Mit der Zunahme der Entfernung von dort, wo der Schnee liegt und zur Zeit noch weiter mehr wird, nimmt die Versuchung der Medien unwiderstehlich zu, die Lage in den Wintergebieten zur Katastrophe hochzureden. Außer ihnen selbst in ihrem Sensationsdrang helfen sie damit niemandem.
Der ORF in Wien zeigte zwar kurz einen Hotelier in Kitzbühel, der sich über die Sensationsberichte beschwerte, stieß aber gleich weiter wie schon die Tage davor genussvoll und sichtlich bedeutungsschwanger ins Katastrophenhorn. Dass er damit schlicht das Geschäft in Tirol schädigt, Freunde und Angehörige der Schifahrer daheim in Angst und Sorge versetzt, scheint dieser Art Journalismus egal.
Im ORF Tirol trat derselbe Hotelier in Kitzbühel auf wie bei ORF bundesweit, aber der Kommentar des Journalisten war sachlich und Fachleute in Tirol kamen zu Wort, die klar stellten: Ja, es gibt viel Schnee, aber die Lage ist im Griff. Wer sich an die Warnungen vor Lawinen hält, ist sicher. Wer sich abseits der ausgeschilderten Pisten bewegt, riskiert sein Leben auch bei weniger Schnee als jetzt.
Die Medien nördlich der Alpen sind von der gleichen Bauart, wie Don Alphonso zeigt:
Und noch mal genauer, wenn die Straße medienunfreundlich schon geräumt ist, muss man halt katastrophig daneben in den aufgehäuften Schnee treten:
Auch ich wurde aus Deutschland sorgenvoll gefragt, ob wir denn auch noch genug zu essen und es warm hätten. Unser Lieblingswirt, der stets, auch jetzt, mehrere hundert Gäste beherbergt, musste schallend lachen, als ich ihm davon erzählte. Die Diskrepanz zwischen Medienbild und Wirklichkeit ist nicht nur in der Politik groß, sondern auch bei jedem anderen Sensations-trächtigen Thema.
Der ganz viele Schnee findet auch gar nicht in Tirol statt, sondern in Salzburg, Steiermark und Oberösterreich – auch dort nicht flächendeckend, sondern im wesentlichen konzentriert in der Region Hohe Tauern, die immer die höchsten Niederschlagsmengen abkriegt an Regen und Schnee. Beim Schnee meist zur Freude des dortigen Fremdenverkehrs und der Schifahrer, weil es dort eben früh und lange schneesicherer ist als anderswo.
Als ich in Kindergarten und Volksschule ging, sah jeder Winter in der Obersteiermark aus wie dieser und der im letzten Jahr: Von November bis April blieb der Schnee liegen.
Es gibt in der Politik viele Anzeichen einer Auseinanderentwicklung von Stadt und Land. Sie spiegelt sich in der Mediensicht auf die Schneelage wieder. Vor allem die jungen und jüngsten urbanen Generationen sind von einer merkwürdig gespaltenen Sicht geprägt, die sie ja nur von ihren Eltern und Lehrern haben können.
Es ist nur scheinbar eine Karikatur, wenn ich sie so illustriere: In überheizten Räumen von 25 und mehr Grad Celsius in sommerluftiger Kleidung scheint es am angenehmsten zu sein, in den sozialen Medien das Weltklima zu retten. Ein alter Freund, der in der Großstadt wohnt, erzählt mir wiederholt, was ihm „seine“ Müllmänner sagen. Wenn die Biotonne unerlaubter Weise überquillt von Verpackungen von Bio-Lebensmitteln, jede zehnte noch ungeöffnet, dann wohnen im betreffenden Haus ein paar junge Ladies, die sich vegan ernähren. Repräsentativität kann die Geschichte nicht beanspruchen. Doch von Müttern, die Kinder in diesem Alter haben, sind mir Klagen derselben Art seit Jahren vertraut.
Zur Zeit hat Tirol so viel Schnee wie im letzten Winter. Sieht so aus, als könnte noch ein halber Meter im Oberland und ein ganzer im Unterland (da geht’s ja schon Richtung Tauern) dazukommen. Die Leute hier können damit umgehen. Die Alten und die Jungen. Ihre persönliche Beziehung zur Kulturlandschaft, die Natur in den Alpen überwiegend ist, macht immun gegen das falsche Medienbild. Der Natur entfremdete Großstädter wissen nicht, dass es sich bei ihr in den Bergen um Kulturlandschaft handelt. Ohne die Almen, auf denen Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde im Sommer auf den von Menschen geschaffenen Wiesen das Gras fressen, wären die Alpen nur Geröll, in dem niemand siedeln würde und schon gar niemand urlauben.
In den Bergen haben Einrichtungen, über die urbane Grüne und Gleichgesinnte im besten Fall lächeln, denen sie im schlechtesten Fall politisch irgendwas mit „rechts“, wenn nicht schlimmer unterstellen würden, nicht die geringsten Nachwuchssorgen: Schützenkompanien, Freiwillige Feuerwehr, Bergrettung, Rotes Kreuz, Alpenverein und so weiter. Sie knüpfen ein dichtes soziales Netz von Bürgergesellschaft (nicht Zivilgesellschaft, dazu demnächst ein eigener Beitrag), das im Falle der Not von jetzt auf gleich hilft – uneigennützig und selbstverständlich.
Fußnote: Anhänger der grünen politischen Partei unterscheiden sich in Tirol an Ort und Stelle von ihren „andersgläubigen“ Mitbürgern keinen Millimeter. Hier stehen alle zusammen, wenn es nötig ist. Politik, die lebensfremd ist, beginnt jenseits der Dörfer und Kleinstädte. Journalisten, die der Sensationslust nicht widerstehen können, wirken bevorzugt in Großstädten. Ich lade Sie herzlich ein, liebe Leser, darüber mal nachzudenken, was wir alle daraus für eine andere Art Politik lernen können.