Auf der Straße sieht der Mann nicht so aus, wie man sich landläufig wohl den Intendanten einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in Deutschland vorstellt. Ralf Manthey ist zwei Meter groß, kräftig gebaut und hat Hände – so groß wie Pizzateller. In seiner Freizeit trägt er am liebsten Jeans und eine abgewetzte schwarze Lederjacke.
Als Student hat er ein paar Jahre lang nebenbei als sogenannter Roadie unter anderem für David Bowie und Led Zeppelin vor und nach den Konzerten die Bühnen auf- und wieder abgebaut. In Berlin war er selbst einige Jahre Berufsmusiker. Bis heute hört der 1955 in Bückeburg geborene Wirtschaftsingenieur am liebsten eine Musikfarbe, für die es in der Welt des zwangsgebührenfinanzierten Formatradios schon längst keine Sendeflächen mehr gibt.
Im Job allerdings ist Manthey nur insoweit exotisch, als dass er dort wegen seiner Statur Businessanzüge in Übergrößen tragen muss – und weil sein Lebenslauf auch erfahrenen Medienprofis Respekt abnötigt.
Falls Sie sich hier fragen, ob Sie im falschen Text sind: sind Sie nicht. Wir betreten zügig den sowjetischen Sektor im zeitgenössischen Medienbetrieb und kommen zum RBB und zur ARD. Ralf Manthey spielt dabei aber eine wichtige Rolle.
Kurz: Ralf Manthey ist ein erfolgreicher und international erfahrener Medienmanager, den jedes Medienhaus gerne einstellen würde – erst recht in einer großen und beim besten Willen nicht mehr wegzumoderierenden Krise. Jedes Medienhaus – außer dem RBB.
Das Land Brandenburg, bei dem die Rechtsaufsicht über den RBB derzeit liegt, hat es nun aus recht unerfindlichen Gründen für eine gute Idee gehalten, dem Sender zu gestatten, sich einen Interims-Intendanten zu suchen – und zwar ohne die normalerweise juristisch zwingende öffentliche Ausschreibung.
In der Senderzentrale in der Berliner Masurenallee ließ man sich nicht zweimal bitten – und griff kurzentschlossen auf eine Methode zurück, die sich schon hinter den Mauern des Kremls über mehrere Jahrzehnte bewährt hatte, wenn in Moskau ein neuer Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei gesucht wurde. Starb im Sowjetreich ein Herrscher, die Älteren werden sich erinnern, wurde von der Parteiführung ein Beerdigungskomitee berufen – das dann de facto den neuen starken Mann bestimmte (mit starken Frauen an der Staatsspitze hat es der real existierende Sozialismus ja bis heute nicht so).
Beim RBB bekam das Beerdigungskomitee nun zwar einen anderen Namen, nämlich „Findungskommission“, aber absolut denselben Auftrag: den Schlesinger-Nachfolger zu präsentieren. Gut, der neue Interims-Intendant muss dann noch vom Rundfunkrat bestätigt werden – das ist aber genauso eine Formalität, wie es damals die „Wahl“ des neuen Generalsekretärs durch das ZK der KPdSU war.
Und ähnlich wie seinerzeit im Kreml, so folgt auch die Kandidatensuche beim RBB heute den wichtigsten Maximen jedes inzestuösen Systems: Im Prinzip darf es schon jeder werden – nur eben keiner von außen. Und vor allem keiner, der ernsthaft etwas ändern könnte.
Implizit war aber ebenfalls von Anfang an klar (das wird aus der Findungskommission hinter vorgehaltener Hand ausdrücklich bestätigt), dass es ein „ARD-Gewächs“ mit biografischer Verankerung in ebendiesem öffentlich-rechtlichen System sein sollte – und auf keinen Fall jemand von außerhalb, bei dem die Gefahr bestünde, dass er beim RBB wirklich etwas würde anders machen wollen.
Hier nun kommt – für die ihre üblichen Drähte ziehenden Puppenspieler im RBB und in der ARD sehr ungelegen – Ralf Manthey ins Spiel. Der 66-Jährige – der schon lange nicht mehr arbeitet, weil er muss, sondern nur noch, weil er will – entschließt sich dazu, dem RBB und der ARD seine Erfahrung und Expertise als Interims-Intendant anzubieten. Er schreibt, wie sich das gehört, eine Bewerbung mit Anschreiben und Lebenslauf und gut einem halben Dutzend persönlichen Referenzen – von denen wohl die allermeisten Menschen im Medienbetrieb froh wären, wenn sie nur einen solchen Hochkaräter mit Telefonnummer in einer Bewerbung anführen könnten.
Damit geht Manthey an die Kreml-Mauer. Und damit beginnt das Drama. Als Erstes stellt sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, dem nach eigener Aussage führenden Medienunternehmen in der Hauptstadtregion des viertgrößten Industriestaats der Welt verlässlich eine Initiativbewerbung zukommen zu lassen. Der Rundfunkrat, der den Job letztlich vergibt, ist laut Internet nur über die „Gremiengeschäftsstelle“ des Senders erreichbar. Die angegebene Faxnummer funktioniert nicht. Manthey schickt also am 23. August mehrere E-Mails. Eine Eingangsbestätigung bekommt er nicht. Zur Sicherheit schickt er am 25. August noch ein Einschreiben mit Rückschein hinterher. Old school.
Das ist bizarr bis an die Grenze zur Komik. Patricia Schlesinger, die aus Niedersachsen stammt, hatte ihr gesamtes Berufsleben in Hamburg und in einigen ARD-Auslandsstudios verbracht. Als sie zur RBB-Intendantin gewählt wurde, kam sie zum allerersten Mal beruflich nach Berlin. Manthey hat nicht nur viele Jahre in Berlin gearbeitet, sondern hat Zeit seines Lebens einen Wohnsitz in der Hauptstadt. Er war immer mindestens zwei Tage pro Woche in Berlin, weil seine Lebensgefährtin hier selbstständige Unternehmerin ist und sich um mehrere Filialen zu kümmern hat.
Kenntnis der Region ist für die Findungskommission ohnehin kein ernsthaftes Kriterium. Die Intendantensucher haben dem Rundfunkrat jetzt – als einzige Kandidatin – Katrin Vernau vorgeschlagen. Die Schwäbin ist Verwaltungsdirektorin beim WDR in Köln, hat in Hamburg und in der Weltstadt Ulm gearbeitet. Berufliche Erfahrung in Berlin oder Brandenburg hat sie – richtig: keine. Selbst im inneren Zirkel des RBB ist man damit sehr unglücklich. Vernau gilt als Kontrollkommissarin von WDR-Intendant Tom Buhrow für den RBB. Dass sie für die SPD in Baden-Württemberg einmal sehr aktiv Wahlkampf gemacht hat und dafür Ministerin werden sollte, ist hingegen in der ARD-Welt kein Hindernis, sondern vermutlich sogar eher von Vorteil.
Das Ganze erinnert nicht nur an die gute alte Zeit im Kreml, sondern auch an den Filz bei den Münchener Grünen. Die haben bekanntlich die mäßig qualifizierte, dafür linientreue Kandidatin Laura Dornheim trotz nachvollziehbarer Zweifel an der Korrektheit ihres Lebenslaufs zur hochbezahlten IT-Referentin der Stadt gemacht. Ihre Bewerbung wurde der des früheren Siemens-CIO Harald Hoefler vorgezogen, der sich auch für die Stelle interessiert hatte.
Ihm hatte man aber immerhin abgesagt. Irgendeine offizielle Mitteilung vom RBB – vom Rundfunkrat, von der Findungskommission, von der Personalabteilung, vom Pförtner, von irgendwem – bekommt Ralf Manthey dagegen beharrlich nicht.
70 Prozent der Berliner und Brandenburger wollen als nächsten RBB-Intendanten einen Kandidaten von außerhalb des Systems, das hat jüngst eine FORSA-Umfrage ergeben. Das Misstrauen der Zwangsgebührenzahler ist „riesig“, urteilt selbst die ansonsten zurückhaltende FAZ. Warum nur, warum…?
In Mantheys Sache dürfte jetzt eine interessante rechtliche Frage auftauchen: Als Anstalt des öffentlichen Rechts ist der RBB möglicherweise verpflichtet, auf Bewerbungen für Führungspositionen zu reagieren. Aber mit Recht und Gesetz haben sie es in Berlin ja nicht so.