Bei der Migrationspolitik schlägt der manchmal Vordenker der Grünen genannte Ralf Fücks einen »„Mittelweg zwischen offenen Grenzen für alle und geschlossene Grenzen für alle“ vor. Zum einen müsste es ein Einwanderungsgesetz geben, das legale Arbeitsmigration vereinfacht. „Zum anderen muss das Asylrecht wieder auf seinen Kern zurückgeführt werden: den Schutz für politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge.“ … Bei der Energiewende vermisst Fücks den langfristigen Plan. „Wir benötigen eine Strategie, wie wir die großen Industrien klimaneutral bekommen, ohne sie abzuwürgen.“«
Der Anlass für diese Betrachtungen auf Focus online ist weder Einwanderung noch Energiewende, sondern die Frage, ob die Koalition von Sebastian Kurz mit den österreichischen Grünen ein Modell für Union und deutsche Grüne sein könnte. Wer alles zur Zeit in Deutschland über diese höchst vordergründige und oberflächliche Scheinparallele räsoniert, geht an allen tatsächlichen Fragen vorbei.
Der gleiche Fehler steckt in einem Artikel auf WELT online über die EU und ihre Mitglieder, die sich als Visegrád-Gruppe zusammengeschlossen haben, schon in der Überschrift: „Jetzt macht Kurz, was Merkel nicht geschafft hat”. Was im Text dann steht, dokumentiert nicht, dass Kurz macht, was Merkel nicht schaffte, sondern dass die EU nun auf den Kurs einschwenkt, den Kurz in der alten EU-Kommission gegen den permanenten Widerspruch von Merkel vertrat:
»Unter von der Leyen wird die EU-Kommission im März offenbar keine Verteilung von Migranten nach festen Quoten vorschlagen. Stattdessen will Brüssel den Außengrenzschutz massiv ausbauen und zügig Maßnahmen für eine möglichst rigorose Abschiebung illegaler Migranten in Drittstaaten und gegen Asylhopping in Europa durchsetzen. All‘ dies fordern die Visegrad-Länder, aber auch Staaten wie Österreich, Dänemark und die Niederlande, seit Jahren.«
Die Kronenzeitung meldet: „Das EU-Verteilungssystem für die Aufnahmequoten von Flüchtlingen steht nun auch offiziell vor dem Aus. Brüssel hat eingesehen, dass ein solcher Mechanismus vor allem im Osten nicht durchsetzbar ist.” Und: „Stattdessen legt die EU-Kommission im März ein neues Papier vor, das eine flexible Solidarität der Mitgliedsstaaten vorsieht.”
Kurz fasst das so zusammen: „Jeder leistet dann Solidarität nach seinen eigenen Vorstellungen. Das kann von verstärkter Mitarbeit beim EU-Außengrenzschutz bis zu karitativen Maßnahmen reichen.“
Wie lange die türkis-grüne Regierung von Kurz und Kogler in Wien hält, weiß niemand, auch die beiden nicht. Dass Kurz seine Linie in der EU weiter vertritt, dass er mit und ohne Wahlen in anderen EU-Ländern weitere Unterstützung über die genannten hinaus erhält, ist sicher: Allein schon, weil er sich etwas anderes seinen Wählern gegenüber nicht leisten könnte.
Das geografisch kleine Österreich wird mit Kurz in Brüssel mehr erreichen als Macron Merkel (vom geografisch großen Deutschland) erlaubt. Kurz nimmt keine Weisungen aus Paris und Berlin an – weder direkt noch auf dem Umweg Brüssel.
Die türkis-grüne Regierungskonstellation Kurz-Kogler in Wien ist kein Modell für Deutschland.
Gegen den deutschen Parteienstaat, der sich längst in den Händen von nicht legitimierten außerparlamentarischen Kräften befindet, ist der Rest vom alten, einst flächendeckenden Parteien-Proporz-Staat Österreich eine hoch transparente Veranstaltung. Nur deshalb konnte ein Sebastian Kurz die alte ÖVP in einer freundlichen Übernahme in die Neue Volkspartei verwandeln. Diese Veränderung erstreckt sich bisher nicht in alle Verzweigungen der ÖVP. Ob sie von Dauer ist, steht nicht fest. So lange Kurz Erfolg bei Wahlen hat, behält er das Heft in der Hand. Hier der demoskopische Stand nach neuwal.com.
Wie sich die Grünen in Österreich in der Regierung entwickeln, lässt sich noch nicht einschätzen. Sobald sie anfangen, die Grenzen ausdehnen zu wollen, die Kurz ihnen für die Regierungsvereinbarung abgehandelt hat, beginnt der Countdown von Türkis-Grün.
Am 26. Januar wird im östlichsten Bundesland Österreichs gewählt. Umfragen prognostizieren SPÖ-Landesobmann und Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (49) im Burgenland ein Ergebnis über 40 Prozent – auf Kosten seines Koalitionspartners FPÖ.
In der Partei sei es längst ein offenes Geheimnis, meint der Kurier, »dass „der ,Dosko’ Schwung holt“.« Die Wahl im Burgenland dürfte eine Richtungswahl werden, nicht für das Bundesland, aber in der SPÖ. Wenn einer deren glücklos amtierende Bundesobfrau ablösen kann, dann Doskozil. Mit ihm hätte Kurz keine theoretische Alternative als Koalitionspartner, sondern eine höchst reale.