht das kein politischer Akteur aus.
355.000 illegale Einreisen in die EU gab es laut Frontex bis Ende November. Immer wieder erstaunlich: Allein in Deutschland wurden in diesem Zeitraum 300.000 Erstasylanträge gestellt, die sich ganz überwiegend aus der Quelle illegale Einreisen herleiten. Aber es werden eben längst nicht alle illegalen Einreisen festgestellt, weder durch deutsche noch durch andere Grenzschützer in Europa. Das gehört bis heute zu den Schwächen des „Systems“ (Schengen ohne konsequenten Außengrenzschutz).
Union bleibt im Merkel-Sumpf stecken
Seeon zeigt es deutlich: Die Unionsparteien haben sich Dänemark zumindest zum Teil zum Vorbild erkoren, nachdem sie das Sterben im Mittelmeer ebenso wie die Überlastung der Sozialsysteme durch illegale Zuwanderung jahrelang hingenommen und durch die Zulassung sogenannter „NGOs“ unterstützt haben. Deutsches und EU-Recht wurden auch unter CDU-Regierungen nicht angewandt.
Und noch immer weigert sich auch die CSU laut Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, ihre Entwicklungspolitik in Drittländern zu revidieren. Für die dänische Regierung ist klar: Ohne Rücknahmen von illegalen Migranten gibt es auch keine Entwicklungshilfe. Die CSU betrachtet das Entwicklungsministerium offenbar als zu wertvolle Pfründe, um das Konzept praktisch unbeschränkter Geldflüsse in Ausland aufzugeben. Natürlich gibt es viele andere Faktoren, die der Korruption hier Tür und Tor öffnen – etwa die Rolle der deutschen Parteienstiftungen, die im Ausland wie deutsche Neben-Botschaften oder Konsulate agieren und sich über zusätzliche Fördermittel freuen dürften.
CDU-Chef Merz fehlte übrigens im Kloster Seeon, angeblich wegen des 100. Geburtstages seines Vaters, aber es hatte anscheinend gar keine Einladung gegeben. Die Unions-Kanzlerkandidatur ist ja auch noch nicht entschieden. Dafür war Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) vertreten. Sie wiederholte aber auch hier nur ihre Formel, dass die Europäer angeblich „darüber entscheiden, wer nach Europa kommt und unter welchen Umständen – und nicht die Schlepper und Schleuser“. Das sei jetzt zur Aufgabe der EU geworden, die man „auch mit den Nachbarstaaten“ der EU „beherzt angehen“ wolle.
Wer weiß, wem dieses „Angehen“ übertragen ist, weiß, dass nichts dergleichen geschehen wird. Ohne eine Veränderung der Brüsseler Machtverhältnisse – die freilich schon im Gange ist – sind keine belastbaren Ergebnisse in Sachen Rückführung zu erwarten. Ebenso wird der EU-Grenzschutz bisher nur trotz, nicht wegen der Arbeit dieser Kommission gestärkt. Die EU-Wahlen im Juni 2024 sind der nächste Schritt zur Anpassung der europäischen Machtgrundlage.
Gefährliche Schlepperrouten stoppen
In der EU setzt sich Dänemark dafür ein, dass Asylverfahren in Drittländern außerhalb Europas stattfinden können. Bei dieser Forderung weiß man auch Italien auf seiner Seite, das an dieser Stelle eine nationale Lösung in Zusammenarbeit mit Albanien sucht. Zu befürchten ist, dass alle EU-Lösungen in dieser Richtung nicht die Härte des britischen Ruanda-Plans aufweisen, der vorsieht, dass der Drittstaat Ruanda die Asylberechtigten aufnähme, wenn es jemals so weit kommen sollte. Die EU-Länder sind freilich noch weiter davon entfernt als London.
Im September hat Dybvad ein Flüchtlingslager in Ruanda eingeweiht, das Migranten aus Libyen aufnehmen soll. Dänemark hat das Gebäude bezahlt, das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) leitet das Projekt. Das entspricht einem Politikansatz, den man zusammen mit anderen nordischen Ländern verfolgen will: Migranten sollen schon in Nordafrika abgefangen werden, bevor sie die gefährliche Reise über das Mittelmeer wagen, und ihnen soll anderswo Schutz gegeben werden – zum Beispiel in Ruanda, das sich selbst zu dieser Funktion angeboten hat.
In Gashora (Ruanda) sagte Dybvad: „Das Asylsystem ist zusammengebrochen und es braucht neue Lösungen, um das Geschäftsmodell der Schleuser und der irregulären Migration zu bekämpfen, damit die Migranten nicht die gefährliche Reise nach Europa antreten müssen.“
Schon früher hatte der dänische Minister festgestellt: „Irreguläre Migration hat enorme Folgen. Viele kommen auf ihrer Reise nach Europa um, während Menschenschmuggler sich eine goldene Nase verdienen. Gleichzeitig werden die am stärksten gefährdeten Flüchtlinge, die die Schlepper nicht bezahlen können, in benachbarten Gebieten zurückgelassen, wo sie nicht die notwendige Hilfe erhalten.“ Inzwischen werde aber „in ganz Europa zunehmend anerkannt, dass das Asylsystem nicht funktioniert“.
Ende letzten Jahres plädierte Dybvad dafür, die gefährlichen Schlepperrouten nach Europa zu stoppen und stattdessen dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge kontrolliert nach Europa kommen“. Wenn sich Dybvad Bek damit offen für begrenzte Kontingente zeigt, dann bleibt doch klar, dass das „Kontrollieren“ der Migration gewissermaßen Priorität hat: Nur wenn illegale Einreisen in Gänze verhindert werden, haben Staaten den Spielraum, um Schutzsuchende in Freiheit auszuwählen.