Tichys Einblick
Nach einem Jahr Untersuchungshaft

Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen „Reichsbürgerputschisten“

Ein angeblich geplanter „Putsch“ der Reichsbürger vor einem Jahr hatte für Schlagzeilen gesorgt und zu einer Razzia geführt. Jetzt erhebt die Bundesanwaltschaft offiziell Anklage. TE hatte erst am Wochenende mit dem Verteidiger des Rädelsführers gesprochen – und kann jetzt weitere Einsichten vermitteln.

IMAGO / Nicolaj Zownir

Ein ganzes Jahr ist seit der größten Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik vergangen. Nicht nur der Anführer der Reichsbürgergruppe, Heinrich XIII. Prinz Reuß, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Im Interview mit dessen Pflichtverteidiger Thomas Tschammer fragte TE, ob es üblich sei, eine so lange Zeit in der U-Haft zu verbringen. Tschammer bezeichnete solche langen U-Haft-Zeiten als „unüblich“.

„Der Generalstaatsanwalt hat 25.000 Seiten Akten angelegt, dazu kommen Datenträger, die die Verteidigung noch nicht hat, was bedeutet, dass die Bearbeitung noch nicht abgeschlossen ist“, so Tschammer, der überdies bestätigte, dass die lange Dauer darauf hindeutete, dass die Vorwürfe nicht an Gewicht gewännen. An ein Ausbleiben der Klage, wie es nach 9 Monaten Untersuchungshaft bei Michael Ballweg geschehen war, glaubte Tschammer indes nicht: Eine solche Situation wäre für den Generalbundesanwalt „höchst blamabel“.

Tschammer hat Recht behalten. Am Dienstag hat die Bundesanwaltschaft auf 750 Seiten Anklage gegen mehrere Personen aus dem Kreis des „Reichsbürgerputsches“ erhoben. Am Oberlandesgericht Frankfurt am Main seien zehn, am Oberlandesgericht Stuttgart neun und am Oberlandesgericht München acht Personen angeklagt worden, teilte die Karlsruher Behörde am Dienstag mit.

Die Beschuldigten seien unter anderem der Gründung bzw. der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie der Vorbereitung eines „hochverräterischen Unternehmens“ hinreichend verdächtig, hieß es zur Begründung. Die Aufteilung auf drei Orte wird mit logistischen Problemen begründet. Gleichzeitig erfolgt aber auch ein inhaltliches Separieren.

Der esoterische und militärische Arm der Bewegung

In Stuttgart wird der „militärische Arm“ der Bewegung vor Gericht gestellt. Hier geht es um Waffen, Munition und die Überlegung, dass der Sturm auf den Reichstag 60 Bewaffnete erfordern würde, die zum Töten bereit seien. Es ist dies der konkreteste Teil des Mammut-Verfahrens, denn hier geht es um spezifische Pläne, Logistik und Waffen für einen möglichen Umsturz – hier kann man nachzählen, ob die Bewegung über einen Wirkungsradius verfügte, der über eine Gastwirtschaft hinausreichen könnte.

In München wird der spirituelle oder esoterische Teil der Gruppe zur Verantwortung gezogen. Hier wird der Frage nachgegangen, wie gefährlich die Ansicht der Gruppenmitglieder ist, dass es einen „Deep State“ gebe, also eine Gruppe von Machthabern, die den Staat „untertunnelt“ habe und ihn heimlich beherrsche – jenseits der rechtsstaatlichen und demokratischen Institutionen. Und hier wird es wirr: Offenkundig waren die Teilnehmer auch davon überzeugt, dass Babys getötet werden und ihr Blut für lebensverlängernde Maßnahmen extrahiert werde. Auch die Hof-Astrologin steht hier vor ihren Richtern.

Der innere Kern oder Rat der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß soll in  Frankfurt abgeurteilt werden. Der Vorwurf lautet Hochverrat – der gewaltsame Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung.

Wie mächtig ist die Bewegung wirklich?

Von den 69 Beschuldigten stehen damit 27 vor Gericht. Die Gruppe soll unter anderem ab August 2021 geplant haben, mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, um dort Abgeordnete des Bundestags festzunehmen und so den „Systemumsturz“ herbeizuführen. Hierfür soll die Vereinigung in konkrete Vorbereitungen eingetreten sein, wie die Rekrutierung von militärischem Personal, die Beschaffung von Ausrüstung und die Durchführung eines Schießtrainings. Der Bundestag soll ausgekundschaftet worden sein.

Die Vereinigung verfügte den Ermittlern zufolge über finanzielle Mittel in Höhe von etwa 500.000 Euro. Sie soll zudem Zugriff auf ein massives Waffenarsenal gehabt haben, bestehend aus insgesamt rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weiteren Waffen- sowie mindestens 148.000 Munitionsteilen.

Diesen Behauptungen hat Tschammer im TE-Interview entgegengesetzt, dass es keine Anhaltspunkte für eine militärische Ausrüstung gegeben hätte, wie sie bei einem klassischen Militärputsch vorhanden ist. Wörtlich sagte Tschammer über das Waffenarsenal von Prinz Reuß: „Was es gibt, ist ein Krummdegen aus dem 13. Jahrhundert und eine Armbrust ohne Pfeile aus dem 14. Jahrhundert, zumindest bei Prinz Reuß. In ganz begrenztem Umfang sind in einer schon vom Großvater verschlissenen Truhe Jagdmunition verschiedener Kaliber gefunden worden. Für einen Putschversuch sind sie eher ungeeignet.“

Ansonsten habe es zwar legale Waffenbesitzer gegeben, so eine Jägerin, die zwei oder drei Gewehre besäße, und einen Händler für Jagdwaffen. „Diese sind allerdings für kriminelle Zwecke oder Planungen nicht verwendet worden.“

Da stellt sich die Frage, ob mit ein paar Jagdwaffen und begrenzten Geldmitteln wirklich das „unmittelbare Ansetzen zur Tat“ vorliegt – also ob der Putschversuch ernstzunehmen ist, oder ob es sich nur um das Geschwätz frustrierter älterer Männer und Frauen handelt, die zwar krude Erzählungen von sich geben, aber kaum als Bedrohung gelten können. Die Anklage lautet   Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens (§ 83 Abs. 1 StGB). Hochverrat mit der Armbrust?

Hilfe von Putin erbeten

Laut Generalbundesanwalt wollte sich die Gruppe Hilfe aus dem Ausland holen. Prinz Reuß soll Kontakt mit der russischen Botschaft gesucht haben, um ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu führen. Gespräche fanden zumindest im Generalkonsulat in Leipzig nicht statt, weitere Treffen mit Vertretern Russlands wurden in der Slowakei versucht. Auch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump wollte der Prinz persönlich sprechen; er hielt solche Gespräche für selbstverständlich, denn immerhin sei er Vertreter des deutschen Hochadels. Trump und Putin wollte er dafür gewinnen, die Bundesregierung zu verhaften, um danach mit der neu installierten Regierung Reuß einen Friedensvertrag für das Deutsche Reich zu schließen. Bekanntlich bestreiten die sogenannten „Reichsbürger“ die Existenz der Bundesrepublik und behaupten den Fortbestand des Deutschen Reiches.

Nach Informationen von TE hat die russische Botschaft sich solche Vorstellungen tatsächlich angehört und Vertreter der Reichsbürger zu ihrem diesjährigen Sommerfest eingeladen.

War es also mehr als ein Rollator-Putsch, sondern ein durchaus ausgeklügeltes Vorhaben? Der kommende Prozess wird mindestens drei Jahre dauern. Er dürfte streckenweise erheiternde Aspekte bieten, etwa wenn über die esoterischen Prognosen berichtet wird, wonach nach dem Tod der Königin Elisabeth II. von England die „Allianz“ weltbeherrschender Mächte zur Tat schreiten sollte, wovon die Hofastrologin und ihre Gläubigen überzeugt waren oder noch sind. Prinz Reuß sitzt seit einem Jahr in Untersuchungshaft und beklagt „Strahlungen“, die ihn am Denken hindern.

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