Es gibt wohl immer verschiedene Sichtweisen und Wahrheiten. Im Fall der SeaWatch 3 gibt es aber sogar bewegliches Bildmaterial, das dokumentiert, wie gefährlich das Manöver der Kapitänin Carola Rackete bei der Zufahrt auf Lampedusa gewesen ist. Wie der 600 Tonnen schwere Kutter ein Motorboot der Zollfahnder touchiert und an die Mole schiebt. Die Aufregung auf dem „Rettungsschiff“, dazu noch bei schwacher Beleuchtung in der Dunkelheit, kann da den Sinnen und der Wahrnehmung schon mal einen Streich spielen.
Carola Rackete hatte sich bisher nur vor Gericht geäußert, ansonsten haben die Leute draußen nur Versatzstücke erreicht, auch aus ihren Vorabmeldungen vom Schiff, über Funk und Mobiltelefon – es sei alles sehr angespannt, einige „Flüchtlinge“ unter den letzten verbliebenen 43, hinzu kam die Crew mit sieben Personen, würden mit Hungerstreik drohen, beziehungsweise rechnete die Crew mit allem an Bord. Auch mit dem Suizid der Männer, die damit drohten sich selbst über die Reling ins Wasser fallen lassen zu wollen. Letzteres Druckmittel war wohl auch der Anlass, dass Carola Rackete auf Lampedusa zusteuerte. Hätten sie noch bis zum nächsten Vormittag gewartet, als sich abzeichnete, welche Länder die „Flüchtlinge“ aufnehmen würden, darunter Deutschland mit einem Drittel der Männer auf der SeaWatch 3, dann hätte wohl Innenminister Salvini selbst veranlasst, dass die Passagiere alle offiziell an Land hätten kommen dürfen – das zumindest äußerte Salvini bei einer aktuellen Anhörung im Parlament. Die Opposition beschimpfte ihn wüst, Salvini konterte damit, man sehe einmal mehr, was den Politikern der Linken wirklich wichtig sei – die Sicherheit Italiens jedenfalls nicht.
Umso interessanter auch die Ausführungen eines Crewmitglieds der SeaWatch 3 selbst. Die Düsseldorferin, Verena Würz, ist eine 25-jährige Medizinstudentin, und schilderte bei Focus Online ihre Eindrücke der vergangenen Wochen auf dem Boot. Und es scheint, als sei die angehende Ärztin immer noch von den Erlebnissen entweder emotional elektrisiert oder aber auch schockiert, welch Rummel die ganze Aktion verursacht hat.
Darüber, wie das Team in wenigen Minuten auseinandergerissen wurde, nachdem man doch so viele Wochen gemeinsam auf dem Schiff verbracht hätte. Plötzlich sei die Polizei auf dem Schiff gewesen und habe „unsere Kapitänin“ verhaftet, erzählt Verena Würz, „Das anzusehen und das Loch, das durch ihre Abwesenheit in die Crew gerissen wurde, tat weh“, so weit Frau Würz zu diesem Erlebnis. „Wir trennten uns also innerhalb von wenigen Minuten in großer Eile von den Menschen, zu denen wir in den letzten 17 Tagen eine enge Beziehung aufgebaut haben“, hält die Medizinstudentin die dramatischen Minuten an Bord fest.
Nun stehe zwar Carola Rackete vor Gericht, aber die ganze Crew, also auch Würz, stünden zur Entscheidung der Kapitänin. Und weiter gewährt Würz den Lesern Einblicke ab dem 12. Juni, als die Rettungsreise im Mittelmeer losging. Schon bald habe man 53 Migranten in Seenot gerettet. Wie diese Seenot konkret aussah, darüber erfährt man leider nichts – dafür aber, wie die Situation an Bord war, und es entwickelt sich hier eher der Eindruck, dass die wahre Seenot erst auf der Sea-Watch 3 losging. Denn, so die Schilderung, man lebte von nun an auf engstem Raum.
Also die Crew teilte sich den spärlichen Raum mit „Menschen, die Krieg, Folter und Armut hinter sich bringen wollten“. Woher diese Gewissheit? Wurden die Geretteten fachkundig an Bord interviewt wie zB beim BAMF? Oder speist sich diese Beschreibung vielmehr aus Schilderungen zwischen Freunden, ganz einfach gestrickt, hier wir, Eure Freunde, die Retter, und dort die anderen, Geretteten. Und wer sagt, dass da nur Flüchtlingsmänner und allesamt Folteropfer aufgenommen wurden? Aus vielen Interviews und auch aus Zeugenaussagen anderer Geflüchteter erfährt man seit Jahren, dass sich auch zahlreiche Schergen und Kämpfer sowie Milizen unter die Flüchtenden mischten. Und diese Männer, man kann es sich denken, können auf schwächere unter den Mitreisenden einen Druck aufbauen, der es in sich hat. Auch das hat der Autor in vielen Gesprächen bei der Arbeit mit Geflüchteten erfahren, die sich auch hier noch wegen ihres christlichen Glaubens der Verfolgung konfrontiert sehen. Hier erfahren viele „Flüchtlinge“ echte Traumata während ihres Weges.
Irgendwann gegen Ende, spitzte sich die Situation zu. Immer heißer wurde es, die Temperaturen stiegen, alle waren psychisch angespannt. Der Rest ist bekannt. Und Unsereiner fragt sich ganz ehrlich, gehen „Seenotretter“ so unvorbereitet auf ihre Rettungsmission, ohne Vorkehrungen zu treffen? Oder wird ihre Seenotrettungsmission nur vom unbändigen Willen und einer fast heilbringenden Mission getragen: wir retten die Welt, ganz egal, was passiert?
Interessant dürfte aber auch diese Aussage der Medizinstudentin sein, den wollen wir allen (angehenden) Ärzten und Medizinern mitgeben, Verena Würz meint nämlich ganz überzeugt, sie könne es nicht verstehen, wenn „Mediziner in Deutschland schwören das Leben zu achten und Leben zu retten“, doch dann im Mittelmeer wegsehen würden, wenn Menschen ertrinken. Und würde es wieder eine Sea-Watch-Mission geben, wäre die Düsseldorferin natürlich wieder dabei.