Die Verkündung des Wahlergebnisses war für viele Ratsmitglieder der saarländischen Stadt Blieskastel wie ein Schock: 25 Abgeordnete hatten für die Amtsenthebung der grünen Beigeordneten Lisa Becker gestimmt – und scheiterten an der Stimme einer AfD-Politikerin, die überraschend gegen die Abwahl votierte. Im medialen Vordergrund steht nun die Frage, ob ein zügiger Rücktritt der 33-Jährigen nicht das Beste für alle Beteiligten wäre; schließlich sei ein demokratischer Regierungsbeamter, der sich von der AfD als Zünglein an der Waage unterstützen lässt, untragbar. Dabei ist die eigentliche Frage, ob Frau Becker als Stellvertreterin des Bürgermeisters noch die erforderlichen Qualifikationen mit sich bringt, völlig in den Hintergrund geraten.
Eine Wahl der verhängnisvollen Wendungen
Zunächst begann der Konflikt als harmloser Streit unter Kommunalpolitikern: Der SPD-Bürgermeister Bernd Hertzler entzog seiner Stellvertreterin Lisa Becker (Bündnis 90/Die Grünen) ihren Geschäftsbereich, nachdem diese ein Gutachten ohne Rücksprache an die untere Bauaufsicht weitergeleitet hatte. Aufgrund dieser Kompetenzüberschreitungen strebte Hertzler die Amtsenthebung seiner Kollegin an. Im November hatte die SPD-Fraktion noch zusammen mit CDU, FDP und AfD für Beckers Abwahl gestimmt und eine Zwei-Drittel-Mehrheit von 26 Stimmen erreicht.
Die Saar-Grünen und Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) kritisierten das Wahlverhalten damals noch scharf, schließlich dürfe man der AfD niemals die Gelegenheit geben, sich als Zünglein an der Waage in wichtigen Entscheidungen zu etablieren. Aus diesem Grund hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Achim Wesel bereits vor dem zweiten Wahlgang am letzten Donnerstag angekündigt, er werde sich bei der Abstimmung enthalten, falls eine Abwahl der Beigeordneten nur mithilfe der AfD möglich sei.
Doch es kam anders als erwartet: Die AfD-Stadträtin Heike Horlbog hatte kurzerhand angekündigt, sie werde nun doch gegen die Abwahl von Lisa Becker stimmen und das Verfahren zur Amtsenthebung damit sprengen. Daraufhin wählte die SPD-Fraktion geschlossen gegen die Grüne, verfehlte aber aufgrund von Horlbogs Stimme die parlamentarische Mehrheit. Becker verbleibt also im Amt – und das nur wegen einer AfD-Stimme.
An einen Rücktritt denkt sie nicht, auch die Landesspitze der Partei hatte Becker den Rücken gestärkt. In der Stadtratsfraktion der Grünen brodelt es: Viele Mitglieder empfinden das Verhalten der Beigeordneten als heuchlerisch. Hinzu kommt ein inoffizielles Telefonat zwischen Becker und der besagten AfD-Stadträtin, das den Verdacht einer möglichen Absprache mit der Abtrünnigen nahelegt.
Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) ist für Vergleichbares fast gesteinigt worden
Der Fall Becker ist ein Paradebeispiel der grünen Doppelmoral. Man denke nur an den Februar des Jahres 2020 zurück, als der wertliberale und dezidiert anti-extremistisch auftretende Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde und kurzerhand wieder zurücktreten musste. Seine Familie wurde in den Tagen nach der Wahl von Linksradikalen belagert und belästigt, die Kinder des FDP-Politikers konnten nur noch unter Personenschutz das Haus verlassen und zur Schule gehen.
Schuld daran war unter anderem eine von den Grünen stark unterstützte Hetzkampagne gegen den Liberalen, der als gefährlicher Verräter der Demokratie und parlamentarischer Arm der deutschen Rechten verunglimpft wurde. Annalena Baerbock diffamierte Kemmerich in der Sendung von Markus Lanz versehentlich sogar als Nazi, entschuldigte sich allerdings später für diese Irritation, hatte sie doch eigentlich den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gemeint. Jetzt ereignet sich ein ähnlicher Vorgang im Saarland, nur sind dieses Mal nicht die unliebsamen Freidemokraten ins Fettnäpfchen getreten, sondern die Lieblingskinder der deutschen Medienlandschaft: die Bündnisgrünen. Kein Wunder also, dass auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk kaum über die Kontroverse berichtet, man möchte ja nicht das eigene Klientel vergraulen.
Das volle Ausmaß der Idiotie wird einem allerdings erst dann bewusst, wenn man sich genau vor Augen führt, wo das eigentliche Problem im Fall Becker liegt: Es ist überhaupt nicht verwerflich, dass eine Kandidatin auf demokratische Art und Weise von einer parlamentarisch legitimierten Mehrheit in ihrem Amt bestätigt wird und ihren Aufgaben nachgehen will. Problematisch ist, dass besagte Kandidatin, die wegen mangelnder Kompetenz als Stellvertreterin des Bürgermeisters abgewählt werden sollte, letztlich nur im Amt bestätigt wurde, um der AfD eins auszuwischen. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Bürgermeister bereits mehrfach verlautbaren ließ, eine weitere Zusammenarbeit mit Frau Becker sei für ihn völlig undenkbar geworden, muss man sich doch ernsthaft die Frage stellen, ob den Stadtbewohnern die Sicherstellung einer handlungsfähigen Kommunalverwaltung nicht wichtiger gewesen wäre.
Ähnlich verhielt es sich doch bei der Wahl von Bodo Ramelow (Die Linke) zum thüringischen Ministerpräsidenten: Ramelow hatte damals (und auch heute) keine stabile Parlamentsmehrheit. Seine Ideen werden also nicht von der Mehrheit der Thüringer Bürger goutiert, während Thomas Kemmerich ein politisches Programm aufstellen konnte, das zumindest als Kompromiss von einer Mehrheit der Landtagsabgeordneten akzeptiert wurde. Amtsträger werden nicht mehr aufgrund ihrer Qualifikationen gewählt, stattdessen stehen – und das muss in aller Klarheit gesagt werden – vollkommen belanglose Nebensächlichkeiten im Vordergrund dieser staatstragenden Entscheidungen. Das gescheiterte Amtsenthebungsverfahren im Saarland zeigt diese schädliche Entwicklung noch einmal deutlich auf – und das ist der eigentliche Skandal.