In Städten wie Regensburg fällt es noch auf, wenn sich einzelne Viertel transformieren und einfach nicht mehr das alte Sicherheitsgefühl verströmen. Seit einer Vergewaltigungsanzeige, auf die binnen einer Woche eine weitere folgte, kommt die Stadt im Osten Bayerns zu bundesweiter Aufmerksamkeit. Die Oberbürgermeisterin findet das übertrieben, muss aber gleichzeitig zugeben, dass es ein Problem gibt.
Diese eine Vergewaltigung am hellichten Tag hat es vielleicht nicht gegeben. Eine 27-Jährige hatte berichtet, am 19. Januar gegen 14.15 Uhr von zwei arabisch aussehenden Männern angesprochen worden zu sein, die ihr dann zum Park an der Fürst-Anselm-Allee gefolgt seien, wo es dann zu der Vergewaltigung durch den einen gekommen sei, während der andere Schmiere stand. Nur die Spuren, fehlende Zeugenaussagen und Videokamera-Aufzeichnungen passten angeblich nicht zur Tat. Nun ist ein Verfahren gegen die junge Frau eröffnet, wegen Vortäuschens einer Straftat. Strafrahmen bis zu drei Jahren, auch wegen der „breiten öffentlichen Aufmerksamkeit und Wahrnehmung innerhalb der Bevölkerung“, wie Regensburg digital mutmaßt.
Die Frage bleibt: Auf welcher Grundlage denkt sich eine junge Frau solch eine Tat aus? Exemplarisch könnte nun die Bestrafung der jungen Frau ausfallen. Mit der entstandenen öffentlichen Aufmerksamkeit scheint ein besonderer Schaden entstanden zu sein.
Eines ist aber sicher: Durch die Sache ist die Kriminalität um den Regensburger Hauptbahnhof und in anliegenden Teilen der Innenstadt zum Thema geworden. Nur wenige Tage nach dem Park-Vorfall soll es nun wirklich zu einem Sexualdelikt in Bahnhofsnähe gekommen sein. Diesmal war eine 29-Jährige das Opfer. Zwei polizeibekannte Tatverdächtige sitzen in U-Haft. Daneben trudeln Berichte von Drogenkriminalität und gehäuften Diebstählen ein. Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) wird in den Verteidigungsmodus gedrängt. Diese Idee hatte man sich von Regensburg bisher nicht gemacht. Aber warum sollte es dort besser sein als in anderen deutschen Großstädten?
OB: Massive Maßnahmen zur Sicherheit – aber keine No-Go-Zone
Zwischendurch warnte auch der Rektor der St. Marienschule (Spitzname „Englische“, was sicher von Engel kommt) in einem Elternbrief vor dem Schulweg. Die Mädchenschule mit Gymnasium und Realschule liegt direkt an der Fürst-Anselm-Allee. Träger ist die Diözese Regensburg. Der Bahnhof ist damit ebenfalls nicht weit weg. „Unabhängig von der Tageszeit sollten Ihre Töchter den Schulweg am besten in Gruppen antreten“, heißt es in dem Brief. Trotz erhöhter Präsenz von Polizei und Ordnungsdienst seien Fürst-Anselm-Allee und Bahnhofsgegend „auch tagsüber Kriminalitätsschwerpunkte“. Insbesondere am Abend des Unterstufenballs sollten die Eltern ihre Töchter besser persönlich abholen.
Maltz-Schwarzfischer zum Focus: „Solche Zustände sind wir nicht gewohnt.“ In der Fürst-Anselm-Allee wurde offen mit Drogen gedealt, Frauen werden dort in der Tat immer wieder belästigt, wie die Bürgermeisterin bestätigen muss. Durch die entstehenden Schlagzeilen hätten Menschen nun das „Gefühl, es gäbe hier eine No-Go-Area voller Kriminalität“. Allerdings ist neuerdings auch die Polizei täglich präsent in der Gegend um den Hauptbahnhof, was früher offenbar nicht nötig war.
Auch Büsche wurden entfernt und beschnitten, mehr als 30 Personen festgenommen, die mit Drogen handelten, die Körperverletzungen, Raubtaten und (!) Sexualdelikte begangen haben – also doch. Alles im Kampf gegen eine Kriminalität, die es eigentlich gar nicht gibt, oder zumindest nicht mehr, wenn man der OB glaubt. Wohlgemerkt: Maltz-Schwarzfischer verkündet hier beides: die Maßnahmen gegen die Kriminalität und das Dementi zum No-Go-Areal am Regensburg Bahnhof. Im Fürst-Anselm-Park ist auch laut ihr „schon länger ein Personenkreis unterwegs, der offen mit Drogen dealt und Frauen aggressiv anspricht“.
Ein Stadtviertel als Kriminalitätslabor der Polizei
Auch die Regensburger OB gibt – ähnlich wie ihre Kreuzberger Ex-Kollegin von den Grünen – zu Protokoll, dass der Park an der alten Stadtmauer Regensburgs (Weltkulturerbe) noch nie sicher für Frauen war: „Nachts war die Anlage noch nie ein Ort, durch den man als Frau allein schlendern sollte. Auch nicht in meiner Jugend. Das liegt daran, dass die Allee kaum beleuchtet ist. Und in dunklen Ecken – da unterscheiden wir uns nicht von anderen Städten – kommt es immer wieder zu Drogenhandel und anderen Straftaten.“
Dass die Allee allerdings so dunkel ist, sei eine „bewusste Entscheidung“ der Stadt zum Schutz von Vögeln und Insekten, die dort lebten. Der Tierwelt würde geschadet, daher müssen die „Nutzer“ der Allee auf dem Weg zum Bahnhof die Augen offen halten, weil sie eventuell anderen „Nutzern“ begegnen, die dort mit Drogen dealen oder obdachlos sind. Man möchte diesen Ort aber – auch nicht anders als in Kreuzberg – gar nicht mehr sicher oder auch ordentlich, sauber halten, weil die Polizei hier ihr Labor zur Täterbeobachtung in Sachen Drogenhandel und Drogenkonsum eingerichtet hat: „Lieber haben wir die Lage am bekannten Brennpunkt im Blick, als dass es andernorts eskaliert.“
Allerdings lag die Kriminalität 2022 auch in Gesamt-Regensburg mit 4.580 Straftaten auf einem Vieljahreshoch. Die OB führt das auf eine nach Corona wieder erstandene „Feierkultur“ mit den allfälligen Schlägereien und dem Vandalismus zurück. „Zustände wie im Görlitzer Park“? Nein, sagt Maltz-Schwarzfischer, die sieht sie noch nicht als gegeben an und will sie abwenden. Auch in Regensburg lautet die Parole der Gegenwart: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Aber wenn das Sicherheitsgefühl der Bürger schon derart lädiert ist, wie es in Regensburg der Fall scheint, dann – und das muss auch die Bürgermeisterin bemerkt haben – läuft etwas gewaltig schief.