Mit dem „härtesten Sanktionsregime“, verkündete die britische Außenministerin Liz Truss, werde der Westen auf den russischen Angriff auf die Ukraine antworten. Das „Sanktionspaket“, assistierte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, könnte auch noch einmal „verschärft“ werden. „Russland wird einen Preis zu zahlen haben, und Putin muss seinen Leuten erklären, warum dieser Preis so hoch ausfällt“, meinte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Zu diesem Paket, das Putin empfindlich treffen soll, gehören Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor, der vorläufige Stopp für die noch nicht in Betrieb genommene Erdgasleitung Nord Stream 2 und wahrscheinlich auch das Einfrieren russischer Auslandsguthaben.
Große Armee – aber vergleichsweise geringe Militärausgaben
Allerdings dürften diese ökonomischen Schläge Russland weniger hart treffen, als es die Rhetorik aus Brüssel suggeriert. Denn Putins Reich ist wirtschaftlich weniger verletzbar, als viele im Westen meinen. Zwar steht das größte Flächenland der Erde mit seinen 142 Millionen Einwohnern, das fast über alle Arten von Bodenschätzen von Öl bis Gold und Uran verfügt, in seiner Wirtschaftskraft weit unter anderen Großmächten wie den USA und China. Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) rangiert laut Währungsfonds mit nominell 1,7 Billionen US-Dollar hinter dem von Italien (2,27 Billionen Dollar).
Russlands geringe Schuldenquote rührt zum einen daher, dass es traditionell nur über ein sehr schwaches Sozialsystem verfügt. Daran änderte sich auch unter Putin nicht viel. Jenseits der Ober- und der bescheidenen Mittelschicht, die sich vor allem in den Metropolen Moskau und St. Petersburg konzentriert, dominieren im Vergleich zu Westeuropa sehr bescheidene Lebensverhältnisse. Die durchschnittliche Rente lag 2021 bei 212 Dollar monatlich.
Zum anderen unterhält das Riesenreich zwar eine der größten Streitmächte der Welt – gibt aber verglichen mit den unmittelbaren Rivalen deutlich weniger dafür aus.
An Mannstärke und Feuerkraft kann die russischen Armee deutlich mehr aufbieten als alle angrenzenden Länder mit Ausnahme Chinas: 850.000 Soldaten, etwa 12.400 Panzer und 30.000 gepanzerte Fahrzeuge, 4.100 Flugzeuge, eine weltweit operationsfähige Flotte, ein Arsenal an Interkontinentalraketen – und neuerdings auch avancierte Waffen wie Hyperschallraketen. In seine Streitkräfte investiert Russland trotzdem weniger als ein Zehntel dessen, was die USA für ihre Armee aufbringen.
Die russischen Budgetzahlen unterscheiden sich zwar etwas je nach Quelle: Der Nachrichtenagentur Tass zufolge lagen sie 2021 bei 50 Milliarden Dollar, nach den Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI bei 61,7 Milliarden Dollar. Aber selbst diese Summe übertrifft nur leicht den Haushalt der Bundeswehr für 2021 mit 47 Milliarden Euro, die kein Atomraketenarsenal unterhält, keine strategische Bomberflotte und keinen Flugzeugträger, aber auch deutlich weniger Panzer und Kampfflugzeuge als Putin. Moskau kann sich viel Schlagkraft für relativ wenig Geld leisten, weil es seine Kämpfer verglichen mit westlichen Armeen kurz hält: Ein Offizier muss mit einem durchschnittlichen Sold von etwa 82.000 Rubel oder 970 Dollar im Monat auskommen.
Öl- und Gasexporte füllen auch künftig die Kasse
Langfristig kann Russland trotz der Sanktionen weiter mit Deviseneinnahmen rechnen, vor allem angesichts der stark gestiegenen Öl- und Gaspreise. Allein der russische Konzern Gazprom verfügt über 72 Prozent der russischen Gasvorräte – die größten weltweit. Und auf die gut 56 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Russland jährlich nach Deutschland pumpt, kann die Bundesrepublik nicht verzichten. Mehr als die Hälfte seines Gases bezieht Deutschland von Putin und füllt ihm damit die Kassen. Der Brennstoff kommt durch zwei ältere Trassen in den Westen. Die nicht in Betrieb genommene Leitung Nord Stream 2 braucht Gazprom für sein einträgliches Exportgeschäft nicht. Gut 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs stammt aus der russischen Föderation. Und durch die Entscheidung zum Atom- und Kohleausstieg dürfte sich dieser Anteil in den kommenden Jahren zumindest nicht verringern. Außerdem bezieht Deutschland 42 Prozent seines Erdöls von der östlichen Supermacht. Für diesen Energieimport flossen aus der Bundesrepublik 2021 insgesamt gut 20 Milliarden Euro in die Gegenrichtung.
Als kalter Rechner weiß Putin also: Eine begrenzte Aggression und die dadurch ausgelösten Maßnahmen des Westens kann er sich leisten. Ernsthafte Opposition durch Parteien und Gewerkschaften muss er nicht fürchten, selbst wenn sich der Lebensstandard für normale Russen verschlechtern sollte.