Aktualisierte Fassung: Jeder denkt es, aber keiner soll es sagen. Und doch „traut“ sich nun einer, das Unsägliche auszusprechen – und zwar nicht irgendjemand, sondern die Junge Union Bayern, die qua Mitgliederstärke einen der einflussreichsten Parteiverbände der CSU darstellt. Sie will Seehofer loswerden, Markus Söder kriegen und jubelt einem Merkel-Spezl begeistert zu. Mittlerweile zuckt Söder wieder vor einem Putsch zurück und die CSU fährt tiefer in die Stimmenhölle. Seehofer beklagt das „Trommelfeuer aus den eigenen Reihen.“ Aber Mitleid war noch nie ein Kennzeichen der CSU.
Seehofers taktischer Fehler
Unverblümt und offen hat sich der Parteinachwuchs gestern in der „Erlanger Erklärung“ positioniert und einen Rückzug Seehofers gefordert. Diesen Vorstoß sofort als mutig, charakterstark und verantwortungsvoll zu zertifizieren, wie es am Abend Markus Söder getan hat, ist kurzsichtig. Aus dessen Munde ist die Aussage jedoch verständlich und in der Sache nur konsequent, da dieser denkwürdige Beschluss Söders Handschrift trägt. Es ist nicht weniger als das Signal zum offenen Machtkampf zwischen Seehofer und Söder, elegant eingeleitet von Söder – nicht mehr um rivalisierende Persönlichkeiten geht es, sondern um Jung gegen Alt, und Söder gewinnt so nebenbei. Die CSU könnte damit einlösen, was die CDU verschläft: den Generationswechsel an der Spitze. Söder, den Kritiker schon als Prinz Charles der bayerischen Nachfolgemonarchie sahen, wird so zur späten biologischen Urgewalt, um den Pattex zu lösen, mit dem die Machtinhaber sich auf ihren Sesseln festgeklebt haben. Aber wohl doch nur ein bisserl.
Die JU besteht nicht etwa aus abgeklärten Berufspolitikern, sondern aus großteils sehr eloquenten, eifrigen und politisch versierten jungen Leuten, die sich um die Zukunft ihres Landes und des politischen Systems sorgen, in dem sie leben. Bereits im Vorfeld hatte der Landesvorsitzende der JU Bayern, Hans Reichhart, seines Zeichens Jurist und seit 2013 Mitglied des Bayerischen Landtags, der Süddeutschen Zeitung ein provokantes Interview gegeben.
Für wen klebt die Junge Union noch Plakate?
Er betonte, dass Seehofer mit einer JU konfrontiert werden würde, die dafür bekannt sei, zu sagen, was sie denke – dafür sei man schließlich die Junge Union. Auf die Frage, für wen die JU im Landtagswahlkampf Plakate kleben würde, wich Reichhart aus, machte aber nochmals klar, dass man die Personaldebatte auf die Zeit nach den Sondierungsgesprächen vertagt hätte. Entscheidend sei für ihn und seine JU allein, mit einem jungen Team ins Rennen zu gehen. Als er gefragt wurde, wie es trotz des intern heftigen Machtkampfes zwischen Seehofer und Söder für die Partei in den kommenden Wochen weitergehen solle, widersprach Reichhart indes seiner vorherigen Aussage: Er forderte plötzlich, dass noch im November eine Lösung in der Personaldebatte gefunden werden müsse.
Da einige Mitglieder der JU bereits mit den Hufen scharrten und nur auf eine Gelegenheit warteten, Seehofer kundzutun, dass sie nicht mit ihm in die Landtagswahl 2018 ziehen wollten, heizte dieses Interview die Lage nur noch unnötig auf. Trotz seines finalen Aufrufs zur Einigkeit der Partei, entfaltete der Ton, den Reichhart angeschlagen hatte, eine kräftige Wirkung. Hatte man damit kalkuliert, dass Seehofer absagen würde? Hatte man in Kauf genommen, dass Teile der JU frech werden würden, ja geradezu bockig?
Hatte man vielleicht sogar geplant, dass die JU in offener Rebellion gegen die Parteilinie ziehen und das Credo, Personaldebatten vorerst zu unterlassen, über den Haufen werfen würde? Dass Seehofer und sein Team in den Verhandlungen in Berlin dadurch unnötig geschwächt würden, muss den Beteiligten klar gewesen sein. Dass Reichhart seinen Verband mit solch scharfen Worten aufwiegeln würde, musste ihm ebenfalls klar gewesen sein. Was ihn zu einem solchen Vorstoß bewogen haben könnte, liegt auf der Hand. In einer Phase, in der jeder jedem ein Wolf ist, will natürlich jeder seine Ausgangsposition stärken und sich für das Rennen einen guten Platz sichern. Oder ein Lamm, ehe es ein anderer reißt.
Ob geplant oder einfach nur im Zuge eines jugendlichen Leichtsinns – die JU hat Markus Söder jedenfalls einen großen Dienst erwiesen, der ihn nun noch einmal mehr gestärkt in die nächsten Wochen gehen lässt. Mit Söder-Stickern jedenfalls machte sich der Jugendverband zum Fan-Club.
Weber, ausgerechnet Weber
Verwunderlich ist aber doch eines: Obwohl man Seehofer gerade dafür brandmarkt, mit seinem Kurswechsel gegenüber der Kanzlerin die Glaubwürdigkeit der CSU geopfert zu haben, feiert man dafür den Stellvertreter Manfred Weber wie einen Messias. Dabei scheint vergessen zu sein, dass damals insbesondere Weber einer der ersten war, die im Zuge des schwelenden Unionskonflikts Partei für Merkel ergriffen und sich hinter sie und ihre Flüchtlingspolitik gestellt haben. Es mutet also doch merkwürdig an, dass die JU eine so große Hoffnung gerade in den gläubigen Merkel-Jünger Weber setzt, der doch mindestens einen ebenso großen Anteil an der aktuellen Identitätskrise der CSU hat wie Seehofer selbst. Wie ein Ewig-Gestriger streicht Weber durch die Nachrichten und lobt Merkels Kurs, der in Bayern die Wähler zur AfD treibt. Aber in Brüssel, wo Weber im Europaparlament seine Rolle spielt, ist eben die Welt ein andere.
Obwohl es nach allen Bekundungen doch allein um Positionen gehen soll, geht es aber unweigerlich auch immer um Personalien. Oder geht es in Wirklichkeit nur um Personalien, die sich Positionen suchen? Mit Weber ist das Glaubwürdigkeitsproblem der CSU jedenfalls nicht lösbar, da er für den schwachen CSU-Kurs Seehofers mitverantwortlich war und diesen eingeleitet hat, auch wenn er das gern anders darstellen möchte: Weber hat dafür gesorgt, dass Seehofer den langen Sprung des Tigers als Bettvorleger beendet hat – und jetzt gibt er selbst das Raubtier, dabei ist er doch bloß Merkels Kätzchen.
Seehofer bleibt nach dem JU-Debakel nur noch eines: Er muss zeitnah eine halbwegs funktionsfähige Koalition auf den Weg bringen, in der er ein Regierungsamt bekleiden und so sein politisches Überleben sichern kann. Ansonsten wird er mitsamt seiner engsten Anhängerschaft inklusive der Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hinweggefegt werden, sobald es zur Söder’schen Tabula Rasa kommt. Wenn er sich traut.
Welche Rolle werden dann diejenigen spielen, die aktuell so sehr nach politischer Verjüngung und einem geschlossenen und alle Strömungen abbildenden Team für 2018 verlangen? Ist es das neue Duo Söder/Weber? Fest steht, dass die JU sich nicht an die Absprachen gehalten und Seehofer brüskiert hat. Und so folgt auf die Wahlniederlage eine innerparteiliche Auseinandersetzung, die keiner klarer Linie folgt. Die CSU kämpft mich sich selbst. Da reibt sich sicher Angela Merkel die Raute vor Freude, und andere auch.
Die AfD in Bayern etwa könnte so bei der Landtagswahl im Herbst 2018 das vorfinden, was der Volksmund eine „g´mahde Wiesn“ nennt – wenn es so weitergeht braucht sie die Wähler nur aufsammeln wie das Heu, das der Sensenmann schon hergerichtet hat; jene Wähler, die sich von Seehofers schwachem Kurs enttäuscht sehen und auf eine Neuorientierung warten.
Aber das ist ein Bild aus dem altbairischen Altötting, wo der allegorische Tod mit der Sense die Seelen mäht. Und Söder kommt aus dem fränkischen Nürnberg, jener Stadt, die sich immer von den Münchnern übervorteilt sieht wie ein Kind an der Quengelkassen ohne Überraschungsei. Jetzt muss Söder aufpassen, dass er nicht zum Sensenmann aus Nürnberg wird.
Nachtrag: Und vielleicht war Söder deshalb so vorsichtig bei seinem Besuch, den er statt Seehofer bei der Jungen Union absolvierte: Gemeinsamkeit hat er beschworen, gerade, als ob er nie die Sense gesehen oder gar geschwungen hätte. Die Zahlen jedenfalls sind verheerend:
Die CSU verliert weiter die Gunst der Wähler. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der „Bild“-Zeitung (Montag) würden nur noch 37 Prozent der Wähler für die CSU stimmen, wenn an diesem Sonntag ein neuer Landtag gewählt werden würde. Die SPD käme auf 17 Prozent, drittstärkste Kraft wäre die AfD mit 13 Prozent. Die Grünen könnten mit 10 Prozent der Stimmen rechnen, Freie Wähler und FDP mit jeweils 8 Prozent. Damit könnte die CSU nicht mehr alleine im Freistaat regieren. Pikant: Ohne 3-Bündnis bräuchte die CSU vermutlich sogar die SPD, um an der Macht zu bleiben. Eine Horrorvision für diese Partei. Schlimmer noch: Nur die AfD wäre danach außer der SPD für eine Zwei-Parteienkoalition stark genug.