Bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September erhielt die CDU 32,1 Prozent der Stimmen. Weil sie eine Koalition mit der AfD, die auf 27,5 Prozent kam, ausschloss, blieb ihr nur die Möglichkeit einer so genannten Kenia-Koalition mit den Grünen (8,6 Prozent) und der SPD (7,7 Prozent).
In dem 133 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag, der seit dem Wochenende vorliegt, bestimmen die beiden kleinen Partner die wesentlichen gesellschaftspolitischen Punkte – obwohl sie zusammen mit 16,3 Prozent nur halb so stark aus der Wahl hervorgegangen waren wie die Partei des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Sachsens Wähler hatten zu gut 60 Prozent mittig bis rechts gewählt. Nach dem Arbeitsprogramm der neuen Landesregierung sollen sie trotzdem mehr Gesamtschulen erhalten, mehr Restriktionen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, eine unverminderte Förderung der Windkraft, mehr „Kampf gegen Rechts“ und mehr Geschlechterquoten.
Die CDU setzte sich nur in wenigen Punkten durch: keine Netto-Neuverschuldung, weiterhin Schuldentilgung und die defensive Erklärung, Sachsen solle weiter „Energie- und Industrieland bleiben, mit guter Arbeit sowie einem starken Handwerk und Mittelstand“.
SPD-Schulpolitik nun auch für Sachsen
In seiner Schulpolitik, die die CDU fast 20 Jahre lang prägte, steht Sachsen mit seinem gegliederten Schulsystem an der Spitze der 16 Bundesländer. Nach dem IQB-Ländervergleich 2019 zeigten nur das ostdeutsche Land und Bayern konstant hohe Leistungen in Lesen, Schreiben und Naturwissenschaften. In Sachsen erreichen laut IQB-Test 56,6 Prozent der Schüler den Regelstandard in Mathematik, nur 14 Prozent verfehlen ihn, zur Spitzengruppe zählen 6,5 Prozent. In Bayern schaffen 55,2 Prozent das Soll, 17,2 Prozent verfehlen die Mindestanforderungen, die Spitzengruppe umfasst 6,2 Prozent der Schüler.
In Berlin – vorletztes Land – erreichen dagegen gerade 38,4 Prozent die Mindestanforderungen, mehr als jeder Dritte – 33,9 Prozent – bleibt unter dem Soll, zur Spitzengruppe zählen nur 2,9 Prozent. In Bremen, dem Tabellenletzten, erwerben nur 28,6 Prozent aller Schüler eine Grundkompetenz im Rechnen, 40,6 Prozent bleiben unter dem Mindestmaß. Zur Spitze gehören dort gerade 1,8 Prozent.
Bisher bestätigten alle Schul-Tests – ob PISA oder die Untersuchungen der Initiative neue Soziale Marktwirtschaft – dem Freistaat exzellente Ergebnisse, verglichen mit anderen Bundesländern. Eigentlich wäre das ein guter Grund, den Schulbereich unangetastet zu lassen. Trotzdem setzte sich die SPD mit ihrem Lieblingsprojekt durch: Einrichtung von deutlich mehr Gesamtschulen. SPD, Grüne und Linkspartei hatten, auch mit Unterstützung der AfD, den Volksantrag „Länger gemeinsam lernen“ erfolgreich auf den Weg gebracht. In Sachsen ist für Volksanträge nur ein geringes Quorum nötig.
„Wir werden den mit dem Volksantrag vorgelegten Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren zügig, vollständig und in Abstimmung mit den Vertrauenspersonen des Volksantrages beraten und die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen in Sachsen ermöglichen“, heißt es jetzt im Koalitionsvertrag.
„Gemeinschaftsschulen können dort eingerichtet werden, wo der gemeinsame Wille des Schulträgers, der Lehrkräfte, der Eltern und der Schülerinnen und Schüler dazu besteht.“
Im rot-rot-grün regierten Berlin hatte die Verschmelzung der Schulformen – ebenfalls unter dem Motto „längeres gemeinsames Lernen“ zu keinerlei Verbesserungen geführt; eine Qualitätssteigerung durch Gesamtschulen lässt sich empirisch nicht belegen. Mit dieser Begründung hatte Sachsens CDU die Ausweitung dieser Schulform bisher abgelehnt.
Öffentliche Aufträge nur bei Lohnuntergrenze
Ein zweites Kernanliegen schrieb die SPD bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in das Regierungsprogramm: Künftig sollen nur noch Firmen den Zuschlag erhalten, die eine Lohnuntergrenze einhalten, die über dem Mindestlohn liegt. Außerdem müssen sie nachweisen, dass bei ihnen beschäftigte Leiharbeiter mindestens so hoch entlohnt werden wie reguläre Belegschaftsmitglieder. Wo keine Tarifbindung besteht, führt die Koalition einen „Vergabemindestlohn“ ein.
Für kleine Firmen vor allem im strukturschwachen Ostsachsen dürfte es damit schwieriger werden, an öffentliche Aufträge zu kommen.
Faktisch ist der Ausbau der Windkraft in ganz Deutschland 2019 zum Erliegen gekommen. Woher die für das grüne Autarkie-Ziel benötigten massenhaften neuen Windräder kommen sollen, wer investieren soll – auch dazu schweigt das sächsische Kenia-Papier. Die realistischen Windkraft-Zubau-Zahlen für Januar bis Oktober 2019 in Sachsen sehen nach Branchenangaben so aus: nur im September kamen 6,6 Megawatt neue Kapazität dazu, was zwei Windkraftanlagen entspricht. In allen anderen Monaten lag der Zubau bei Null. Immerhin setzte die CDU durch, dass in Sachsen keine Windräder im Wald entstehen dürfen.
Dem Kapitel „Asyl“ prägten Grüne und SPD ebenfalls erfolgreich ihre Vorstellungen auf. Abschiebehaft soll es nur noch in Ausnahmefällen geben: „Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft sind die letzten Mittel zur Durchsetzung der Ausreisepflicht.“ Der „freiwilligen Ausreise“ sei generell Vorrang vor der Abschiebung zu geben.
Ein längerer Abschnitt im Vertrag ist der Bekämpfung des Rechtsextremismus gewidmet („Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus“) – während Linksextremismus nur an einer anderen Stelle in einem Satz erwähnt wird.
Zu dem „Gesamtkonzept“ gehört, dass sich Sachsen für ein „bundeseinheitliches Frühwarnsystem für rechte Gefährder“ einsetzen soll. Ein vergleichbares System gegen Linksextreme gibt es nicht, es wird auch nirgends geplant. Außerdem ist im Koalitionsvertrag vorgesehen, „konsequent gegen Verfassungsfeinde im Staatsdienst“ vorzugehen – wobei der Begriff „Verfassungsfeind“ nicht definiert ist. Bekämpft werden soll auch „Hass“ im Internet. „Die Angst vor Hasskommentaren führt dazu, das sich immer mehr Menschen scheuen, sich zivilgesellschaftlich und politisch zu engagieren“. Belege dafür gibt allerdings keine Statistik her. Weiter heißt es: „Dafür werden wir die Strafverfolgungsbehörden dazu anhalten, rechtswidrige Hass-Postings unter Einbeziehung weiterer Akteure stärker zu verfolgen und hierfür die nötigen technischen und personellen Ressourcen bereitstellen.“ Unklar bleibt, wer die „weiteren Akteure“ sein sollen.
Dass die Bekämpfung des Linksextremismus kaum erwähnt wird, ist umso erstaunlicher, da die Zahl der schweren Straftaten auf diesem Gebiet in Sachsen vor allem in Hochburgen deutlich zunimmt. Allein in Leipzig kam es laut Polizei bereits im laufenden Jahr zu 305 Straftaten aus dem linksextremen Bereich – ein starker Anstieg zu 2018, in dem die Behörden 222 entsprechende Taten in der Stadt zählten. Unter den 305 linksextremen Delikten des Jahres 2019 waren in Leipzig 42 Gewalttaten und 20 Brandstiftungen mit einem Gesamtschaden im zweistelligen Millionenbereich.
Schließlich sieht der Kenia-Vertrag noch die Einführung verbindliche Geschlechterquoten vor: in Kulturbeiräten und im Rundfunkrat, auch in Universitäten, wo die Vorschlagslisten für die Führungsgremien der Hochschulen künftig paritätisch besetzt sein sollen.
„Sachsen bekommt eine rot-grüne Staatsregierung mit CDU-Ministerpräsidenten“, spottet der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst.
Tatsächlich können Grüne und SPD im Freistaat zufrieden sein. Nicht unbedingt mit ihren Wahlergebnissen – aber mit ihrem Einfluss auf die Politik in dem ehemaligen CDU-Stammland.