Tichys Einblick
Erfolgsgeheimnis aufgedeckt

Robert Habecks Erfolgsrezept ist viel reden, wenig tun

Die Beliebtheitswerte des grünen Vizekanzlers sind bemerkenswert – vor allem gemessen an dem, was er liefert. Eine Erklärung für das Phänomen findet sich in einem seiner Bücher.

IMAGO / photothek

Der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck hält sich seit Monaten an der Spitze des Bekanntheits- und Beliebtheitsrankings der Koalitionspolitiker, und das mit deutlichem Abstand. Laut ZDF-Politbarometer, das auf Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen beruht, stand er im Juni mit einem Wert von 2,1 ganz oben, mit 1,6 folgt Annalena Baerbock in deutlicher Distanz. Bundeskanzler Olaf Scholz rangiert bei 1,1, den Schluss der Tabelle markiert Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit minus 0,7. Damit zieht Habeck auch seine Partei nach oben: im Juni lag sie mit 25 Prozent Zustimmung auf Platz zwei, und nur noch einen Prozentpunkt hinter der Union.

Seine Beliebtheit wirkt um so erstaunlicher, als sich in seinem Ressort die größten ungelösten Probleme der Republik bündeln, und zwar Probleme akuter Art, die sich nicht erst in der ferneren Zukunft entfalten wie beim kernmaroden Rentensystem. Was der Wirtschaftsminister verwaltet und verantwortet, spüren Millionen Bürger schon in wenigen Monaten. Erstens die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke zum Jahresende, auf die der Wirtschaftsminister aus Parteiräson besteht, obwohl sich mittlerweile in einer infratest-dimap-Umfrage für die ARD 61 Prozent der Befragten für einen Weiterbetrieb aussprechen. Immerhin bedeutet das Betriebsende für die drei Anlagen, mitten in der schwersten Energiekrise der Bundesrepublik und noch dazu im Winter ohne Not fünf Prozent der Stromproduktion vom Netz zu nehmen. Gleichzeitig plant Habeck auch die Abschaltung von Gaskraftwerken, weil der Brennstoff wegen der russischen Lieferungsreduktion rationiert werden muss.

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Das zweite Großproblem auf seinem Tisch betrifft die Wärmefrage für Millionen Haushalte. Schon ab 2024 dürfen nach dem Willen der Bundesregierung keine neuen Gas- und Ölheizungen mehr eingebaut werden. Dort, wo Mieter und Eigentümer nicht mit Fernwärme versorgt werden (von der durch den geplanten Kohleausstieg demnächst auch der größte Teil wegfällt), bleibt den Haushalten nur der Einbau einer Wärmepumpe – also einer elektrisch betriebenen Heizungsanlage. Nach Habecks Plan sollten deshalb ab 2023 jährlich 500 000 dieser Geräte installiert werden – obwohl es dafür nicht annähernd die nötigen Monteure gibt. Schon beim Einbau der 154 000 Wärmepumpen im vergangenen Jahr operierte die Branche an ihrer Kapazitätsgrenze.

Und drittens fällt der Weiterbetrieb der Raffinerie in Schwedt in Habecks Zuständigkeit. Die Anlage gehört mehrheitlich dem russischen Konzern Rossneft, ihre 12 Millionen Tonnen russischen Erdöls bezieht sie aus der Drushba-Pipeline. Diesen Import will die Bundesregierung schnellstmöglich beenden. Allerdings hängt von der Raffinerie in Schwedt die Treibstoffversorgung des gesamten Raums Berlin-Brandenburg ab. Zweitens stehen auch 700 Arbeitsplätze in einer Region auf der Kippe, in der bis 2030 schon alle Kohle-Jobs wegfallen sollen.

Wer verstehen will, warum Habeck an der Beliebtheitsspitze steht, obwohl er bisher für keine der multiplen Krisen eine plausible Lösung anbieten kann, findet Aufschluss in seinem Buch von 2018 „Wer wir sein könnten“. Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht“. Dort lautet ein Kernsatz: „Sprache ist in der Politik das eigentliche Handeln.“ Im politischen Sprechen müsse auch das Zuhören deutlich werden, das Abwägen, die Selbstreflexion. „Das Gegenüber zu sehen und ernst zu nehmen“, schreibt Habeck, „auf Gegenargumente einzugehen, Fragen nicht gleich mit Antworten zuzudröhnen, auf Widersprüche einzugehen, auf Phrasen zu verzichten, vielleicht sogar eigene Zweifel und Ängste zu thematisieren – das sind Elemente sprachlicher Offenheit.“

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Gegen diese normative Festlegung kann kaum jemand etwas einwenden. Das Normative beschreibt bekanntlich Dinge und Vorgänge so, wie sie sein sollten. Das Gegenstück, das Deskriptive, sagt etwas darüber, wie sie sich dem Betrachter tatsächlich darstellen. In Robert Habecks Kommunikation verschwimmt regelmäßig die Grenze zwischen normativ und deskriptiv, und das nicht aus Versehen. Mit genau dieser Methode stieg er allerdings mit Hilfe der Medien auch zum beliebtesten Politiker des Landes auf. An einem Video des Wirtschaftsministeriums, in dem der Ressortchef die Abschaltung der Kernkraftwerke begründet, zeigt sich Habecks Kommunikationskunst mustergültig.

Dort spricht er via Kamera die Bürger direkt an und er erläutert ihnen, wie lange und gründlich er die Argumente für und wider die Abschaltung abgewogen habe. Immerhin würden sie ja fünf Prozent des Strombedarfs im Land abdecken, es falle also nicht leicht, gerade jetzt darauf zu verzichten. Als nächstes erklärt er die rechtliche Lage – das Atomausstiegsgesetz schreibe fest, dass die Genehmigung zum Betrieb am 31. Dezember 2022 ende. Bis dahin seien auch die Brennelemente verbraucht. Ersteres, schiebt er ein, könnten Regierung und Parlament aber ändern.

Aber dann bleibe noch die Sicherheitsfrage: Kernkraftwerke müssten in regelmäßigen Abständen tiefenüberprüft und dafür vom Netz genommen werden. Um sie über das Jahresende hinaus am Netz zu halten, müssten sie, argumentiert er, deshalb jetzt abgeschaltet werden – und das ginge wegen der angespannten Versorgungslage nicht, die aber demnächst dank Flüssiggas-Import aus anderen Quellen bestimmt besser werde. Es bliebe aber noch die Option, erläutert Habeck, die Anlagen ohne Revision weiterlaufen lassen. Aber „dieses Risiko bin ich nicht bereit zu akzeptieren“, schließt der Minister seine Argumentation ab, gerade jetzt, wo Cyberangriffe auf die Energieinfrastruktur drohten. Damit vermittelt er den Eindruck des skrupulösen Politikers, der Pro- und Contrapunkte hin und her wendet, um sich am Ende für die größtmögliche Sicherheit zu entscheiden.

In diesem Video finden sich alle Lehrsätze aus seinem Buch: Er spricht unmittelbar zu seinem Gegenüber, geht rhetorisch auf Argumente ein und führt einen Abwägungsprozess vor. Und das alles in einer unbürokratischen Sprache, die sich grundlegend von den dürren bis schnippischen Verlautbarungsformeln eines Olaf Scholz unterscheiden. Nur: an Habecks Argumentationsgebäude darf niemand tippen. Erstens ließe sich mit einer sparsamen Fahrweise die Lebensdauer der Brennelemente in den drei Atommeilern in die ersten Monate 2023 verlängern. Das US-Unternehmen Westinghouse bot bereits an, Brennstäbe relativ schnell zu liefern – nur bestellt werden müssten sie jetzt. In der Zeit, in der die Kraftwerke ohnehin stillstünden, bis die neuen Brennelemente eintreffen, könnte bequem die Revision stattfinden. Und Cyberangriffe drohen Kraftwerken und dem Energienetz tatsächlich – aber ihre Abwehr hat nichts mit der routinemäßigen Sicherheitsüberprüfung eines Reaktors zu tun.

Auf Anfrage von TE hatte Habecks Ministerium sogar eingeräumt, dass es möglich wäre, die drei Kraftwerke mit neuem Brennmaterial ab Sommer/Herbst 2023 weiter zu betreiben. Zu den tatsächlichen Argumenten sagt Habeck in dem Video also nichts. Er antwortet stattdessen auf selbstgestellte Fragen, die in sein Konzept passen.

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Diese Technik nutzt er auch erfolgreich beim zielgerichteten Vorbeireden an dem Wärmepumpen-Problem. Abgesehen davon, dass er nicht erklärt, woher der Strom für die sechs Millionen Wärmepumpen kommen soll, die nach seinen Vorstellungen bis 2030 verbaut werden sollen – er geht tatsächlich ein wenig auf den Fachkräftemangel ein, der die Planzahlen von vorn herein illusorisch machen. Eine halbe Million neue Wärmepumpen im Jahr, das wäre mehr als dreimal so viel wie 2021. Im Vorjahr steigerten sich die Einbauzahlen um 28 Prozent zum Vorjahr – und schon mit diesem Kraftakt bewegte sich die Branche im roten Bereich. Nach Angaben des Heizungs-und Sanitärverbandes fehlen derzeit gemessen an der Nachfrage schon gut 60 000 Fachkräfte. Der Fachkräftemangel sei ihm bekannt, meinte Habeck schon vor der Bundespressekonferenz, als er seine Energiewendepläne präsentierte. Er hoffe auch auf Einwanderung, um die notwendigen Arbeiter zu bekommen.

Dass sich angesichts der Hauptherkunftsstaaten der Migration – Syrien, Irak, Afghanistan – sehr viele Heizungsmonteure unter den Asylbewerbern befinden, wird er selbst nicht glauben. Und aus der Ukraine kommen derzeit vor allem Frauen, Kinder und Männer über 60 nach Deutschland. Neuerdings bringt der Wirtschaftsminister deshalb eine Schnellqualifikation von Arbeitskräften ins Spiel. Natürlich kann niemand das Wissen für den Einbau und die Wartung von Wärmepumpen in Blitzschulungen erwerben. Wäre das möglich, und gäbe es so viele Schulungswillige, dann hätten es die Betriebe schon längst versucht, die händeringend Fachkräfte suchen. Habecks Ideen wirken etwa so realistisch wie der Vorschlag seines Kabinettskollegen Hubertus Heil, massenhaft Gepäckabfertiger und Kontrolleure aus der Türkei einzufliegen, um das Chaos an den deutschen Flughäfen zu mildern, so, als ob beschäftigungslose, aber bestens qualifizierte Fachkräfte schon in Ankara für Jobs in Düsseldorf und anderswo anstehen würden. Aber auch hier hilft Habeck dreierlei: erstens, dass er das Problem der fehlenden Fachkräfte überhaupt anspricht, und versichert, wie sehr er sich sorgt. Schon das wird bei vielen Medien positiv vermerkt. Zweitens neigen die meisten Journalisten nicht dazu, dem populärsten Politiker der Republik mit bohrenden Fragen zuzusetzen – zumal er ja schon so gut selbst Fragen stellt, um sie zu beantworten. Und drittens stellt sich erst Ende 2023 heraus, dass die Wärmepumpen-Planzahlen nicht eingehalten wurden. Bis dahin vergeht noch viel Zeit.

Zu den positiven Zügen Habecks gehört es, Konfrontationen nicht auszuweichen. Im Mai stellte er sich der Belegschaft des PCK Schwedt; er sprach mit den Beschäftigten, ging auf ihre Fragen ein und wählte einen verständnisvollen Tonfall. Das unterscheidet ihn schon gravierend von Scholz, der auf der Mai-Kundgebung sein Publikum beschimpfte, erst Recht von einem Minister Karl Lauterbach, der kürzlich bei einer Gewerkschaftskundgebung in NRW behauptete, die Arbeit der ungeimpften Pfleger und Krankenschwestern sei wertlos. Solche Grobheiten unterlaufen dem Vizekanzler kaum. In Schwedt erläuterte er einen allerdings sehr vagen Plan, das russische Öl aus der Pipeline durch Öl aus anderen Staaten zu ersetzen, das künftig in Rostock und Danzig angelandet werden und per Röhre in die Raffinerie kommen soll. Die dann zwangsläufig höheren Kosten für die Raffinerie werde die Bundesregierung übernehmen: „Christian Lindner bezahlt sozusagen.“ Natürlich ist es nicht der Finanzminister, der die Kosten deckt, sondern die Steuerzahler. Außerdem arbeite er, so Habeck vor den Beschäftigten, an dem Plan, Rossneft das Geschäft in Schwedt durch eine faktische Enteignung über die Bundesnetzagentur aus der Hand zu nehmen. „Wenn alles klappt, dann haben Sie eine Jobsicherheit für die nächsten Jahre“, so Habeck. Ob es funktioniert, wisse er allerdings nicht: „Das hat noch nie jemand geübt.“

Auch hier führt er alle rhetorischen Instrumente vor: Abwägen, Verständnis zeigen, Zweifel nicht verschweigen. Es fehlt nur die Antwort darauf, was mit den Beschäftigten passieren soll, wenn sein Plan nicht aufgeht. Aber vor allem bei den mitgereisten Journalisten kommt es an, wenn der Minister in Schwedt auf einem Tisch steht und der Belegschaft versichert: „Ich will Sie hier nicht vergackeiern.“ Das gilt als ehrlich, und offen – auch, wenn es den Arbeitnehmern konkret nicht weiterhilft.

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Über Habecks Wirkung entscheiden nicht die Beschäftigten in Schwedt. Auch nicht die Chefs der Installationsfirmen, die nicht wissen, woher sie im Handumdrehen tausende neue Facharbeiter bekommen sollen. Noch nicht einmal die privaten Gasverbraucher entscheiden, die im kommenden Jahr wahrscheinlich Nachzahlungen von 3000 Euro und mehr aufbringen müssen. Entscheidend für seine Spitzenwerte bleibt die Gunst der großen Medien. Und die mögen ihn neben ihrer Grundaffinität für Grün schon deshalb, weil sich über Habeck Geschichten erzählen lassen, weil er griffige Zitate liefert und – für TV-Medien ganz wesentlich – vor der Kamera gut wirkt. Er besitzt das rare Talent, so zu tun, als gäbe es den technischen Kanal gar nicht, und als würde er direkt zu den Zuschauern sprechen. „Die Kamera schwenkt hin und her, es wirkt wie einfach mal schnell draußen aufgenommen. Er wählt eine direkte und nüchterne Ansprache, verzichtet auf leere Worthülsen“, lobt beispielsweise eine T-Online-Redakteurin eines seiner ministeriellen Videos – wobei nicht ganz klar wird, was man sich unter vollen Worthülsen vorstellen sollte.

Für den Reporter des „Tagesspiegel“, der Habecks Auftritt in Schwedt beschreibt, spielen die 700 Beschäftigten dort nur eine Statistenrolle. Er schildert vor allem den authentischen, arbeiternahen Habeck, ohne sich besonders viel kritische Distanz zu bemühen: „Das Interesse an Robert Habeck ist zu groß“, so der „Tagesspiegel“: „Die Kantine in der Raffinerie in Schwedt ist brechend voll mit Mitarbeitern in blau-orangener Arbeitskleidung, doch vor den Türen warten noch deutlich mehr Beschäftigte. ‚Wir haben ein Platzproblem‘, erkennt schließlich eine Mitarbeiterin und bittet alle Beschäftigten auf die Terrasse im Freien. Hastig schiebt das BKA dort in der Abendsonne ein paar Tische als provisorische Tribüne zusammen. Doch dann kommt der Bundeswirtschaftsminister und steigt auf einen anderen Tisch, der deutlich näher an den Beschäftigten steht.“

Solange es Medienbegleitung dieser Sorte gibt, muss sich Habeck keine Sorgen um seine Position in der Politikertabelle machen. Sein unbestreitbares Performancetalent dürfte ihm auch in Zukunft helfen, sich von deutlich weniger begabten Kabinettskollegen wie Scholz, Lauterbach und Lambrecht abzuheben. Aber auch von Baerbock, deren Sprache aus den immergleichen Textbausteinen besteht, erst Recht einer Phrasen-Jukebox wie der grünen Parteichefin Ricarda Lang. Das Risiko, dass sich Habeck in einem ARD-Studio jemals einem Kreuzverhör durch zwei gut vorbereitete und professionell distanzierte Journalisten stellen müsste, ist überschaubar.

Sprechen ist Handeln – das bedeutet für den Vizekanzler vor allem: Er bereitet mit allem, was er sprachhandelnd tut, seine Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2025 vor.

Seine Chancen dafür stehen blendend.

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