Tichys Einblick
Wo findet die Sicherheitsüberprüfung statt?

Bundesregierung verschweigt genaue Zahl der aus Afghanistan eingeflogenen Vorbestraften

Allmählich kommen Fakten zur Luftbrücke aus Kabul ans Licht. Das Bundesinnenministerium widerspricht sich selbst in der Frage der Sicherheitsprüfung. Die Umstände der sogenannten "Menschenrechtsliste" des Auswärtigen Amtes bleiben unklar.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)

IMAGO / Emmanuele Contini

Unter den aus Kabul eingeflogenen Afghanen waren zahlreiche polizeilich bekannte Personen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische  Anfrage des AfD-Abgeordneten Anton Friesen hervor, die TE vorliegt. Die Anzahl der erwiesenen Straftäter wird vom Innenministerium dabei uneindeutig als »im niedrigen bis mittleren zweistelligen Bereich« angegeben. Es könnten also zehn oder zwanzig, vielleicht aber auch 50 polizeibekannte Afghanen sein, die mithilfe der Bundeswehr-Luftbrücke nach Deutschland kamen.

Diese Angabe steht im Widerspruch zu älteren, über die in der Presse berichtet wurde. Anfang September war aus Regierungskreisen zu hören gewesen, dass durch die Evakuierungsaktion »eine niedrige dreistellige Zahl von Straftätern« nach Deutschland gekommen sei. Aber »niedrig dreistellig« oder »niedrig zweistellig« ist durchaus ein Unterschied. Das Innenministerium, das jeweils die Quelle sein dürfte, scheint damit beschäftigt, seine anfangs gegebenen Einschätzungen wieder einzudampfen. In der aktuellen Antwort der Bundesregierung heißt es: »Weitere eingehende Überprüfungen der Personen dauern noch an.« Die angegebenen Zahlen könnten also auch wieder wachsen.

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Und natürlich geht es hier immer nur um die Vorbestraften, von denen die deutsche Polizei weiß. Was jemand in Afghanistan oder anderswo getan hat, bleibt – wie meist, wenn es um Asyl geht – kaum nachverfolgbar. So konnte man auch von 257 Menschen ohne Dokumente lesen, die aus Kabul nach Deutschland gekommen sind. Bei ihnen dürfte völlig unklar sein, wie ihr Strafregister aussieht. Laut Bild  musste man vor allem »jung, männlich, kräftig und gewaltbereit« sein, um in einem der Evakuierungsflieger zu landen.

Vier der eingeflogenen Afghanen hatte Deutschland sogar selbst nach Afghanistan abgeschoben – darunter verurteilte Drogendealer, Vergewaltiger und Sexualstraftäter. Horst Seehofer sagte zu einem der Fälle: »Wenn jemand in Deutschland Kinder vergewaltigt hat, wir ihn abgeschoben haben und er ist jetzt wieder in Deutschland, dann kann ich doch nicht sagen, ich verzichte darauf zu wissen, wer nach Deutschland einreist und ob das ein Sicherheitsproblem ist.«

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Doch beim Erwerb dieses Wissens scheint es einigermaßen durcheinander zu gehen. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte in der Bundespressekonferenz am 15.09. auf die Frage nach der Sicherheitsüberprüfung der Afghanen, die auf der sogenannten Menschenrechtsliste des Auswärtigen Amtes stehen und eine entsprechende Aufnahmezusage haben: „Die Sicherheitsüberprüfung erfolgt in Deutschland.“ Dass dies angesichts des Abschiebestops nach Afghanistan eine nicht gerade beruhigende Nachricht ist, liegt auf der Hand. Auf eine schriftliche Nachfrage von TE antwortet nun derselbe Sprecher: „Die Sicherheitsüberprüfung ist ein Bestandteil des Visaverfahrens, auch die Aufnahmezusagen erfolgen vorbehaltlich von im Visaverfahren auftretender Sicherheitsbedenken. Die Sicherheitsüberprüfung hat daher vor Einreise nach Deutschland stattzufinden.“ Die einzige Information darüber, wie dies angesichts der derzeitigen Lage in Afghanistan und der geschlossenen deutschen Botschaft in Kabul praktisch gehandhabt wird, gibt dieser kryptische Satz des Sprechers: „Die Sicherheitsüberprüfung wird automatisiert durch die deutschen Sicherheitsbehörden ausgeführt, unabhängig davon, an welchem Ort sich die betroffene Person befindet.“ Man muss das wohl so interpretieren, dass die deutschen Sicherheitsbehörden sich bemühen, möglichst irgendwo in den Transitländern zu prüfen – falls es nicht um direkte Flüge aus Afghanistan nach Deutschland geht. Auf die Frage „Was geschieht mit denjenigen, die diese Sicherheitsüberprüfung nicht bestehen?“ ging der Sprecher des Ministeriums mit keinem Wort ein.

Das Auswärtige Amt gibt sich noch verschlossener als das Innenministerium. Es antwortet sehr knapp und nichtssagend – aber lässt sich nicht einmal damit zitieren. Wer auf der so genannten Menschenrechtsliste steht, die im Auswärtigen Amt erstellt wurde und „weitere schutzbedürftige Afghaninnen und Afghanen“ aus „Zivilgesellschaft, Medien, Kultur und Wissenschaft“ bezeichnet, wird nicht öffentlich gemacht. Das Auswärtige Amt wird, so heißt es auf der Website, „diese Personen kontaktieren und sie über die Aufnahmezusage, die ihre Kernfamilie einschließt (das bedeutet der Ehepartner/die Ehepartnerin und minderjährige, ledige Kinder), unterrichten und über das weitere Verfahren informieren. Für die Kommunikation mit den besonders schutzbedürftigen Afghaninnen und Afghanen arbeiten wir mit einem externen Dienstleister zusammen. Dies umfasst die Vorbereitung und Unterstützung bei der Ausreise aus Afghanistan und bei der Einreise nach Deutschland. Die deutschen Auslandsvertretungen in den Nachbarstaaten können – vorbehaltlich einer Sicherheitsprüfung – schnell und unkompliziert Dokumente zur Einreise nach Deutschland ausstellen.“

Die seltsame Empörung in der CSU

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gibt sich nun hilflos empört: »Niemand will diese Straftäter hier haben. Ich will nicht, dass diese Straftäter auf deutschen Straßen herumlaufen.« Aber spätestens an dieser Stelle müsste sich die CSU, die schließlich den Innenminister stellt, eingestehen, dass ihre Regierungsbeteiligung ein vollständiges Scheitern des eigenen Politikansatzes bedeutet. Entweder das oder die aktuellen Äußerungen beruhen auf einer bewussten Wählertäuschung, wo man das eine laut sagt, aber hinterrücks etwas anderes macht oder zulässt.

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Auch an anderer Stelle passen die offiziellen Zahlen der Bundesregierung nicht mit dem zusammen, was vorab aus Regierungskreisen zu hören ist. So hatte Seehofer von »Bürgerinnen und Bürger zahlreicher anderer Staaten« gesprochen, die ihre Papiere zum Teil »total gefälscht« hätten, »von A bis Z«, um in einen der Flieger zu kommen. Die deutschen Beamten hätten hier den Überblick verloren. Das richtet sich natürlich gegen das SPD-geführte Auswärtige Amt und den dort zuständigen Minister Heiko Maas.

In der Antwort der Bundesregierung wirkt auch diese Zahl deutlich verkleinert. Demnach konnte die Bundespolizei bei vier nach Deutschland eingeflogenen Personen »verfälschte« oder »gefälschte Urkunden« feststellen. Hier hat entweder der Innenminister stark übertrieben oder aber seine Beamten dürfen dem Bundestag nicht alles sagen, was sie wissen. Nicht unwahrscheinlich ist, dass Urkundenfälschung in viel mehr Fällen eine Rolle spielt. Neueste Fahndungsergebnisse der griechischen Polizei zeigen, dass gefälschte Pässe und Ausweise inzwischen zur allgemeinen Währung der irregulären Migration geworden sind und fast überall mit geringem Aufwand hergestellt werden können. Mit einer hohen Dunkelziffer ist also zu rechnen.

Fragesteller Anton Friesen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, sagte gegenüber TE: »Straftäter und Menschen mit gefälschten Ausweisdokumenten sind zu Dutzenden unter den von Heiko Maas Hals über Kopf evakuierten Afghanen.« Jeder Afghane und jede afghanische Ortskraft müsse zunächst »in stabilen Drittstaaten«, etwa in Zentralasien, überprüft werden, bevor sie nach Deutschland einreisen dürfen: »Jeder kriminelle afghanische Migrant geht auf das Konto dieser Bundesregierung.«

Auch Stephan Mayer (CSU), Staatssekretär im Innenministerium, gestand schwere Fehler der Bundesregierung ein und wollte künftig den »Sicherheitsaspekt« wieder höher bewerten: »Die Sicherheitsüberprüfungen müssen vor der geplanten Einreise nach Deutschland stattfinden, um zu verhindern, dass schwerste Straf- oder Intensivtäter oder Gefährder in unser Land kommen.«

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Tatsächlich kamen, wie bekannt, sogar »sicherheitsrelevante Personen« mit den Bundeswehr-Flügen nach Deutschland. »Sicherheitsrelevant« – das ist Behördendeutsch für Terrorverdächtige und andere Gefährder. Der Übergang vom Sexualverbrechen zur Terrortat ist dabei ein fließender, wie die zahlreichen Angriffe auf Frauen zeigen, bei denen eine islamistische Motivation eine Rolle spielt. Anfang September hatte Horst Seehofer von 20 sicherheitsrelevanten Personen gesprochen, »die dadurch, dass sie nicht schon in Kabul geprüft wurden, jetzt in Deutschland sind«. Aber auch diese Zahl fand sich nicht in einer Antwort seines Ministeriums auf eine frühere Frage Friesens wieder. Danach hätte sich die Zahl der sicherheitsrelevanten Afghanen nur von acht auf 14 erhöht (TE berichtete). Auch hier ergibt sich der Eindruck des Eindampfens und Herunterkochens: Aus Seehofers 20 Personen wurden in der offiziellen Antwort sechs.

Derweil verkündet in Afghanistan ein zum Taliban-Grenzschützer umgeschulter Lehrer laut tagesschau.de: »Bei Gott, seien Sie willkommen in unserem friedlichen Land. Überall ist es nun zu 100 Prozent sicher, machen Sie sich keine Sorgen mehr. Sie können in Ruhe herumreisen und Ihren Aufenthalt genießen.« Und ein anderer Ladenbesitzer erzählt, wie er früher im Bundeswehr-Feldlager gearbeitet hat. Man fragt sich, warum der Mann eigentlich nicht unter den ausgeflogenen Ortskräften ist und wie er überlebt. Waheed Arman erzählt laut Tagesschau, dass sich »alles verändert« hat. Doch seinen Laden kann er weiter betreiben und ebenso unter eigenem Namen gegenüber dem deutschen Rundfunk Klartext reden.

Vielleicht rückt infolge der Gespräche mit den Taliban eine Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kabul und damit die Möglichkeit der Überprüfung im Lande selbst demnächst wieder in Reichweite. Dass eine direkte Luftbrücke aus Afghanistan aber die Probleme und Gefahren der irregulären Migration eher noch verstärkt als auflöst, dürfte eine der zentralen Lehren der Tage nach der Machtübernahme der Taliban sein.

 

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