Tichys Einblick
Nichts bleibt uns erspart

Zum dritten Mal eine Scholzomat-Silvester-Rede

Nach ein wenig Selbstkritik sucht man in der Scholz’schen Neujahrsrede vergeblich. Alles ist gut oder wird gut. Wir zitieren Versatzstücke der Ansprache, wie sie über die Agenturen und Medien verbreitet wurden – und können uns freilich böse Anmerkungen und Fragen nicht verkneifen.

Neujahrsansprache 2024 von Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundeskanzleramt, TV-Aufzeichnung vom 29.12.2023

IMAGO / Chris Emil Janßen

Man ist ja nicht verwöhnt ob der rhetorischen Talente der uns laut Amtseid angeblich zum „Wohle des deutschen Volkes“ Regierenden. Ja, man hat sich daran gewöhnt, dass die Merkels, Steinmeiers und in den ARD-Regionalsendern diverse Länderchefs am 31. Dezember für sieben bis zehn Minuten unsere höchst ambivalente Erwartung auf die immer gleich langweiligen, verkrampft witzigen ARD/ZDF-Silvesterpartys steigern. Oder dass uns diese Ansprachen zwingen, zum x-ten Mal auf „Dinner for One“ umzuschalten.

Unser aller Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kann da nicht fehlen. Es geht uns hier wie den sonst betont linken Blättern „Spiegel“ und „Stern“, die in Erwartung der Scholz-Rede zu Silvester 2023 vorab bereits bittere Satiren dazu verfassten. Der „Spiegel“ entwarf ein nettes Szenario: Scholz sind die Redenschreiber abhandengekommen; alle haben sich krankgemeldet; jetzt muss er selbst ran. Der „Stern“ ist bald darauf für die „erkrankten“ Redenschreiber eingesprungen und hat ein boshaftes Redemanuskript präsentiert.

Die Reaktionen auf „Spiegel“ und „Stern“ waren zwiespältig überwältigend: Viele Leute erkannten die Satire nämlich nicht, was man ihnen nicht verdenken kann, denn die real praktizierte Regierungspolitik lässt Satire und Realsatire eins werden. Ganz Unverdrossene gaben der Hoffnung Nahrung, Scholz könnte in seiner Silvesterrede seinen Rücktritt ankündigen. Wohlwollende gaben Scholz den Rat, die Rede doch vom „grünen“ Vizekanzler Robert Habeck halten zu lassen. Das wiederum hielten andere Blogger für bedenklich, denn Habeck habe als Autor von Kinderbüchern nur Erfahrung mit Texten, die sich an Minderjährige richten. Kein übler Gedanke übrigens, denn wie einen Erziehungsbedürftigen behandelt die Bundesregierung – bereits seit Merkel – den deutschen Michel.

Schluss der Hinführung: Jetzt wird es doch Zeit, sich mit den Vorab-Meldungen zur Scholz-Rede zu befassen. Wir zitieren Versatzstücke dieser Scholz’schen Pseudo-Blut- und-Boden-Rede, wie sie über die Agenturen sowie vom „Staatsfunk“ und anderen braven Medien verbreitet wurden. Wir können uns freilich in Klammern böse Anmerkungen und Fragen nicht verkneifen. So heißt es dann in der Scholzomat-Rede:

Und so weiter und so fort!

Nach ein wenig Selbstkritik sucht man in der Ansprache vergeblich. Alles ist gut, wird gut, ist „easy“ in dieser auch-auch-auch-auch-auch-auch-auch-Rede. Sprach’s in Teleprompter und Kamera und entschwand in Hochwassergebiete. Dabei vergaß er allerdings, den Ex-Kandidaten Armin Laschet (CDU) und die Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) mitzunehmen, schließlich haben diese zwei im Juli 2021 im Ahrtal und im Erfttal beste Erfahrungen mit solchen empathischen Besuchen gesammelt.

Im Übrigen interessiert uns an dieser aktuellen (letzten oder vorletzten?) Scholz-Rede allenfalls, ob der Kanzler es diesmal schafft, wirklich „Mitbürgerinnen (sic!) und Mitbürger“ zu sagen. Denn in der Regel verstümmelt Scholz diese Anrede in „Mitbürg… und Mitbürger“. Prosit, wir sind – wie Scholz am Ende seiner Rede sagt – „jedenfalls gespannt“.

Hier der Wortlaut der Ansprache:

„Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger! Wenn ich im Land unterwegs bin, sagen mir gerade auch viele Ältere: ‚So geballt, so Schlag auf Schlag habe ich das alles noch niemals erlebt.‘ – Kaum war Corona halbwegs vorbei, brach Russland mitten in Europa einen unerbittlichen Krieg vom Zaun. Kurz darauf dreht uns der russische Präsident den Gashahn ab. Und im Herbst gab es auch noch den brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel. So viel Leid, so viel Blutvergießen.

Unsere Welt ist unruhiger und rauer geworden. Sie verändert sich in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit. Auch wir müssen uns deshalb verändern. Vielen von uns bereitet das Sorgen. Bei einigen sorgt das auch für Unzufriedenheit. Ich nehme mir das zu Herzen.

Und zugleich weiß ich: Wir in Deutschland kommen da durch. Erinnern Sie sich, wo wir vor einem Jahr standen? Drei, vier, fünf Prozent Wirtschaftseinbruch hatten uns viele Expertinnen und Experten vorausgesagt. Viele befürchteten, die Preise würden immer weiter steigen. Es gab die Sorge vor Stromausfällen und kalten Wohnungen.

Es ist anders gekommen. Die Inflation ist gesunken. Löhne und Renten steigen. Die Gasspeicher sind für diesen Winter randvoll. Es ist anders gekommen, weil wir uns gegen den Wirtschaftseinbruch gestemmt haben. Weil wir Energie gespart und rechtzeitig vorgesorgt haben. Wir alle – gemeinsam.

Wir kommen auch mit Gegenwind zurecht. Das macht die Herausforderungen unserer Zeit nicht kleiner. Aber das gibt Mut, dass wir ihnen gewachsen sind. „Wer, wenn nicht Ihr in Deutschland kriegt das hin?“ – das sagen mir viele um uns herum in Europa und auf der Welt. Und da ist etwas dran. Noch nie hatten so viele Frauen und Männer in Deutschland eine Arbeitsstelle wie heute. Das sichert unseren Wohlstand. Das gibt uns die Möglichkeit, kraftvoll in die Zukunft zu investieren.

Und das müssen wir auch. Denn wer in diesen Tagen mit der Bahn unterwegs ist oder vor einer maroden Brücke im Stau steht, der merkt: Unser Land wurde zu lange auf Verschleiß gefahren. Deshalb investieren wir jetzt: in ordentliche Straßen und eine bessere Bahn. In eine saubere Energieversorgung und in besseren Klimaschutz. In gute Arbeitsplätze – und zwar in Wirtschaftszweigen, in denen Deutschland schon immer Weltspitze war. Genauso wie in Branchen, wo wir Nachholbedarf haben, zum Beispiel bei der Herstellung von Computer-Chips oder Batterien. All das ist vor dem Hintergrund des weitreichenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November nicht einfacher geworden. Nicht alle Vorhaben, die wir in den Blick genommen hatten, werden wir umsetzen können.

Aber wahr ist zugleich: Wir investieren auch im kommenden Jahr eine Rekordsumme in unsere Zukunft. Und unterm Strich entlasten wir auch weiterhin all diejenigen, die jeden Tag aufstehen und zur Arbeit gehen. Die unser Land am Laufen halten. Von morgen an zahlen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland 15 Milliarden Euro weniger an Steuern. Eine vierköpfige Familie mit einem normalen Einkommen hat dadurch im nächsten Jahr mehr als 500 Euro zusätzlich zur Verfügung. Zusammen mit der Steuersenkung in diesem Jahr macht das über 1.600 Euro mehr. Dazu kommen das höhere Kindergeld, das Wohngeld und nicht zuletzt die Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung für all diejenigen, die wenig verdienen: Die Pakete ausfahren oder Supermarktregale einräumen. Die vorher ihre Kinder zur Schule bringen und nach der Arbeit noch den Haushalt schmeißen. Über sie liest man nicht jeden Tag in der Zeitung.

Aber mir ist es wichtig, dass ihre Leistung gesehen und anerkannt wird. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Auch in Zeiten wie diesen gibt es Dinge, auf die wir uns verlassen können. Die uns stark machen: Wir haben Freunde – in Europa und rund um den Globus. Partner, mit denen ich mich Tag für Tag darüber abstimme, wie wir unsere Sicherheit in Deutschland und Europa gewährleisten. Stark macht uns die Europäische Union. Wenn die EU geschlossen auftritt, dann handelt sie für mehr als 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger. In einer Welt mit acht, künftig sogar mit zehn Milliarden Menschen ist das ein echtes Pfund. Darum ist es so wichtig, dass Europa geeint und gestärkt aus der Europawahl im kommenden Jahr hervorgeht. Denn Russlands Krieg im Osten unseres Kontinents ist ja nicht vorbei! Die kriegerische Auseinandersetzung im Nahen Osten auch nicht. Und in den USA stehen im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen an, möglicherweise mit weitreichenden Konsequenzen – auch für uns hier in Europa.

Kurz vor Weihnachten haben wir uns in der Europäischen Union nach sieben Jahren des Stillstands auf eine tiefgreifende Reform des Europäischen Asylsystems geeinigt. Künftig können wir die Außengrenzen Europas besser kontrollieren. Und auch an den Grenzen zu unseren Nachbarländern hat die Bundespolizei ihre Kontrollen verstärkt. Das wirkt. Schon in den vergangenen Wochen ist die Zahl derer, die über diese Grenzen kommen, spürbar gesunken.

Stark macht uns auch unsere Demokratie. Es ist noch gar nicht allzu lange her, da haben mutige Frauen und Männer auch hier in Deutschland für freie Wahlen gekämpft. Vor 35 Jahren war das, als in der DDR die friedliche Revolution begann. Mitzureden und mitzuentscheiden – das ist ein kostbares Gut. Diskussionen über den richtigen Weg gehören dazu. Das Ringen um faire Kompromisse ebenfalls – auch wenn ich auf manch laute Debatte in den vergangenen Wochen und Monaten durchaus hätte verzichten können. Das Ringen um faire Kompromisse ebenfalls – auch wenn ich auf manch laute Debatte in den vergangenen Wochen und Monaten durchaus hätte verzichten können. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ganz ohne Diskussionen über den richtigen Weg funktioniert Demokratie nicht. Nichts wird besser, wenn wir nur übereinander reden, anstatt miteinander. Stark macht uns unsere Bereitschaft zum Kompromiss. Unser Einsatz füreinander. So wie in vielen Teilen Deutschlands, die in diesen Tagen unter dem schrecklichen Hochwasser und seinen Folgen leiden. Ich denke an alle Betroffenen, denen wir selbstverständlich helfen und die wir in diesen schweren Stunden nicht alleine lassen. Und ich danke all den Frauen und Männern von der Feuerwehr und Bundeswehr, vom THW, den Rettungsdiensten, und den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, die mit ganzer Kraft gegen das Hochwasser kämpfen. Herzlichen Dank an Sie alle für Ihren Einsatz!

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
uns macht auch die Einsicht stark, dass jede und jeder gebraucht wird in unserem Land – die Spitzen-Forscherin genauso wie der Altenpfleger, die Polizistin genauso wie der Paketbote, die Rentnerin genauso wie der junge Auszubildende. Wenn wir uns das klarmachen, wenn wir uns gegenseitig mit diesem Respekt begegnen, dann brauchen wir keine Angst zu haben vor der Zukunft! Dann kann das Jahr 2024 ein gutes Jahr werden für unser Land. Auch wenn manches anders kommt, als wir uns das heute, am Vorabend dieses neuen Jahres, vorstellen. Ihnen und Ihren Liebsten wünsche ich von ganzem Herzen ein gesundes, ein friedvolles, ein frohes Neues Jahr!“

Wir sind jedenfalls gespannt.

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