Tichys Einblick
Ein echter Scholz

Regierungserklärung von Scholz: Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Der „Scholzomat“ ist zurück: Hohle Phrasen und Bürokratensprech – in seiner Regierungserklärung erklärt der Bundeskanzler nichts. Immerhin wird klar, dass Olaf Scholz sicher auch nichts ändern will. Friedrich Merz kämpft mit sich selbst, Alice Weidel liefert den einzigen echten politischen Moment.

IMAGO / photothek

Das Wort „sparen“ nimmt der Bundeskanzler kein einziges Mal in den Mund. Diese Leerstelle ist die vielleicht wichtigste Botschaft, die Olaf Scholz an diesem Vormittag mitgebracht hat. Er selbst und seine Ampel-Regierung haben ganz offensichtlich nicht vor, ihre Ausgabenorgie zurückzufahren oder gar zu beenden.

60 Milliarden Euro fehlen ja allein im Bundeshaushalt für 2023, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Buchungstricks für rechtswidrig erklärt hat, mit denen die rot-grün-gelbe Koalition die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse umsegeln wollte. Das Hütchenspiel mit der Staatskasse hatte einst Scholz selbst erfunden, da war er noch Finanzminister. Sein Nachfolger als Deutschlands oberster Kassenwart, FDP-Chef Christian Lindner, wollte die dreiste Verfassungsumseglung willig fortsetzen. Das war dann jetzt aber selbst den ansonsten ja durchaus regierungsfreundlichen Verfassungsrichtern zu bunt.

Doch Scholz wäre nicht Scholz, wenn er sich davon beeindrucken ließe.

Der Mann ist ja bekannt für sein stures Beharrungsvermögen und seine Teflon-Attitüde gegenüber jedweder Kritik. In seiner Rede finden sich denn auch noch nicht einmal Restbestände von Demut. Da ist kein Bekenntnis zu eigenen Fehlern und schon gar keine Entschuldigung, im Gegenteil: Man habe alles richtig gemacht, sagt der Kanzler allen Ernstes – nur gebe es jetzt halt neue Vorgaben des BVerfG.

Es ist ein selbstgefälliger, selbstgerechter, grenzwertig arroganter Auftritt – ein echter Scholz.

Nachtragshaushalt 2023
Im Schweinsgalopp in die nächste Haushaltskrise
Im Ton fast unbeteiligt, zeichnet er geradezu ein Zerrbild der Wirklichkeit: Zur Schuldenbremse habe es keine rechtliche Klarheit gegeben. Wahr ist, dass es noch kein Urteil des BVerfG gab. Das gilt aber für die allermeisten Gesetze. Trotzdem war immer glasklar, dass es sich bei der kreativen Buchführung Scholz’scher Prägung eindeutig um einen Umgehungstatbestand handelt. Scholz selbst hat den Rechtsbruch gegen unzählige Warnungen von Juristen und Politikern scholzisch durchgedrückt.

Die Geschichte, die der Kanzler da auftischt, ist so weit von der Wahrheit entfernt, dass sie sogar für Partner seiner Ampel-Koalition zu einem Loyalitätstest wird. Lindner auf der Regierungsbank sieht unendlich leidend aus. SPD-Chef Klingbeil starrt ins Leere, während er höchstens pflichtschuldig klatscht.

Im Kern legt der Bundeskanzler wenig verklausuliert den Grundstein dafür, um demnächst eine neue „Notlage“ erklären zu können. Die würde es erlauben, die Schuldenbremse weiter auszusetzen. Schulden sind bekanntlich die Standarddrogen der Regierenden: Politiker sind süchtig danach, und man braucht immer mehr davon.

Damit das BVerfG die „Notlage“ akzeptiert, braucht die Regierung ein paar Argumente. Scholz liefert sie: Da ist zunächst schon mal der Ukraine-Krieg. Die Unterstützung für Kiew sei für Deutschland existenziell wichtig – warum das so sein soll, sagt Scholz nicht. Aber es kostet natürlich viel, viel Geld. Auch die eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kosten Geld. Weiter: Russland habe seine Gaslieferungen gestoppt, deshalb sei Energie jetzt viel teurer. Das stimmt zwar nicht, weil Deutschland freiwillig entschieden hat, kein russisches Gas mehr zu kaufen – aber in so einer Regierungserklärung kommt es auf solche Kleinigkeiten offenbar nicht an. Weiter: Die Sanierung der Bundeswehr kostet, die Unterstützung der Flutopfer im Ahrtal kostet. Und beides dauert Jahre, wird also auch künftig kosten.

All das sagt Scholz – und meint dabei immer: neue Notlage.

Was seine Ampel-Regierung macht, „ist nötig und richtig“, verkündet der Kanzler. Gemeint ist damit: Wir werden weiter machen wie bisher. Da spricht ein kalter Machtzyniker, der unverfroren verschweigt, dass seine Partei seit 1998 mit nur vier Jahren Unterbrechung durchgehend mitregiert.

Das, wofür seine Ampel das Geld wirklich verpulvert, erwähnt Scholz natürlich nicht: die großen grünen Transformationswunschträume – Klima, Verkehr, Gender – und viele Milliarden für Flüchtlinge. Das wären gleich mehrere Steilvorlagen für einen mutigen und entschlossenen Oppositionsführer.

Doch der heißt im real existierenden Bundestag Friedrich Merz und ist leider weder mutig noch entschlossen.

"Diktatur der Inkompetenz"
Mit Notlügen in die Notlage oder wie das Kabinett Scholz den Haushalt ruiniert
Merz tut unverständlicherweise das, was Scholz unverständlicherweise nicht getan hat: Er rechtfertigt sich – nämlich für die Klage der Union vor dem BVerfG. Das ist ein irritierend defensiver Ansatz, und er ist obendrein seltsam unsouverän vorgetragen. Der CDU-Chef argumentiert über weite Strecken dröge und rechtstechnisch, verliert sich in Zahlen und Details. Merz galt einmal als guter Rhetoriker, das ist er nicht mehr. Gut ist er nicht, wenn er gegen Scholz wettert, sondern nur, wenn er gegen die Grünen (und ein bisschen gegen die FDP) schießt.

„Klempner der Macht“ nennt er Scholz, das ist mal ein passendes Bild. Scholz lächelt unbeeindruckt. Vermutlich ist er es tatsächlich. Seit Jahren macht der Kanzler den Eindruck eines Mannes, der selbst amüsiert ist darüber, womit er alles durchkommt. Merz lobt seine Union und sich selbst, weil man so vielen Gesetzen der Ampel mit zugestimmt hat. Spätestens an dieser Stelle versteht man nicht mehr, was für eine Vorstellung von Opposition der Mann eigentlich hat.

Am Schluss kündigt Merz noch an, die Union werde die Schuldenbremse verteidigen. Das ist ein bezeichnender Moment, denn man sieht in den Gesichtern der Ampel-Abgeordneten in diesem Augenblick, was sie denken: Das wollen wir doch mal sehen. Durch den Raum geistern plötzlich all die CDU-Ministerpräsidenten und Merz-Rivalen, die die Schuldenbremse schon infrage gestellt haben: Daniel Günther (Schleswig-Holstein), Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt), Michael Kretschmer (Sachsen), Kai Wegner (Berlin), Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen). Sie alle können den Geld-Hals auch nicht voll genug bekommen, das Grundgesetz und die Schuldenbremse stören da natürlich.

Bundesparteitag in Karlsruhe
Habeck im Delirium – Die Wahrnehmungsstörung grüner Politik
Darauf setzen erkennbar auch die Grünen. Fraktionschefin Katharina Dröge sagt offen, dass sie darauf hofft, mithilfe der CDU-Ministerpräsidenten – und gegen Merz – die Schuldenbremse aussetzen zu können. Ansonsten zeigt sie, worum es ihrer Partei geht: um die eigene Wünsch-dir-was-Agenda und sonst um nix. Dröge spricht von Investitionen ausschließlich in grüne Projekte: grüne Technologien, grüner Wasserstoff, grünes irgendwas. Wirtschaft ohne das Präfix „grün“ kommt bei ihr nicht vor. Und sie sagt andauernd Investitionen, meint aber Subventionen. Es bleibt unklar, ob sie den Unterschied womöglich wirklich nicht völlig durchdringt.

Dröge hat in ihren bisher 39 Lebensjahren ausschließlich von Steuergeld gelebt, hat nie ein Wirtschaftsunternehmen von innen gesehen. Nicht-Erfahrung in der Wertschöpfung scheint in der grünen Partei mittlerweile eine Pflichtqualifikation für das Spitzenpersonal zu sein. Nach einem rhetorisch erbärmlichen Vortrag freut sie sich auf ihrem Platz dann wie ein kleines Kind über den Applaus ihrer Fraktion.

Sozusagen den Gegenentwurf in Form und Inhalt liefert dann die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel. Es ist der inhaltlich beste Moment der Debatte.

Ernst und wütend sagt sie viele richtige Dinge: Die Regierung schröpft den Mittelstand, die Fleißigen werden bestraft. Zwei von drei Bürgergeld-Empfängern haben keinen deutschen Pass. Als Weidel unstrittige Fakten vorträgt – zum Beispiel, dass Asylbewerber in Berlin in Luxushotels untergebracht werden – sieht man öfter SPD-Linke ungläubig lachen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie diese Wahrheiten wirklich nicht glauben: weil sie alle Fakten verdrängen, die nicht zur eigenen Ideologie passen.

Weidel sagt Dinge, die man von Merz erwartet hätte: dass die Ampel mit Rekordsteuereinnahmen in Höhe von einer Billion Euro nicht auskommt. Dass die Transformationsträume vor allem der Grünen – unterstützt von der FDP – das Land ruinieren. Dass die exzessive Schuldenmacherei der Ampel das Gegenteil von nachhaltig ist und die Zukunft künftiger Generationen zerstört.

Und Weidel liefert den einzigen echten politischen Moment des Tages, als sie sagt, dass eine Mehrheit der Deutschen Neuwahlen herbeisehnt.

Die Hauptredner von FDP und „Linkspartei“ haben dann nichts Gehaltvolles mehr beizutragen. Das Fazit der Regierungserklärung und der anschließenden Debatte steht da sowieso schon längst fest: Der Kanzler ist sich keiner Schuld bewusst, die Grünen leben ihren Traum auf Kosten der Steuerzahler, die FDP macht meckernd alles mit, die Ampel insgesamt setzt auf „weiter so“ und hofft auf die Uneinigkeit der CDU, Friedrich Merz wackelt, die AfD spricht Klartext und sieht sich im Aufwind.

Und Neuwahlen wird es nicht geben, solange das die Pensionsansprüche von zu vielen Abgeordneten gefährdet. Willkommen in Deutschland 2023.

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