Tichys Einblick
"Operation Abendsonne"

Posten für Parteifreunde: Report Mainz wirft ein Licht auf den XXL-Staat

Das ARD-Fernsehmagazin "Report Mainz" vermittelt in einem kleinen Beitrag einen Eindruck davon, was öffentlich-rechtlicher Journalismus sein könnte: Die Beförderungs- und Einstellungspraxis der Ministerien in Bund und Ländern macht den Staat zur Beute der Parteien.

screenprint ARD / Report Mainz

„Report Mainz“ zeigte in seiner gestrigen Ausgabe mit einem kaum sechsminütigen Beitrag, was öffentlich-rechtlicher Fernsehjournalismus sein kann, wenn seine Macher ihre Aufgabe ernst nehmen. Er handelt vom „Staat XXL“, also der durch zusätzliche Mitarbeiter aufgeblähten Ministerialbürokratie. Und vor allem von der in Ministerien praktizierten „Operation Abendsonne“, also der Beförderung oder zusätzlichen Einstellung von Parteifreunden gegen Ende einer Legislaturperiode. 

Was der zitierte „hohe Landesbeamte“ da anonym erzählt, könnten wohl unzählige andere Insassen eines deutschen Landes- oder Bundesministeriums mit ähnlichen Geschichten ergänzen: „Als klar war, dass der Minister geht, sollte ich aufschreiben, wo ich in Zukunft arbeiten möchte. Ich habe mir einfach mal eine Beförderung gewünscht. Die habe ich dann auch bekommen. Ich finde, die Sitten verlottern immer mehr. Damit meine ich, es gibt immer mehr Stellen und die werden dann aus Dankbarkeit oder Versorgungsgründen an Parteifreunde vergeben. Und bei so manchem fragt man sich dann, was macht der überhaupt.“ 

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Diese Sitten kann man mit öffentlichen Zahlen recht gut unterlegen. Und das tut Report Mainz: „Zu Beginn der Ära Merkel gab es im Kernbereich der Bundesregierung rund 21.600 Stellen, jetzt sind es fast 26.200.“ Vor allem in der vergangenen Legislatur hat die Große Koalition ihren Ministerialbetrieb deutlich aufgebläht: +2500 Stellen. Dazu kommt – von Report Mainz unerwähnt – ein noch personalstärkerer Anhang von Behörden und sogenannten „Projektträgern“, die in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen wurden. Und neuerdings ein noch viel unübersichtlicheres Geflecht von mehr oder weniger staatlich alimentierten „Nichtregierungsorganisationen“ (NGOs) und staatlichen Stiftungen.

Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler wird interviewt. Er erwähnt nebenbei 35 Parlamentarische Staatssekretäre. Leider geht der Beitrag nicht näher darauf ein. Das wäre ein Thema für eine eigene große Recherche über den Staat XXL. Denn die Frage des oben genannten Beamten – „was macht der überhaupt?“ – stellt sich gerade bei diesen Parlamentarischen Staatssekretären, die zugleich Abgeordnete sind. Sie verdienen allerdings deutlich mehr als ein normaler Abgeordneter. In den Ministerien sind sie eigentlich – das offenste Geheimnis des Berliner Politikbetriebes – höchst verzichtbar. Die politischen Entscheidungen trifft der Minister selbst, die Leitung des „Hauses“ besorgen die (beamteten) Staatssekretäre. 

Wer einmal im Leitungsstab eines Bundesministeriums gearbeitet hat, wird bestätigen können, dass die beiden Parlamentarischen Staatssekretäre in Ermangelung unverzichtbarer Aufgaben vor allem damit befasst sind, ihre eigene Position im Politikbetrieb zu festigen, indem sie sich möglichst für sie persönlich vorteilhafte Betätigungsfelder suchen. Dazu steht ihnen unter anderem jeweils ein persönlicher Referent zu, dessen eigentliche Aufgabe vor allem darin besteht, die Existenz und Wichtigkeit seines Chefs im Ministerium und nach außen zu betonen – neben dem Abgeordneten und Wahlkreisbüros natürlich. Noch-Kanzleramtsminister Helge Braun, 2009 bis 2013 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, hat dieses Geschäft seinerzeit besonders erfolgreich beherrscht, bis er schließlich von der Kanzlerin erhört und zu sich ins Kanzleramt berufen wurde. 

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Warum es überhaupt Parlamentarische Staatssekretäre gibt? Die Antwort kann man im „Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages“ erfahren: „Die Berufung von Parlamentarischen Staatssekretären war bei Bildung der Großen Koalition Ende 1966 vereinbart und durch das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre vom 6. April 1967 ermöglicht worden. Parlamentarische Staatssekretäre sind – mit einer Ausnahme – immer Mitglieder des Bundestages; sie haben die nicht näher umschriebene Aufgabe, die Bundesminister, denen sie beigegeben sind, bei ihrer Regierungsaufgabe zu unterstützen. Parlamentarische Staatssekretäre (einschließlich der „Staatsminister“) werden mit ihrer Ernennung jedoch keine Regierungsmitglieder. An die Einführung der Parlamentarischen Staatssekretäre wurden u. a. die Erwartungen geknüpft, den Bundesminister bei seiner Arbeit zu entlasten. Auch gab es die Vorstellung, das Amt könne eine Art „Minister-Schule“ werden. Die Entlastungsfunktion ist vor allem in der Fragestunde des Bundestages deutlich geworden: Die Mehrzahl der mündlichen Anfragen wird seit langem durch die Parlamentarischen Staatssekretäre beantwortet.“

In einfacheren Worten: Bei Bildung der ersten Großen Koalition 1966 gab es so viele SPD- und Unionspolitiker, die unbedingt etwas werden wollten, dass man einfach diese neue Funktion schuf. Ludwig Erhard, der stets für einen schlanken Staat eintrat, war schließlich gerade entmachtet worden. Und auf die Idee, sie wieder abzuschaffen, kommt der politische Betrieb seither nicht.

Was für die Parlamentarischen Staatssekretäre gilt, gilt ebenso für die anderen Tausenden zusätzlichen Stellen in den Ministerien: Sind sie einmal eingerichtet, werden sie kaum mehr abgeschafft. Arbeit schafft sich eine Bürokratie bekanntlich im Zweifelsfalle selbst, oder tut zumindest so. Auf die Frage der Report-Mainz-Redakteure, wozu die vielen neuen Referenten gebracht würden, „begründen Bundespresseamt und Ministerien den Zuwachs von Personal mit zusätzlichen Aufgaben wie etwa der Digitalisierung oder dem Kampf gegen den Klimawandel“.

Viele von den Spitzenstellen gingen „häufig an Bewerber von Union und SPD“ darf dann noch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler in die Report-Mainz-Kamera sagen. Man sollte ihn in vier Jahren noch einmal zu dem Thema befragen, nachdem der Zugang zu den bundesministeriellen Fleischtöpfen auch wieder in der Kontrolle seiner Partei gelegen haben wird. Dass die Grünen für eine schlanke, effizient wirtschaftende Verwaltung stehen, kann man nun wahrlich nicht behaupten. Kindlers Parteifreundin, der rheinland-pfälzischen Umweltministerin Ulrike Höfken bescheinigte das Oberverwaltungsgericht in Koblenz, „grob rechtswidrig“ eigene Günstlinge befördert zu haben, ohne zu prüfen, ob Leistung, Eignung und Befähigung der Bewerber vorliege.

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