Tichys Einblick
Enthüllte Geheimdokumente

Corona: Die immer noch unterschätzte Staatsaffäre

Was das Robert-Koch-Institut (RKI) unbedingt verhindern wollte, ist jetzt doch passiert: Aus dem inneren Kreis der Behörde sind vertrauliche Papiere, Einschätzungen und Vermerke ungeschwärzt an die Öffentlichkeit gelangt. Die 4.000 Seiten zeigen, wie sehr Regierung und Beamte das Volk belogen haben.

Christian Drosten, Lothar Wieler und Karl Lauterbach, Pressekonferenz in Berlin am 14. Januar 2022

picture alliance / NurPhoto | Emmanuele Contini

Es gibt noch Menschen mit Ehre. Eine ehemalige Mitarbeiterin des RKI hat eine riesige Menge an internen Dokumenten der wichtigsten deutschen Gesundheitsbehörde an Journalisten weitergegeben. Das RKI hatte bisher mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass das Material öffentlich bekannt wird.

Zwar kamen nach und, quasi scheibchenweise, Auszüge ans Licht – vor allem, weil Paul Schreyer und sein Portal „Multipolar“ deren Herausgabe erfolgreich eingeklagt hatten. Aber die Behörde rückte trotzdem nicht alle Papiere heraus – und wenn doch, dann teilweise mit absurd umfangreichen Schwärzungen.

Jetzt liegen erstmals 4.000 Seiten komplett vor – darunter 1.500 Seiten, die bisher gar nicht verfügbar waren, weder geschwärzt noch leserlich. Dazu kommen noch einmal etwa zehn Gigabyte an ergänzenden Daten: Grafiken, Tabellen, interne Power-Point-Präsentationen.

Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz haben die Journalisten Aya Velazquez und Bastian Barucker sowie der Finanzwissenschaftler und Daten-Experte Stefan Homburg die Enthüllungen jetzt vorgestellt. Die Ergebnisse sind noch erschütternder, als zu erwarten war.

Viele Menschen wollen sich mit den zweieinhalb Pandemie-Jahren am liebsten nicht mehr befassen. Manche wollen ihre eigene Rolle dabei lieber schnell vergessen, manche sind von dem Thema einfach übersättigt, für manche ist die Erinnerung an die Zeit auch einfach zu schmerzhaft. Doch die intensive Aufarbeitung ist völlig unausweichlich. Denn die jetzt enthüllten Geheimdokumente zeigen in bisher ungekannter Klarheit:

Der Corona-Komplex in Deutschland war – und ist immer noch – eine unterschätzte Staatsaffäre.

Durch die Dokumente lassen sich jetzt die angeblich wissenschaftlichen Empfehlungen des RKI auf deren wissenschaftliche Grundlagen hin überprüfen. Und es zeigt sich: Das RKI hat nicht erst Wissenschaft gemacht, dann mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen die Politik beraten, welche dann ihre Entscheidungen traf. Tatsächlich war es genau andersherum.

Inhaltlich ist das RKI die „biomedizinische Leitforschungseinrichtung“ der Bundesregierung. Formal ist das RKI als Obere Bundesbehörde dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt. Das wird aus den Papieren überall sichtbar: Der Minister machte Vorgaben in technischen, also inhaltlichen, Fragen. Er empfahl Impfungen, obwohl RKI-Mitarbeiter notierten: „Dazu liegen uns aber weder national noch international Daten vor.“ Das Institut erfuhr aus der Presse von politischen Kehrtwenden des Ministers, die es selbst nicht empfohlen hatte.

Besonders apart ist eine kurze Korrespondenz zweier RKI-Leute in einem Vermerk. Es geht um die Aussage des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach, es handele sich um eine „Pandemie der Ungeimpften“. Das hielten die Fachleute schlicht für Quatsch:

RKI-Mitarbeiter A:
„‚Pandemie der Ungeimpften‘ ist fachlich nicht korrekt. Dürfen wir das öffentlich sagen?“

RKI-Mitarbeiter B:
„Nein.“

Das ist kein Einzelfall. Zahlreiche interne RKI-Vermerke weisen ausdrücklich darauf hin, dass öffentliche Aussagen von Lauterbach und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse sich oft widersprachen.

Ein neues, noch zweifelhafteres Licht werfen die Dokumente auch auf die Rolle von Christian Drosten. Der hatte auf Anfrage des RKI der Entschwärzung jener Stellen, in denen er namentlich genannt wird, übrigens nicht zugestimmt. Öffentlich tat er dagegen so, als sei das für ihn kein Problem.

Es mag Gründe dafür geben, dass der „Corona-Papst“ nicht will, dass man sich weiter mit seinem Wirken befasst. Die Papiere zeigen, wie eng der Mann mit der Bundesregierung verflochten war. Drosten zog offenbar sogar einen wissenschaftlichen Empfehlungsentwurf zurück, weil darin Maßnahmen der Regierung kritisiert worden wären: Das von der Bundesregierung propagierte ungezielte Testen hielt er im vertraulichen Kreis nicht für sinnvoll. Er verzichtete aber ausdrücklich darauf, diese Ansicht öffentlich zu machen.

Die Papiere zeigen auch, dass aufrechte Mitarbeiter des RKI vor allem in der Corona-Frühphase einen Drei-Fronten-Krieg führten: gegen die Bundesregierung, gegen die Pharma-Konzerne – und gegen die eigene Behördenleitung.

Als die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA auf Druck von Pfizer entschieden hatte, bei der Einführung eines Corona-Impfstoffs auf die sogenannten Phase-III-Studien zu verzichten, hielten die Wissenschaftler im Institut das für zu riskant und waren dagegen. Öffentlich machen durften die Behörden-Mitarbeiter ihre schweren Bedenken freilich nicht.

Auch als Pfizer und die deutsche Politik aus allen PR-Rohren schossen und den Impf-„Booster“ forderten, war das RKI intern aus wissenschaftlichen Gründen skeptisch. Wörtlich wird in den Vermerken angeführt, dass „bisher nicht ausreichend Daten vorhanden“ seien.

RKI-Chef Lothar Wieler bügelte alle Einwände ab. Legendär ist sein Satz: „Die Maßnahmen dürfen nicht hinterfragt werden.“ Die Risiko-Einschätzungen des RKI waren die Grundlage für alle Corona-Maßnahmen. Doch genau diese vermeintlich wissenschaftlichen Einschätzungen folgten ausdrücklichen Vorgaben aus dem Ministerium.

Viele Menschen fragen: Warum soll man sich noch mit dem Blick in den Rückspiegel beschäftigen? Die Antwort ist: Weil ein paar Millionen Menschen durch das Handeln von Politik und RKI schwer geschädigt wurden. Und zwar nicht nur die Alten, sondern vor allem auch die Kinder.

Bastian Barucker nennt auf der Enthüllungs-Pressekonferenz die Zahl von 73 Prozent der Kinder, die bei uns nicht durch das Virus, sondern durch die Maßnahmen psychisch schwer belastet wurden und oftmals immer noch sind – so viele wie in keinem anderen Land Europas. Dabei zeigen die Dokumente, dass nach Auffassung des RKI Kinder niemals signifikant gefährdet waren – und erst recht keine Verbreiter des Virus. Wörtlich steht in einem Vermerk: „Kinder sind keine wichtigen Transmissionsriemen.“

Christian Drosten empfahl Schulschließungen, obwohl das RKI die für überhaupt nicht sinnvoll hielt. Und als Jens Spahn noch Gesundheitsminister war, ordnete er ausdrücklich an, dass in einem RKI-Papier eine Passage eingefügt werden müsse, in der Schulschließungen positiv bewertet werden.

Intern hielten die RKI-Leute auch eine generelle Maskenpflicht – vor allem an Schulen – nicht für hilfreich, sondern sogar für eher schädlich. Die Regierung entschied sich trotzdem für die Maskenpflicht. Den Steuerzahler kostete das ein paar Milliarden Euro.

Mindestens zwei Sitzungen im RKI fehlen auch in den neuen Papieren. Die Vermutung liegt nahe, dass dort so brisante Dinge besprochen wurden, dass man von Anfang an einfach darauf verzichtet hat, überhaupt ein Protokoll anzufertigen.

Nein, die Aufarbeitung des Corona-Komplexes ist noch lange nicht vorbei.

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