Tichys Einblick
Angst vor Victor Klemperers LTI

Reclam macht Rückzieher und genehmigt nach Protesten nun die Lesung in Dresden

Am 9. November dürfen der Bürgerrechtler Arnold Vaatz (CDU), die ehemalige Grünen-Abgeordnete Antje Hermenau und der Kabarettist Uwe Steimle nun doch mit Genehmigung des Verlags Texte des jüdischen Autors Victor Klemperer vortragen. Die linke Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch muss nun noch ihren Veranstaltungsboykott aufgeben.

IMAGO / Arnulf Hettrich

In Dresden konnten die Freien Wähler und prominenten Veranstaltungsgäste ihr Recht auf Meinungsfreiheit nur durch mutigen Protest noch einmal durchsetzen. Nachdem der Reclam-Verlag zunächst eine Lesung von Texten aus LTI (Lingua Tertii Imperii – Die Sprache des Dritten Reiches) des jüdischen Literaturwissenschaftlers Victor Klemperer am Gedenktag des 9. Novembers im Dresdner Stadtmuseum verboten hatten, machte der Rechteinhaber jetzt den Rückzieher. Die Fraktion Freie Wähler/Freie Bürger musste jedoch zuvor am Freitagnachmittag ihre Veranstaltungskonzeption bei Reclam einreichen, wie Tichys Einblick berichtete.

Nach Informationen von Tichys Einblick erteilte der Reclam-Verlag am Montagnachmittag jetzt die Genehmigung der Veranstaltung. Zunächst bedankte sich Reclam für „die Übermittlung des Konzepts“ der in Dresden geplanten Lesung am 9. November zum Gedenken an den 85. Jahrestag der Pogrome 1938.

Wörtlich teilte der Verlag mit:

„Auf Basis Ihres Konzepts gestatten der Reclam Verlag und die Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH die Lesung des Buches von Victor Klemperer.“

Mehr noch:

„Wir begrüßen das Konzept Ihrer Veranstaltung als Lesung, bei der es – wie Sie schreiben – möglichst nicht zu einer politischen Auseinandersetzung kommt, sondern bei der das geschehene Unrecht und das Leid der Dresdner Juden im Mittelpunkt steht.“

Warum dann vorher das Verbot? Reclam scheint es offensichtlich peinlich zu sein. Denn die Lesung begleiten noch Verlagswünsche:

„Möge Ihre Veranstaltung dazu beitragen, die Erinnerung an das Leiden Victor Klemperers und an die Verbrechen der Nazizeit lebendig zu erhalten, und hierin Mahnung sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft sein.“

Ganz genau: Mahnung für die Gegenwart mit ihren politischen Sprachbeeinflussungen. Selbstverständlich werden die Vortragenden auch heute an die Gefahr erinnern, „wenn es um die Manipulation der öffentlichen Meinung durch Sprache geht“, wie die frühere Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau betont hat. Denn: „Eine wehrhafte Demokratie braucht mündige Bürger, das kann man aus der Vergangenheit lernen.“ Künstler Uwe Steimle hatte zu Recht vermutet: „Sie haben Angst, dass wir ihnen den Spiegel vorhalten und sie entlarven.“

Kabarettist Steimle kommentiert in Tichys Einblick so die Reclam-Zustimmung: „Es gilt das freie Wort.“

Jetzt kann die Lesung wohl starten. „Der Kündigungsgrund für den städtischen Veranstaltungsort wegen einer fehlenden Verlagsgenehmigung ist damit obsolet,“ sagt die kulturpolitische Sprecherin der Freien-Wähler-Stadtratsfraktion in Dresden Susanne Dagen Tichys Einblick. Die Veranstalter gingen jetzt davon aus, dass damit die LTI-Lesung wie geplant im Landhaus Dresden am 9. November um 19 Uhr stattfinden kann. Besucher müssten sich jedoch vorab bei der Stadtratsfraktion der Freie Wähler/Freie Bürger per Mail (fraktion-freie-waehler@dresden.de) anmelden.

Die Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) wird jetzt von der Fraktion aufgefordert, ihre Kündigung zurückzunehmen. Klepsch hatte vergangene Woche noch gegen Kabarettist Steimle und die Lesung die Nazikeule herausgeholt, mit der ungeheuerlichen Behauptung: Es sei ihre Aufgabe, „Schaden von der Stadt und vom Stadtmuseum abzuwenden“. Sie untersage daher die Lesung mit Uwe Steimle im Stadtmuseum, weil sie eine „Verunglimpfung der Holocaust-Opfer“ befürchte. Dafür stelle sie keine Räume der Stadt zur Verfügung.

Steimle weht sich gegen diese unglaubliche Stigmatisierung mit einem prominenten Rechtsanwalt wie Peter-Michael Diestel: „Ich bin verunglimpft worden und werde gegen die falsche Tatsachenbehauptung juristisch vorgehen.“

Anzeige
Die mobile Version verlassen