Tichys Einblick
"Wir nehmen deins weg"

Rundfunkgebühren: Söder, Dreyer fordern Kontrollverlust

ARD und ZDF sollen auf ewig mehr Geld bekommen: Mit der Index-Idee wollen die Sender, Politiker und ein Journalistenverband den Bürgern dauerhaft die Finanzhoheit über das teuerste Rundfunksystem der Welt aus der Hand nehmen.

Screenprint: ARD / Gemeinwohlbroschüre

 “Ihnen geht dauernd das Geld anderer Leute aus.”

(Margaret Thatcher)

Was haben Malu Dreyer und Markus Söder gemeinsam? Mit der großen britischen Premierministerin nichts. Untereinander:

Auf den ersten Blick auch nicht viel. Das bleibt auch auf den zweiten Blick so. Frühestens beim dritten Hinschauen wird man fündig: Beide sind Ministerpräsidenten in dem Bundesland, in dem sie auch geboren wurden. Und beide blicken von ihrem jeweiligen Dienstsitz aus auch auf die Zentralen von jeweils einem der wichtigsten Medienhäuser Deutschlands: Dreyer in Mainz auf das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), Söder in München auf den Bayerischen Rundfunk (BR).

Ist es eine Überdosis Funkwellen von den Sendemasten? Oder ist es die chronische Volksferne des Berufspolitikers? Man weiß es nicht. Jedenfalls haben Landesmutter Dreyer und Landesvater Söder ein von der Konstellation her ausgesprochen merkwürdiges – und vom Inhalt her ausgesprochen unfassbares Bündnis geschlossen: Am Donnerstag sorgte das neue Alptraumpaar dafür, dass die Ministerpräsidenten der Bundesländer die Weichen für eine sogenannte Indexierung des Rundfunkbeitrags gestellt haben.

Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Verkürzt bedeutet es, dass der Rundfunkbeitrag nicht mehr – wie bisher – alle zwei Jahre von der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) überprüft und neu festgelegt wird. Stattdessen soll der Rundfunkbeitrag, der sachlich mit einiger Berechtigung auch als Zwangsgebühr bezeichnet werden kann, künftig automatisch mit der Inflationsrate steigen.

Oder anders: ARD, ZDF und das DeutschlandRadio sollen auf ewig ein gleichbleibendes Einkommen sicher haben, das bei steigenden Preisen automatisch mitsteigt – anders als alle Beitragszahler, anders als alle Bürger, anders als alle Handwerksbetriebe, anders als überhaupt sonst alle und alles in diesem Land.

Wer kommt auf sowas?

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Maria Luise Anna Dreyer kommt aus einem, pardon, unbedeutenden Bundesland – in dem man das Leben auf Kosten anderer geradezu kunstvoll kultiviert: Seit Einführung des Länderfinanzausgleichs im Jahre 1950 lässt sich Mainz ohne Unterbrechung Geld überweisen, ohne jemals einen einzigen Euro – oder eine Mark – eingezahlt zu haben.

Das ZDF ist in dem chronisch strukturschwachen Land ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, und SPD-Frau Dreyer hat mit der Anstalt denselben Pakt geschlossen wie ihre Vorgänger: Sorgst Du für mich, sorg‘ ich für Dich. Traditionell ist der rheinland-pfälzische Ministerpräsident auch Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder, in dieser Funktion kann man prima seine schützende Hand über das ZDF-Sendezentrum auf dem Lerchenberg halten – zum Beispiel mit der Indexierung des Rundfunkbeitrags.

Markus Thomas Theodor Söder beatmet mit derselben Idee derweil seinen BR, der – wir sind schließlich in Bayern – noch ein richtiger Staatssender ist. Das haben alle bayerischen Landesväter genauso gemacht, das hat hier Tradition. Gleichzeitig macht sich der CSU-Chef mit der Indexierung des Rundfunkbeitrags nach links anschlussfähig: Wer Franz-Josef Strauß zum Vorbild hat, will ja auch nicht ewig Provinzpolitiker in München bleiben.

Thomas Bellut ist, Überraschung, ebenfalls ein glühender Anhänger der Idee. Der ZDF-Intendant hat das Potenzial einer Indexierung des Rundfunkbeitrags erkannt und denkt schon weiter: Die automatische Einnahmesteigerung durch automatischen Inflationsausgleich möchte er dadurch noch optimieren, dass er als Ausgangsbetrag nicht den tatsächlichen Rundfunkbeitrag (17,50 €) ansetzt, sondern einfach einen erfundenen – und natürlich höheren. Das geht so: „Weil wir aktuell die Rücklage einsetzen dürfen, die nach der Umstellung auf den Rundfunkbeitrag entstanden war, beträgt der Beitrag nach unserer Berechnung real bereits 18,35 Euro“, sagte Bellut im Dezember gegenüber der Deutschen Presseagentur. Dies sei der wirkliche Basiswert. Das Geld, das Bellut früher vom Beitragszahler schon einmal bekommen, aber nicht ausgegeben hatte, soll dieser Beitragszahler nach Belluts Rechnung künftig nun also noch einmal bezahlen – zusätzlich.

Der Duden schreibt: „dreist – frech, unverschämt; recht ungeniert und ohne Hemmungen sich etwas herausnehmend.“

Frank Überall findet, Überraschung, die Indexierung des Rundfunkbeitrags auch prima. Sie biete für die Rundfunkanstalten und ihre Beschäftigten Planungssicherheit, erklärt der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Und überhaupt: „Dann wäre Schluss mit dem immer gleichen Gerangel zwischen Sendern, KEF und Ministerpräsidenten um die Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ (O-Ton Überall) Man fragt sich kurz, was die bemitleidenswerten DJV-Mitglieder davon halten, die dort arbeiten, wo nicht Zwangsgebühren monatlich einfach aufs Konto überwiesen werden, sondern wo man jeden Tag aufs Neue echte Kunden davon überzeugen muss, ein Produkt zu kaufen. Vielleicht gibt’s davon ja aber im DJV auch nicht so viele, oder sie gehören nicht zu Überalls Wählerbasis, oder beides.

„Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Sender für den Rundfunkauftrag auf Dauer die notwendigen Mittel erhalten müssen.“ (O-Ton Überall) Und neben der Bestandssicherung müssten die Sender auch eine Entwicklungsgarantie bekommen. (O-Ton Überall) Das Land, in dem Milch und Honig fließen – und Gebühren. Dort will der DJV-Chef seine Mitglieder wohnen lassen.

Wer in diesem Schlaraffenland nicht vorkommt, ist der Beitragszahler – der Bürger.

Korrektur: Er kommt doch vor – als Störfaktor. Denn unverhohlen zeigt Journalisten-Funktionär Überall seine Abneigung gegenüber öffentlichen Debatten. „Die Einführung eines Index hätte den Vorteil, den Rundfunkbeitrag aus einer zunehmend populistisch geführten Diskussion herauszunehmen.“ (O-Ton Überall)

Dass es womöglich aus den verschiedensten Gründen sinnvoll sein könnte, wenn ein Medium sich um Leser, Zuschauer und Hörer bemühen muss; dass es womöglich aus den verschiedensten Gründen sinnvoll sein könnte, wenn eine zwangsweise öffentlich finanzierte Institution sich regelmäßig vor der Öffentlichkeit rechtfertigen muss; was die „notwendigen Mittel“ denn sind, die die Sender für ihren Rundfunkauftrag erhalten müssen – all das soll aus der demokratischen öffentlichen Diskussion „herausgenommen“ werden.

Das vertritt der Bundesvorsitzende der größten Journalistengewerkschaft Europas. Es ist gruselig. Oder schlimmer.

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Und es wird absurd.

In einem Papier der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei von Mitte 2017 heißt es, das Indexmodell werde „die Akzeptanz des Beitrags bei den Bürgern erhöhen“. Das ist neu: dass sie in Kiel so viel Humor haben, da oben im Norden.

Nüchterner – und kritischer – sieht das ausgerechnet die „Linke“: „Die Beitragshöhe zu einer rein technischen Frage zu machen, birgt das Risiko, dass die Akzeptanz zurückgeht,“ erklärt die medienpolitische Sprecherin Doris Achelwilm. „Tatsächlich brauchen wir in Zeiten des tiefgreifenden Medienwandels gerade eine breite gesellschaftliche Diskussion darüber, was die Öffentlich-Rechtlichen leisten sollen.“

Man möchte es dem DJV-Vorsitzenden irgendwohin tätowieren.

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Die Diskussion darüber, was eine vom Bürger zwangsweise bezahlte Sache leisten soll und was sie im Gegenzug kosten darf, ist ein wichtiges – nein: das wichtigste Element für die Rechtfertigung dieser Sache.

Den Wunsch nach „anstrengungslosem Wohlstand“ beklagte einst Guido Westerwelle (Gott hab‘ ihn selig). Spätestens jetzt ist der Wunsch bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angekommen. Sie sehen ihre Zukunft als eine Art autonomes Seminar der deutschen Gesellschaft: Bei ARD und ZDF verdienen Sie in der ersten Reihe.

Die sogenannten Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts haben Rundfunkfreiheit als „dienende Freiheit“ bestimmt: Rundfunk ist ein Faktor der Meinungsbildung (BVerfG – Urteil vom 28.02.1961 – BVerfGE 12,205 / 260 – Deutschland-Fernsehen, 1. Rundfunkentscheidung).

Meinungsbildung findet mittels Debatte statt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet dafür in Deutschland unbestritten eine wichtige Plattform. Und ausgerechnet die kontinuierliche Debatte über sich selbst wollen ARD, ZDF und DeutschlandRadio jetzt unterbinden. Wie pflichtvergessen muss man sein … Der Werbespruch der ARD „Wir sind deins“ sollte geändert werden: „Wir nehmen deins weg“.

Wenn jemand sich fragen sollte, weshalb immer mehr Bürger sich vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, von Politikern, von Gewerkschaftsfunktionären und oft auch von unserem Staat abwenden – voilà: Diese Debatte um den Rundfunkbeitrag liefert Antworten.

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