Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien will mobile Impfteams in 250 Schulen schicken, um Schüler ab 12 Jahren zu impfen. Ab dem 19. August solle die Impfkampagne an allen Gymnasien und Gemeinschaftsschulen starten, erklärte die CDU-Politikerin auf einer Pressekonferenz. Wer geimpft werden will, soll spätestens bis Anfang September die erste Dosis des Biontech-Pfizer-Impfstoffs erhalten. Die Impfungen sollen auch während der Schulzeit stattfinden, nicht bloß nachmittags oder am Wochenende.
Druck auf Eltern und Schüler dürfe es auf keinen Fall geben, sagte Prien weiter und erklärte: „Die Impfungen sind selbstverständlich freiwillig und kostenlos.“ Laut der Ministerin bedarf es bei Kindern und Jugendlichen einer individuellen Risiko-Abwägung mit dem Arzt. Eine Impfempfehlung könne sie deswegen nicht geben, sagte die CDU-Politikerin, um dann hinzuzufügen: „Ich kann Ihnen aber so viel sagen: Meine Kinder sind alle geimpft.“
Kritiker befürchten indes, dass Schüler unter massiven Druck geraten. Der Bildungsphilosoph Matthias Burchardt etwa findet die Pläne „in jeder Hinsicht katastrophal“. Keinesfalls könne man von einer freien Entscheidung sprechen, weil die Schüler unter Autoritätsdruck durch die Lehrer und Konformitätsdruck durch die Mitschüler stünden. „Impfungen an Schulen haben latente Nötigungsqualität. Druck konterkariert, was Schule ausmacht: Kinder zu mündigen Bürgern zu erziehen, die befähigt werden sollen, freie und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen”, sagt Burchardt.
Auch die Aussage der Ministerin, dass Schüler ab 14 Jahren selbst entscheiden könnten, ob sie sich impfen lassen, stößt Burchardt sauer auf. „Bei allen Entscheidungen dürfen die Eltern mitwirken – zum Beispiel bei der Anschaffung von Lehrmitteln oder beim Konzept „Gesunde Schule” – nur bei der Impfung nicht“, sagt er. Impfen sollte eine persönliche Entscheidung sein und dürfe nicht in der Schule geschehen. Das missbrauche das Vertrauen in diese pädagogische Institution.
Auch der Mediziner und Psychologe Christian Schubert lehnt es ab, dass Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern entscheiden können. Der Professor an der Innsbrucker Universitätsklinik für Medizinische Psychologie findet, die Corona-Impfung von Biontech und Pfizer könne bei Alten mit Vorerkrankungen sinnvoll sein.
Aber bei Kindern und Jugendlichen könne man nicht davon ausgehen, dass diese die Bedeutung und Folgen der Entscheidung verstehen könnten. „Zur Frage, ob die Verabreichung des Vakzins an gesunde Minderjährige überhaupt medizinisch und ethisch vertretbar ist, sind sich sogar Experten uneinig“, erklärt Schubert, der als Maßnahmen-Kritiker gilt. Darüber hinaus dürften Kinder und Jugendliche auch nicht aus solidarischen Zwecken etwa zum Erreichen einer Herdenimmunität missbraucht werden.
Der Druck an Schulen könnte auch deswegen massiv werden, weil viele Lehrer und Schüler bereits geimpft sind. Laut RKI haben 84 Prozent der Lehrer und knapp jeder Fünfte der 12- bis 17-Jährigen mindestens eine Impfdosis erhalten. Kinder könnten dem ohnehin enormen Druck in einer Gesellschaft, die in Impfbefürworter und –gegner gespalten sei, aufgrund ihrer psychosozialen Entwicklungssituation nur schwer standhalten, sagt auch Schubert: „Ich befürchte massive gesundheitliche Auswirkungen für die Kinder, wenn sie wegen ihrer Haltung gegenüber der Impfung gemobbt oder isoliert würden, oder wenn es aufgrund des Impfthemas innerhalb von Freundschaften und Familien zu größeren Problemen kommt. Die psychische Erkrankungshäufigkeit hat bei Kindern und Jugendlichen im Verlauf der letzten 16 Monate aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 deutlich zugenommen.“
Auch emotional wichtige Beziehungen würden inzwischen durch das Impfthema belastet. „Das führt zu ausgeprägtem psychosozialem Stress und dieser schädigt exakt jene immunologischen Faktoren, die vor SARS-CoV-2 schützen“, sagt der Psychoneuroimmunologe, der als solcher über die Wechselwirkung zwischen dem Nervensystem, der Psyche und dem Immunsystem forscht.
Mediziner warnten wiederholt davor, dass eine Nutzen-Risiko-Abwägung gegen eine Impfung von Kindern und Jugendlichen spricht (TE berichtete). Laut dem Portal Statista, das sich auf das RKI beruft, sind bis zum 13. Juli 25 Menschen unter 20 Jahren an oder mit dem Coronavirus verstorben.
Auch Schubert sagt, Kinder hätten kaum ein Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Die Impfstoffe seien aber noch in der Erprobung und führten dem Körper genetische Informationen zu. „Wir wissen viel zu wenig über ihre Wirkmechanismen unter natürlichen Alltagsbedingungen und nichts über etwaige Langzeitfolgen.
Angesichts der Tatsache, dass sich Gehirn, Immunsystem und Geschlechtsorgane in der Altersgruppe noch in Entwicklung befinden, muss aus ärztlicher und psychologischer Sicht von einer Impfung dieser Gruppe klar Abstand genommen werden“, sagt er. Impfungen von Kindern ließen sich allenfalls in Einzelfällen bei schweren Vorerkrankungen rechtfertigen.
Dass die Politik trotzdem entgegen der Empfehlung der Ständigen Impfkommission auf Impfungen dränge, lasse sich seines Erachtens nur mit enormer Unwissenheit und Fehlberatung der Verantwortlichen sowie Einflussnahme durch die Pharmaindustrie erklären. Bislang gebe es bloß eine Zulassungsstudie, die die Wirkung auf Kinder und Jugendliche untersuchte – und dabei seien bloß rund 1.100 Kinder geimpft und über einen relativ kurzen Zeitraum von drei Monaten beobachtet worden. Zwar habe sich herausgestellt, dass der Impfstoff kurzfristig wirksam sei, aber die Studie habe auch von einer ganzen Reihe von Nebenwirkungen berichtet. Dies zeige, dass die Impfung gegen SARS-CoV-2 bei Kindern immunologisch wirksam sei – aber es seien viel zu wenige Probanden über einen viel zu kurzen Zeitraum untersucht worden, um Aussagen machen zu können, wie gefährlich die Impfung sein könne.
Laut dem RKI ist die Haftung für etwaige Impfschäden bei Kindern ab 12 Jahren “gedeckt”, wie es auf der Internetseite zum Impfstoff von Biontech und Pfizer heißt. Die Zulassung des Vakzins durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA erlaube die Impfung von 12- bis 17-Jährigen. “Wer durch eine öffentlich empfohlene Schutzimpfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält auf Antrag Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz. Dies ist in § 60 des Infektionsschutzgesetzes ausdrücklich geregelt”, schreibt die Behörde. Die Ständige Impfkommission rät davon ab, Kinder und Jugendliche über 12 Jahren, die keine Vorerkrankungen haben, zu impfen.