Tichys Einblick
Proteste

Schlechtwetterfront rollt auf Berlin zu

Menschenmassen heizen mit Trommeln und Trillerpfeifen den Politikern auf der Bühne ein. Autobahnen werden von Spediteuren und Traktoren blockiert. Rathäuser werden zugemauert und Politiker werden ausgeladen oder erst gar nicht an Land gelassen. In Deutschland schlägt das Wetter um: Ein Sturm droht.

IMAGO / Bernd Elmenthaler

In ganz Deutschland wird es ungemütlich. Die Menschen gehen auf die Straße und machen ihrem Frust und Ärger Luft. Im vergangenen Jahr haben sich die Demonstrationen und Protestaktionen gehäuft und auch in diesem neuen Jahr 2024 lassen sich die Bürger anscheinend nicht besänftigen.

Monika Gruber und 13.000 Teilnehmer

Das Wetter nahm schon im Sommer 2023 eine ungemütliche Wendung, da eine Kaltfront Erding erreichte. Eine 200-Teilnehmer-Veranstaltung wurde zu einem Event gegen die grüne Klimapolitik mit 13.000 Teilnehmern. Die Bürger protestierten gegen das neue Heizungsgesetz der Ampel-Regierung und machten einen kräftigen Wind mit Trommeln und Trillerpfeifen. Die Demonstration „Stoppt die Heizungs-Ideologie“ wurde von dem Erdinger Optikermeister Franz Widmann initiiert und von der Kabarettistin Monika Gruber mitorganisiert. Gruber kritisierte die Grünen und ihre Forderungen als bürgerfeindlich, leistungsfeindlich und wirtschaftsfeindlich.

Ein richtiges Donnergrollen konnte auch Gruber – trotz Bemühungen – durch den Auftritt des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder nicht aufhalten und das ungemütliche Gefühl verstärkte sich. Söder wollte die Unzufriedenheit der Bevölkerung gegenüber der Ampelkoalition nutzen, erhielt jedoch stattdessen Pfiffe und Buh-Rufe.

Im Gegensatz dazu lösten sich die Gewitterwolken durch den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wieder etwas auf, indem er das Heizungsgesetz kritisiert und die Grünen als Zerstörer des deutschen Wohlstands bezeichnete.

Svenja Schulze redet gegen eine Wand

Auflösen konnten sich die grauen Wolken in Deutschland aber nicht, denn das Gewitter hat sich über Jahre zusammengebraut. Bereits 2019 hatte sich Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze auf einer Bauerndemo unterdurchschnittlichen Temperaturen aussetzen müssen. Der Protest gegen schärfere Vorgaben des Insekten- und Umweltschutzes, sowie Düngebeschränkungen zum angeblichen Schutz des Grundwassers, gefährdete die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe.

Während Svenja Schulzes Rede drehten die Demonstranten ihr den Rücken zu und buhten sie schließlich auch aus. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand und wir haben die Schnauze voll von dieser ideologischen Politik“, rief jemand Svenja Schulze zu.

Katharina Schulze und Cem Özdemir unter Buhrufen im Bierzelt

Diese Erfahrung mussten auch Katharina Schulze und Cem Özdemir von den Grünen machen. Im bayrischen Bierzelt in Chieming wurden sie bei ihrem Auftritt ausgebuht und mussten im Anschluss durch Polizeikräfte geschützt von ihrem Publikum getrennt werden. Özdemirs Angebot, „Gespräche“ mit den Bürgern zu führen, ließ das aufziehende Gewitter nur noch stärker brodeln und die bleibenden Buhrufe glichen einem kalten Regenschauer für Özdemir. Für die beiden Grünen war das schon antidemokratisch: eine jede Kritik ein Komplott „Rechter“.

Schneesturm im Dezember

In der Vorweihnachtszeit blieb das düstere Wetter bestehen, machte aber einen Wechsel. Denn diesmal sind Politiker auf geschlossene Türen gestoßen. Handwerker und Bauunternehmer haben im Dezember im Kreis Cloppenburg die Rathaustüren zugemauert, um gegen die vielen Vorschriften der Regierung zu protestieren. Diese Vorschriften verhindern und verteuern den Neubau enorm, weshalb sich kaum noch einer das Bauen leisten kann. Die Aktion soll auf den Baustau aufmerksam machen und legt konkrete Lösungen der Regierung mit einer 10-Punkte-Wohnbau-Agenda vor. Das ihnen ihr Anliegen sehr ernst ist, haben sie an dreizehn zugemauerten Rathäusern bewiesen.

Während die Politiker vor den Rathaustüren standen und frieren mussten, braute sich ein Schneesturm zusammen. Die Ampel-Regierung hat die Lkw-Maut-Erhöhung beschlossen, welche den Transport vermehrt auf Schienen umlagern soll. Die Erhöhung der Lkw-Maut zum 1. Dezember 2023 hat schon im November die Spediteure auf die Straße getrieben mit über 350 LKW-Fahrern. Der darauffolgenden Demonstration in Osnabrück im Dezember haben sich über 750 Teilnehmer angeschlossen.

Die Ampel-Regierung gefährdet mit ihrer Entscheidung die Existenz von mittelständischen Unternehmen und Arbeitsplätzen, so der Bundesverband Logistik & Verkehr (BLV-pro), welcher die Demonstrationen initiiert hat – und sollte kein „Einlenken der Ampelregierung erkennbar“ sein, so werde die Karawane weiter nach Berlin fahren. Da die Regierung nicht die erwartete Reaktion zeigte, droht der Sturm nun auf Berlin hereinzubrechen. Gerade für jubelmedien-schönwetter-gewöhnte Grüne kann es ungemütlich werden: Doch mit Druckerschwärze lässt sich kein Sturm für immer einhegen.

— BGL e.V. (@bgl_logistik) November 14, 2023

Bauernaufstand gegen Agrardiesel und Kfz-Steuer

Am 18. Dezember 2023 fand in Berlin eine Demonstration unter dem Motto „Zu viel ist zu viel! Jetzt ist Schluss!“ statt, die vom Deutschen Bauernverband gemeinsam mit den Landesbauernverbänden organisiert wurde. Die Demonstration richtete sich gegen die Pläne der Bundesregierung, den Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für die Land- und Forstwirtschaft zu streichen. An der Demonstration nahmen bis zu 10.000 Personen teil und rollten mit 3.000 Traktoren Richtung Brandenburger Tor.

Auch Cem Özdemir musste sich ein weiteres Mal mit Pfiffen und Buhrufen überhäufen lassen und Bauernpräsident Joachim Rukwied drohte mit weiteren Aktionen, sollte die Regierung keine Einsicht zeigen. „Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat.“

Nicht nur in Berlin, auch in Stuttgart, Freising oder Kempten zeigten Bauern mit ihren Waffen – Gummistiefeln und Mist –, dass sie sich nicht unterkriegen lassen.

Cem Özdemir bei Brauereiführung ausgeladen

Besonders der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat unter der nicht abreissenden Hitzewelle zu leiden. Am 10. Januar 2024 hätte er die Bauernkundgebung in Ellwangen besuchen sollen und im Anschluss an einer Brauereiführung des Löwenbräu in Aalen teilnehmen dürfen – allerdings wurde er dafür aus „Solidarität mit den Bauern“ ausgeladen. Brauerei-Chef Albrecht Barth weiß, dass man die Hand, die einen füttert, nicht beißt. „Wir beziehen einen Großteil unserer Brauereirohstoffe von Bauern, wir zeigen uns entsprechend solidarisch mit ihnen“, so Barth.

Habeck traut sich nicht aufs Festland

Am 4. Januar 2024 möchte am Fähranleger Schlüttsiel im Kreis Nordfriesland der Wirtschaftsminister Robert Habeck nach seinem Urlaub von Bord. Das gelingt ihm aber nicht, den von Land kommt starker Gegenwind von ungefähr 100 Bauern mit ihren Traktoren. Nicht einmal die Polizei schafft es, die Demonstranten zurückzudrängen und setzt Pfefferspray ein. Erst um kurz vor zwei Uhr in der Nacht kann die Fähre anlegen, sodass Habeck ohne Bauernkontakt an Land kann.

Ausblickend auf das neue Jahr

Das unbeständige Wetter, das sich über Deutschland ausbreitet, wird auch in den kommenden Wochen nicht nachlassen. Obwohl am 4. Januar die Ampel-Regierung den Landwirten das Zugeständnis macht, dass die Kfz-Steuerbefreiung vorerst bestehen bleibt und die Subventionen für Agrardiesel über zwei Jahre abgebaut werden sollen, blitzen die Lichter der Traktoren auf den deutschen Straßen. An zahlreichen Orten bundesweit bereiten sie sich auf Proteste vor und wollen teilweise Autobahnen und Straßen blockieren. Diese Blockaden und Sternfahrten werden voraussichtlich zu erheblichen Verkehrseinschränkungen führen.

Der Bundesverband Logistik & Verkehr (BLV-pro) plant im neuen Jahr ebenso einen großen Protest, um auf die prekäre Lage der Branche aufmerksam zu machen. Am 18. Januar 2024 sollen Konvois von kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Berufskraftfahrern aus dem Güterkraftverkehr aus verschiedenen Sammelplätzen im Bundesgebiet Richtung Berlin starten. Dort wird am 19. Januar vor dem Brandenburger Tor eine große Kundgebung stattfinden.

Ja, der Klimawandel hat es in sich. Die wechselnden Temperaturen haben dem einen oder anderen Politker in Deutschland Kopfschmerzen bereitet. Starken Gegenwind, Donner und Blitz haben sie ertragen – aber noch lange keine Sicht auf Sonnenschein am deutschen Himmel. Wie eine Bauernregel so schön sagt: Wie das erste Gewitter zieht, man die anderen folgen sieht.

Anzeige
Die mobile Version verlassen