Die neueste Umfrage zur Thüringer Landtagswahl am 27. Oktober müsste eigentlich allen Parteien extreme Sorgen bereiten – mit Ausnahme der AfD. Die Partei erreichte in der Erhebung des MDR, abgefragt zwischen dem 10. und 14. September, mit 25 Prozent ihr Allzeithoch in dem Südost-Freistaat. Da alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen, die CDU außerdem eine Koalition mit den Linken, ergibt sich für keins der politischen Lager eine Mehrheit. Es reicht nicht mehr für die regierende rot-rot-grüne Koalition (Linke in der Umfrage 28, die Grünen acht und die SPD sieben Prozent), aber auch nicht für ein Viererbündnis unter Führung der Union. Die CDU mit 22 Prozent, die FDP fünf Prozent, dazu Grüne und SPD – diese Notallianz käme nur auf 42 Prozent, und damit sogar noch auf einen Prozentpunkt weniger als die Linksregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow.
„Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen.“
Diese Regelung existiert nur in zwei Bundesländern: Hessen und Thüringen. Während es in allen anderen Ländern zur Neuwahl des Parlaments führt, wenn innerhalb einer bestimmten Frist kein neuer Regierungschef gewählt wird, kann hier der Ministerpräsident ohne Zeitbegrenzung bleiben, solange im Landtag keine Mehrheit für einen anderen Kandidaten zustande kommt.
In Hessen gab es diese Situation schon einmal im Januar 2008. Damals erreichten CDU und SPD je 42 Sitze im Landtag. Roland Koch brachte keine bürgerliche Mehrheit zustande, seine Herausforderin Andrea Ypsilanti wollte nicht mit der CDU zusammenarbeiten, sondern brach stattdessen ihr Wahlversprechen, keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei zu suchen. Bei einem rot-rot-grünen Bündnis wiederum wollten drei SPD-Abgeordnete aus Gewissensgründen nicht mitmachen. Also gab es keine Mehrheit für niemand. Koch blieb fast ein Jahr geschäftsführend im Amt, bis sich der Landtag schließlich auflöste, um Neuwahlen zu ermöglichen. Verfassungsrechtlich hätte Koch sogar die gesamte Legislaturperiode bleiben können.
Normalerweise, heißt es in der Politik, kommt eine Minderheitsregierung nur bis zum nächsten Haushalt. Da für den Ausgabenplan dann logischerweise auch die Mehrheit fehlt, wäre ein amtierender Ministerpräsident spätestens dann politisch lahmgelegt.
Trotzdem hätte Ramelow, bliebe er geschäftsführend mit SPD und Grünen im Amt, erst einmal ein Instrument in der Hand, um so weiterzumachen, als gäbe es für ihn noch eine Mehrheit. Mit anderen Worten: ihn muss das Wahlergebnis am 27. Oktober nicht sonderlich kümmern.
Eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen den Vorratshaushalt würde wahrscheinlich bis zum Urteil auch ein Jahr dauern. Und selbst, wenn der Haushalt Ende 2020 ausliefe oder von Richtern für verfassungswidrig erklärt würde, könnte Ramelow weiter im Amt bleiben.
Für das Regieren ohne Mehrheit hätte Ramelow sogar eine Verteidigung, die sich in Teilen der Medien gut verkaufen lässt. Die Schuld könnte er nämlich der CDU zuschieben: Es gäbe es ja eine Mehrheit, dürfte der Linkspartei-Politiker dann argumentieren: die CDU müsste sich nur bereitfinden, Juniorpartner unter seiner Führung zu spielen.