Tichys Einblick
Nichts ist entschieden

Rot-Rot-Grün – demoskopisch und politisch

Demoskopisch hat Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl 2017 rechnerisch keine Chance. Können besonders radikale Merkel-Gegner, die Linkspartei wählen statt AfD, das Linksbündnis doch noch möglich machen?

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Für Rot-Rot-Grün signalisieren die Umfragen der üblichen Institute im Schnitt keine Mehrheit. Bei Forsa wie bei Infratest bleiben die drei aktuell zusammen deutlich unter 43%. Dass etwas nicht zu gehen scheint, war noch nie ein Hindernis, es anzustreben. Wie Markus Wehner in der aktuellen FAS – also nicht in der taz – über ein Treffen von Abgeordneten der SPD, der Linkspartei und der Grünen in einem Saal des Bundestages schreibt, zeigt, dass die Protagonisten von Rot-Rot-Grün auf mediale Unterstützung durchaus zählen können:

„Eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt es schon heute im Bundestag. Hätte Sigmar Gabriel dort vor einigen Monaten die Vertrauensfrage gestellt, er hätte möglicherweise als Bundeskanzler in den Wahlkampf ziehen können. Es wäre ein riesiger Vorteil, als Regierungschef in eine Bundestagswahl zu gehen. Gabriel hat es nicht gewagt. Eine solche Operation wäre Harakiri gewesen, sagen selbst die Befürworter von Rot-Rot-Grün in der SPD. Die derzeitige Mehrheit der drei Parteien beträgt vier Stimmen, das sei zu wenig, um so etwas zu riskieren. In der Linkspartei gebe es schlicht zu viele unberechenbare Abgeordnete.“

Zum Treffen kamen fast hundert Parlamentarier. Die drei Generalsekretäre sprachen und es „tauchten konservative SPD-Leute auf, bisher eingefleischte Gegner eines Bündnisses mit den Ex-Kommunisten.“ Gabriel kam ebenfalls – unangekündigt – und ging nach einer halben Stunde wieder, ohne gesprochen zu haben. Das war nicht nötig, der Besuch sprach für sich selbst. Von Wehner erfahren wir:

„Nur zwei Stunden später fand sich der SPD-Chef mit Generalsekretärin Katarina Barley im Schlepptau im Restaurant ‚Paris-Moskau‘ ein, um im kleinen Kreis weiter mit Abgeordneten der drei Parteien über die Chancen eines Linksbündnisses zu sprechen. Das Treffen war schon lange vorher geplant gewesen.“

Da Markus Wehner im „Paris-Moskau“ nicht dabei gewesen sein dürfte, geht sein Bericht auf ein Briefing aus dem Willy-Brandt-Haus zurück. Dass die FAS das Linksbündnis als Chance darstellt, während die taz „Die fünf Hindernisse für Rot-Rot-Grün“ zu ihrem Thema macht, ist eine interessante Nebenerkenntnis.

Mit einem anderen Text aus seiner Feder hat Wehner den hier zur Rede stehenden Bericht nicht verbunden. Über eine Allensbach-Studie im Auftrag der FAZ schrieb er:

„Die AfD ist die Partei der Zurückgebliebenen. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach für diese Zeitung. Demnach sagten 38 Prozent der AfD-Anhänger, sie gehörten ‚zu denen, die zurückbleiben, während es vielen anderen in Deutschland immer besser geht‘. Das ist mehr als bei jeder anderen Partei. Es folgen die Anhänger der Partei Die Linke mit 33 Prozent, der SPD mit 23 Prozent und der Union mit 17 Prozent. Am wenigsten stimmten dieser Aussage die FDP-Anhänger (13 Prozent) und der Grünen (10 Prozent) zu.“

90 Prozent der Grünen zählen sich also – realistisch und nicht überraschend – zu denjenigen, denen es „immer besser geht“.

38 Prozent der AfD-Anhänger sollen sich nach Allensbach „abgehängt“ fühlen und 33 Prozent der Linkspartei-Anhänger – mit 10 Prozent bei den Grünen weniger als bei der FDP mit 13. Was also ein „Linksbündnis“ ist, sollte neu definiert werden.

Rot-Rot-Grün dürfte dem Szenario Wehner des fliegenden Kanzler-Wechsels vor der Bundestagswahl wohl nicht mehr folgen. Nach der Wahl hat diese Koalition nach derzeit allgemeiner Einschätzung rechnerisch keine Mehrheitschance. Doch da gibt es eine Unbekannte, über die bisher öffentlich niemand spricht. Ich beobachte in den Social Media eine langsam wachsende Stimmung bei einer Minderheit, die sagt, AfD wählen ändert doch nichts daran, dass Merkel weitermacht. Lass‘ uns Linkspartei wählen, damit die Katastrophe Rot-Rot-Grün die Ära Merkel beendet. Dann sehen wir schon weiter.

Eine Minderheit – wie gesagt. Wie groß muss sie werden, bis genug besonders radikale Merkel-Gegner Rot-Rot-Grün möglich machen?

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