Tichys Einblick
Und nun Herr Steinmeier?

„Reichstags-Sturm“ – von der Legende bleibt nichts übrig

Nach einer Anfrage muss der Berliner Senat einräumen: das angeblich demokratiegefährdende Ereignis am 29. August war eher eine Fußnote.

imago images / Future Image

„Sturm auf den Reichstag“ beziehungsweise: „Entsetzen über Sturm auf den Reichstag“ – so titelten etliche Medien, als am Abend des 29. August eine Menschengruppe am Rand der Corona-Demonstration kurzzeitig eine Absperrung durchbrach und die Treppe vor dem Reichstagsgebäude in Berlin betrat.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier förderte die Legende von Beinahe-Reichtstags-Sturm auf das Parlamentsgebäude, als er am nächsten Tag die drei Polizeibeamten, die angeblich die Gebäudeerstürmung verhindert hatten, auszeichnete.

Eine Anfrage des Berliner FDP-Abgeordneten Marcel Luthe beziehungsweise die Antwort der Senatsverwaltung darauf lässt von dieser Legende nichts übrig. Die Innenverwaltung beschreibt das Ereignis am Abend des 29. August auf die entsprechende Frage Luthes so:

„Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand gelangten für wenige Minuten ca. 400 – 500 Personen auf die Treppe vor dem Portal des Reichstagsgebäudes.“

Korrekterweise fehlt jeder Hinweis auf einen Versuch, gewaltsam in das Gebäude einzudringen.

Luthe fragte auch: „Zu wie vielen dieser Personen konnte bisher eine Identität festgestellt werden?“ Und: „Wie viele der Personen waren vor dem 29.08.2020 nach Kenntnis a) des polizeilichen Staatsschutzes b) des Verfassungsschutzes einem Bereich der sogenannten „politisch motivierten“ Kriminalität zuzurechnen?“

Die Antwort des Senats:
„Im Rahmen der Bearbeitung von derzeit 21 Strafanzeigen (Stand 7. September 2020) im Zusammenhang mit dem Sachverhalt vor dem Reichstagsgebäude wurden bisher zwölf Tatverdächtige identifiziert, wobei die Auswertetätigkeiten weiterhin andauern. Von den bisher identifizierten zwölf Tatverdächtigen weist eine Person den ermittlungsunterstützenden Hinweis politisch motivierter Straftäter (PMK -rechts-) auf.“

Auf die Frage, wie viele der Personen zu den Anmeldern der Corona-Demonstration gehört hätten, antwortet die Senatsinnenverwaltung kurz: „Keine.“

Also: weder fand ein „Reichstags-Sturm“ statt, noch spielten Rechtsextremisten eine signifikante Rolle. Mit den Organisatoren der Demonstration hatte die kurzzeitige Treppenbesetzung nach bisherigen Erkenntnissen nichts zu tun.

Nachtrag: Personen- und Sachschäden gab es dabei auch nicht – im Gegensatz zu den linksextremistischen Ausschreitungen in Leipzig kurz nach dem angeblichen Reichstags-Sturm.

Besuche des Bundespräsidenten bei den dort verletzten Polizeibeamten wurden bisher nicht bekannt.

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