Tichys Einblick
Seenotrettung im Bundestag

AfD: Mit dem Finger in den Wunden der Ampel

Die AfD hat einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Deutschland solle aufhören, die „Seenotrettung“ zu finanzieren. Polemik? Sicher. Aber halt auch zielsicher den Finger in die Wunden der Ampel gelegt.

IMAGO / Future Image

Eins muss der AfD derzeit eigentlich jeder Beobachter zugestehen: Sie versteht es, den Finger in die Wunden der Ampel zu legen – und der CDU damit gleich Phantomschmerzen zu verursachen. Nun wieder mit einem Antrag zur „Seenotrettung“. Unter dem Stichwort kündigt der Bundestag auf seiner Internetseite zumindest den Punkt an. Stephan Brandner (AfD) stellt richtig, wie der Antrag wirklich heißt: „Keine Unterstützung von Schlepperei, Schleusungen und Menschenhandel im Mittelmeer“. Wumms. Die Debatte ist eröffnet.

Apropos Wumms. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat jüngst öffentlich angekündigt, die staatlichen Hilfen zur „Seenotrettung“ einstellen zu wollen. Daraufhin hat ihn seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) korrigiert. Deutschland werde weiterhin acht Millionen Euro in vier Jahren an die überweisen, die der Bundestag „Seenotretter“ nennt und die AfD „Schlepper“ und „Schleuser“. Dass er eine Richtlinienkompetenz hat, das hat der Kanzler offenbar vergessen.

Die Union hat darauf einen Antrag eingebracht, die Zahlungen zu streichen. Den hat die Ampel abgelehnt. Jetzt bringt die AfD ihren eigenen Antrag zum gleichen Thema ein. „Sie bereiten der AfD heute diese Bühne, indem sie beharrlich die Augen vor den Problemen in diesem Land verschließen“, wirft Moritz Oppelt (CDU) der Ampel vor.

Und der stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Brandner bespielt diese Bühne dankbar und mit Verve: Die „Altparteien“ hätten sich den Staat zur Beute gemacht und teilten jetzt „hemmungslos“ untereinander auf. In Deutschland gebe es eine „Asylindustrie“, ergänzt Petr Bystron für die AfD. Die über die „Seenotrettung“ genannte „Schlepperei“ sichere der Ampel die „Betreuungsfälle“, die sie für diese Asylindustrie brauche.

Das ist zugespitzt. Keine Frage. Man kann es sogar Polemik nennen. Das Problem nur für die Ampel: Es beruht auf einem wahren Kern, an dem auch die Vertreter von SPD, Grünen und FDP nicht so richtig vorbeikommen. Brandner skizziert den so: Richtige Seenotrettung würde Gekenterte auffangen und in einen sicheren Hafen bringen. Und zwar in den nächsten. Die von der Bundesregierung finanzierten „Seenotretter“ indes würden mit Schleppern Treffpunkte kurz vor der afrikanischen Küste vereinbaren, die Flüchtlinge dort aufgreifen und dann über hunderte Kilometer nach Italien bringen, von wo aus die meisten der Flüchtlinge nach Deutschland weiterziehen würden. Brandner sagt, seine Fraktion könne diese Praxis belegen.

Wie geht die Ampel mit diesen Vorwürfen im Bundestag um? Etwa Hakan Demir, der von der Partei kommt, die den Kanzler stellt – und der wiederum gerne die Finanzierung der „Seenotrettung“ einstellen würde, wenn es denn seine Außenministerin erlauben würde? Demir sagt, die Wortwahl Schleuser „geht auf jeden Fall nicht“. Es sei „längst wissenschaftlich erwiesen“, dass es keinen Zusammenhang zwischen Seenotrettung und der Zahl ankommender Flüchtlinge gebe.

Zudem wehrt sich Demir gegen das Wort „Pull-Faktoren“. Die Flüchtlinge kämen nicht, weil ihr Leben in Deutschland attraktiver sei als in ihren Herkunftsländern. Flüchtlinge kämen, weil ihr Leben in den Herkunftsländern weniger attraktiv sei als in Deutschland. Es seien also „Push-Faktoren“. Man lerne: „Pull-Faktoren“ zu sagen, ist rechtsextrem; „Push-Faktoren“ zu sagen, ist aber okay. Das ist wichtig in diesen Tagen. Zumindest für Sozialdemokraten.

Noch ein Beispiel dafür, wie zielgerichtet sich die Ampel gegen die Initiative der AfD wehrt? Nun: Dann halt Jamila Schäfer (Grüne). Auch sie betont, dass es keinen Zusammenhang zwischen „Seenotrettung“ und Einwanderung gebe. Wissenschaftlich bewiesen und so. Als Konsequenz fordert Schäfer, der Bund müsse die Kommunen besser ausstatten, damit die ein Mehr an Flüchtlingen angemessen versorgen können. Es gibt also laut der grünen Abgeordneten durch die Seenotrettung nicht mehr Einwanderung, aber dieses Mehr an Einwanderung müssen wir besser handhaben. Der AfD gelingt es derzeit wirklich, den Finger in die Wunden der Ampel zu legen.

Und der CDU Phantomschmerzen zu bereiten. Die hatte den gleichen Antrag eingebracht wie die AfD. Die trägt die gleiche Kritik an der Ampel vor. Aber: „Es gibt keine zwei Parteien, die unterschiedlicher sind als Union und AfD“, fühlt sich Oppelt verpflichtet, seinen Ausführungen vorwegzustellen. Denn die AfD greife Probleme auf, um sie vorzuführen, die Union um sie zu lösen. Deshalb seien die gleichen Anträge von Union und AfD etwas völlig Unterschiedliches – die Logik ist das nächste, das in Deutschland droht, hinter der Brandmauer zu verschwinden.

Der Ampel sagt Oppelt: „Sie müssen begreifen, dass Ihre Migrationspolitik gescheitert ist.“ Aber ganz wichtig: Das sagt er, um das Problem zu lösen. Nicht etwa, um das Problem vorzuführen. Die AfD ist derzeit ganz gut darin, der Union Phantomschmerzen zuzubereiten. Wobei die FDP als Anhängsel der Ampel noch schlimmer dran ist. Ihr Abgeordneter Ulrich Lechte spricht vom Mittelmeer als der „tödlichsten Grenze der Welt“. Das werden die Menschen gerne hören, die an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea leben. Oder zwischen Israel und dem Libanon.

Blieben die Linken. Doch: Die gibt es noch. Für sie redet Clara Bünger. Sie verteidigt die Flüchtlinge, die zur Seenotrettung greifen. Die hätten keine Chance, ein Visum zu bekommen, also bliebe ihnen gar nichts anderes übrig, als in diese Boote zu steigen. Das zweifele im Bundestag doch wohl niemand an? Vermutlich nicht. Aber die Ampel beharrt offiziell auf dem Punkt, dass es keinen Zusammenhang zwischen „Seenotrettung“ und Einwanderung gebe. Also präsentiert sie weiter eine offene Wunde – in welche die AfD mit Spaß an der Freude ihren Finger legt.

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