Tichys Einblick
Staatsrechtler über Wahldebakel in Berlin

Rupert Scholz: Wahlprüfungsausschuss des Bundestages hat Mängel heruntergespielt

Der Staatsrechtler und frühere Bundesminister Rupert Scholz kritisiert den Wahlprüfungsausschuss des Bundestages: Ziel sei gewesen, das Wahlergebnis in Berlin trotz offensichtlicher Missstände möglichst unangetastet zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht sollte die entscheidende Instanz sein.

Rupert Scholz

imago images / photothek

Rupert Scholz fordert, auch die Bundestagswahl müsse in Berlin wiederholt werden, und erhebt schwere Vorwürfe gegen den Wahlprüfungsausschuss des Bundestages: „Dieser Wahlprüfungsausschuss des Bundestages ist nach meinem Eindruck angetreten und tätig geworden mit der ungeschriebenen Zielsetzung, die Bundestagswahl möglichst unangetastet zu lassen“, sagte der Staatsrechtler und frühere Berliner Senator und Bundesverteidigungsminister in Tichys Einblick Talk am Donnerstag. „Dieser Wahlprüfungsausschuss, das muss man natürlich auch sehen, setzt sich aus Bundestagsabgeordneten zusammen.“

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Obwohl die Missstände bei der Durchführung der Wahlen am 21. September 2021 in Berlin für die Bundestagswahl ebenso zutrafen wie für die gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen, müssen nur letztere nach einem Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofes von Mittwoch wiederholt werden. Für die Bundestagswahl ist der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages zuständig, der aus Abgeordneten besteht. Diese haben entschieden, dass nur in 431 Stimmbezirken (von 2257) neu gewählt werden soll.

„Die Argumentation im Wahlprüfungsausschuss des Bundestages war in vielfacher Hinsicht sehr bedenklich. Sie haben also versucht, möglichst bestimmte Mängel, die offenkundig waren, ich sage mal, herunterzuspielen. Zum Beispiel die Geschichte: um 18:00 hat ein Wahllokal zu schließen.“ Diese Regel sei deswegen wichtig, weil um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen veröffentlicht werden. Scholz war sich dabei mit dem Wahlforscher Jürgen Falter einig, dass viele Wähler dann ihre Entscheidung revidieren oder ganz auf die Stimmabgabe verzichten würden, wenn sie erfahren, dass ihre bevorzugte Partei chancenlos ist.

Scholz kritisiert die unterschiedliche Behandlung der Wahlen auf Landes- und Bundesebene und sagte: „Das Berliner Verfahren, dass die Anfechtung einer Wahl über den Verfassungsgerichtshof stattfindet, ist das richtige Verfahren.“ Er plädierte dafür, dass Artikel 44 des Grundgesetzes so geändert werden sollte, dass das Bundesverfassungsgericht zur allein entscheidenden Instanz bei der Anfechtung eines Bundestagswahlergebnisses werde.

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„Diese Unterschiedlichkeit darf nicht erhalten bleiben“, sagte Scholz. Es müsse eine Einheitlichkeit wiederhergestellt werden, möglichst auch in einer gemeinsamen Wahlwiederholung, so dass „alles wieder auf einen Standard gebracht wird, der demokratisch verstanden, nachvollziehbar und auch vertrauenerweckend wird“. Das setze aber voraus, „dass ganz schnell entschieden werden muss“.

Auf die Frage, wie lange es dauern werde, bis das Bundesverfassungsgericht urteilt, falls sich die Unionsfraktion zu einer Klage in Karlsruhe entscheide, antwortete Scholz: Die Gefahr besteht natürlich, dass die das Verfahren daher so lange hinziehen, bis eigentlich schon wieder die Neuwahl ansteht. Aber ich hoffe eigentlich, dass Karlsruhe erkennen wird, dass es hier wirklich um eine schnelle Entscheidung geht, eigentlich um das Vertrauen in die Demokratie wirklich auch wieder zu stärken und zu kräftigen.“

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