Tichys Einblick
#countdownBTW17

Realo Schulz „will“ nur noch Kanzler werden

Die neue Realo-Formel lautet: „Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden.“ Nicht mehr: „Ich werde Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“. Nur scheinbar ein kleiner Unterschied.

Eines muss man der SPD lassen: aufs Inszenieren versteht sie sich. Am 29. Januar wurde Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten ausgerufen. Am 19. März wurde er mit 100 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt. Am 25. Juni folgt ein Sonderparteitag zur Verabschiedung des Wahlprogramms. Mehr Show geht nicht, mehr Sondersendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch nicht.

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Aber was nützt die schönste Feier, wenn es plötzlich hagelt? Die aktuelle „Sonntagsfrage“ dürfte die Delegierten und SPD-Anhänger in der Dortmunder Westfalenhalle jedenfalls nicht beflügelt haben. Laut Emnid hätten die Deutschen an diesem Sonntag so gewählt: CDU/CSU 39, SPD 24, Linke 9, Grüne und AfD jeweils 8, FDP 7 Prozent. Rückenwind für Schulz sieht anders aus.

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Immerhin machte Altkanzler Gerhard Schröder den Genossen Mut, indem er an seine Aufholjagd von 2005 erinnerte. Gereicht hat es damals dennoch nicht. Ein schwacher Trost.

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Vom Kandidaten selbst war nichts wesentlich Neues zu erwarten; das zu verabschiedende Programm stand ja schon fest. Neu aber war, dass Schulz dieses Mal auf die rührselige Erinnerung an seine Zeit als Alkoholiker und seinen erfolgreichen Kampf gegen die Sucht verzichtete. Auch Heldengeschichten können ermüden.

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Auffällig, dass Schulz Angela Merkel so scharf attackierte wie noch nie. Er kritisierte den bisherigen Wahlkampf der CDU, dass diese in vielen Fragen bisher noch nicht konkret geworden sei. Dann wurde er richtig böse: „Merkels Verhalten ist ein Anschlag auf die Demokratie“. Anschlag auf die Demokratie? Geht’s auch eine Nummer kleiner? So spricht einer, der zu befürchten scheint, Merkels Stil könnte erfolgreicher sein als sein Ruf nach Gerechtigkeit.

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Auch dieses Mal ließ Schulz offen, ob er sich von der Linkspartei zum Kanzler wählen lassen würde oder nicht. Aber er will keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht die „Ehe für alle“ verankert ist. Das ist ganz im Sinne der FDP, deren Vorsitzender Lindner ebenfalls die „Ehe für alle“ zum entscheidenden Kriterium für die Regierungsbildung machen will. Hier blinken schon mal zwei Lichter einer rot-grün-gelben Ampel.

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Schulz forderte mit Blick auf „start up“-Unternehmen einen „Kulturwandel in Deutschland“: Wer scheitere, dürfe nicht bis ans Ende des Lebens gebrandmarkt sein, sondern müsse eine neue Chance bekommen. Stellt da der ehemalige „Gottkanzler“ bereits die Weichen für die Zeit nach dem 24. September? Eine zweite Chance für Schulz?

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Eines wurde in Dortmund deutlich: Der Einbruch der SPD-Zahlen nach dem Schulz-Hype macht dem Kanzlerkandidaten zu schaffen, hat ihn bescheidener werden lassen. Die Standard-Formulierung „ich werde Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“ verwendet er nicht mehr. Die neue Realo-Formel lautet: „Ich will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden.“ Ein kleiner Unterschied.

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Wahlkampfweisheit des Tages: Wenn Wahlkämpfer sagen, „die Hoffnung stirbt zuletzt“, dann wissen sie eines: Die Hoffnung stirbt nicht gleich – aber sie stirbt.

Hugo Müller-Voggs Countdown zur Wahl erscheint immer dann, wenn sich an der Wahlkampffront Interessantes tut.

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