Berlin. Der Buchautor und Richter Thorsten Schleif sieht die Justiz in Deutschland teilweise auf dem Rückzug. „Eine schwache Staatsgewalt, die sich zurückzieht, bildet eine Art rechtsfreien Raum“, sagt der Jurist, der als Vorsitzender des Schöffengerichts und als Jugendrichter am Amtsgericht Dinslaken arbeitet, im Gespräch mit dem am Montag erscheinenden Magazin Tichys Einblick. „Egal ob für Links- oder Rechtsextreme oder für gewaltbereite Ausländer: Toleranz kann sich nur der Stärkere erlauben. Diese Stärke haben wir momentan nicht. Wir haben den Rechtsstaat zurückweichen lassen.“
Zu viel Rücksichtnahme auf Täter aus fremden Kulturkreisen hält Schleif für falsch. „Ein in Deutschland geschehenes Verbrechen muss nach hiesigen Maßstäben beurteilt werden. Ehrenmorde sind nicht akzeptabel.“ Gleiches gelte für Clankriminalität. Doch die Justiz sei aktuell völlig überfordert. „Unser System funktioniert nur so lange, wie sich keine Herausforderungen stellen“, sagt der Jurist.
„Die Richter sind ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen. Zum Beispiel ist die Zahl der Asylverfahren von 2007 bis 2017 um 1650 Prozent gestiegen. Die damit verbundene zusätzliche Arbeitsbelastung kann kaum aufgefangen werden.“ Und es werde schlimmer, weil in den nächsten zehn Jahren 40 Prozent der Richter und Staatsanwälte pensioniert werden, es aber viel zu wenig qualifizierten Nachwuchs gibt, der bereit ist, im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Die Arbeitsbelastung sei deutlich höher als bei großen Privatkanzleien bei schlechterer Bezahlung. „Das Einstiegsgehalt in einer Großkanzlei beträgt bis zu 140.000 Euro jährlich – das verdient in Deutschland kein OLG-Präsident, geschweige denn ein junger Richter.“
Die Justiz nehme die Sorgen der Menschen zum Teil nicht ernst genug. „Wir haben seit 2015 in der Bevölkerung die Sorge, dass insbesondere die Ausländerkriminalität erhöht ist. Tatsächlich sieht man in der Statistik des BKA für 2018, dass 34 Prozent der Tatverdächtigen Ausländer sind. Die Zahl der Tatverdächtigen bei Mord, Totschlag oder Tötung auf Verlangen liegt sogar bei 43 Prozent. Die Sorge der Bevölkerung muss also ernst genommen werden.“ Dass man wegen solcher Feststellungen angegriffen wird, ist für den Richter unverständlich. „Ich verstehe nicht, wieso man da gleich losschreit. Das ist die Statistik. Wenn man anfängt, die Statistik zu verleugnen, verleugnet man die Realität.“
Thorsten Schleif, Urteil: ungerecht. Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt. Riva, 192 Seiten, 19,99 €.
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