Tichys Einblick
Landtagswahl in NRW

Rote Illusionen, Schwarze Hoffnungen und grüner Sieg

Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen bestätigt sich: die treibende Kraft im Land sind die Grünen. Die SPD gibt sich der Illusion hin, Herr im Ring zu sein, die CDU hofft auf ihr grünes Wunder, während der linke Kurs der FDP sich rächt. Offenbar will man in Berlin die NRW-Ampel.

Thomas Kutschaty, Hendrik Wüst und Bettina Schausten am Wahlabend der 18. Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Landtag.

IMAGO / Future Image

Kevin Kühnert glich am Sonntagabend ein bisschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder in der berühmten Nacht seiner Abwahl. Auch dieses Mal hat die SPD eine herbe Niederlage hinnehmen müssen – zum zweiten Mal im Stammland. Das Ruhrgebiet war einmal die Herzkammer der Sozialdemokratie. Das historisch schlechteste Ergebnis hielt den Generalsekretär jedoch nicht davon ab zu verlautbaren: Schwarz-Gelb ist abgewählt, Rot-Grün ist möglich. Letztere sei die Lieblingsregierung im Bundesland.

Auch andere SPD-Politiker sehen in der schallenden Ohrfeige des gestrigen Wahlabends kein Menetekel für eine Kursänderung. Denn rein rechnerisch bleibt die Hoffnung auf eine Ampel in Düsseldorf. Die wäre allerdings, so sagt Thilo Sarrazin bei TE, ein psychologisches Desaster, handelte es sich doch um eine „Koalition der Verlierer“.

Nach der Landtagswahl
Thilo Sarrazin: Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen wird kommen
Inwiefern aber die Verantwortlichen noch ein Gespür für solche Signale haben, ist schon deswegen zweifelhaft, weil auch die rekordverdächtig geringe Wahlbeteiligung in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland kein Thema zu sein scheint. Nur 55,5 Prozent gingen an die Urnen. Die stärkste Partei war am Sonntag die Partei der Nichtwähler.

In der Hauptstadt dürfte zudem die grüne Bundespartei nicht tatenlos zuschauen, wenn es zu Verhandlungen zwischen Schwarz-Grün und Rot-Grün(-Gelb) kommt. Denn warum die Grünen, die im Bund mit den Sozialdemokraten regieren, auf Landesebene der Christdemokratie den Vorzug geben sollten, wäre zumindest aus machtpolitischer Perspektive gegenüber Kanzler Olaf Scholz schwierig zu erklären. Diese Konstellationen sind die entscheidenden.

Ähnlich sieht es INSA-Chef Hermann Binkert. Denn die Wähler der Grünen wollen die Ampel, und nicht Schwarz-Grün. Es wäre für die Grünen hochgefährlich, wenn sie die Ampel in Berlin durch ein schwarzgrünes Bündnis in Düsseldorf konterkarieren.

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INSA-Chef Binkert: Für die CDU liegen Sieg und Niederlage beieinander
Richtig ist die Beobachtung Sarrazins, dass es sich bei den Grünen mittlerweile um eine „Überpartei“ handelt. Es ist aber auch eine Bestätigung des grünen Kurses Deutschlands per se. Ob Energiewende, Agrarwende, Spritpreise, Tempolimit oder Transgender: offenbar haben diese Themen für den Wähler kein Abschreckungspotenzial. Der Weg in die klimafreundliche Ökorepublik wurde nicht nur in Nordrhein-Westfalen belohnt. In absoluten Stimmen sind die Grünen die einzige Partei zwischen Rhein und Ruhr, die gewonnen hat.

Ob es tatsächlich die Bundespolitik der Grünen ist, dem der Höhenflug geschuldet ist, bleibt eine offene Frage. In den Umfragen vor einem Jahr lag die Partei der damaligen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sogar deutlich vor CDU und SPD. Die Union hat seitdem deutlich Boden wettgemacht. Doch gleich, wie man das Ergebnis bewerten will: es sind nunmehr die grünen Parteispitzen, die entscheiden, wie dieses Land regiert wird – und das nicht nur in NRW, angesichts der Bedeutung des Bundesrates. Es gibt kaum noch ein Bundesland ohne grüne Beteiligung. Die CDU hat nur scheinbar, die Grünen wirklich gewonnen.

Während Kühnert und andere Ideologen eine Rot-Grün-Gelbe Koalition – die aber de facto eine Grün-Rot-Gelbe sein würde – noch als Wahlsieg der lädierten Sozialdemokratie verkaufen werden, dürften die Pragmatiker der Macht im Kanzleramt dagegen aufhorchen. Es ist die zweite verlorene Wahl – womöglich mit Scholzeffekt? Bisher findet sich kein Mittel gegen die „grüne Überpartei“. Eine reine Kopie der Öko-Ideologie kann für die Roten keine Alternative sein: am Beispiel der FDP hat sich exemplarisch gezeigt, dass der Wähler das Original bevorzugt und die Kopie abstraft.

NACH DER Landtagswahl in NRW
Das NRW-Desaster der FDP ist auch ein Lindner-Desaster
Dabei ist das FDP-Desaster auch ein Lindner-Desaster. Selten hat ein Parteivorsitzender so deutlich an seiner Wählerklientel vorbei gesprochen. FDP-Handeln wird offensichtlich allgemein als grün wahrgenommen und nicht als genuin liberal. Wenn jemand wie der FDP-Mann Johannes Vogel den Grünen vor der WDR-Kamera „ganz besonders und ganz heftig“ mit breitem Lächeln gratuliert, während die eigene Partei kollabiert, dann spricht das Bände.

Solange kein Mittel gegen das grüne Kraut gewachsen ist, wird die Sozialdemokratie deswegen dem unheimlichen Koalitionspartner Zugeständnisse machen. Wie Scholz bei der nächsten Wahl damit verhindern kann, dass ein grüner Kanzler ihn beerbt, bleibt ein Geheimnis. Ähnlich wie in der Ukraine hofft der Sozialdemokrat wohl, auf Merkel’sche Art Probleme aussitzen zu können. Auch hier zeigt sich: die Ampel ist nur eine Regierung auf Zeit. „Wir werden in den nächsten Jahren eine Allparteienregierung haben unter dem moralischen Führungsanspruch der Grünen“, sagt Sarrazin. Als Schattenpartei regiert sie bereits jetzt.


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