Man stelle sich vor, ein Vereinspräsident sammelt ein paar Spenden ein, vielleicht auch ein paar mehr als üblich, weil die Sache, für die er steht, ausgesprochen beliebt ist. Er macht dann zwei oder drei Barabhebungen, um einen Kauf zu tätigen oder ein Projekt anzuschieben. Außerdem kann es sein, dass der kleine Vereinspräsident nicht immer streng zwischen seinen eigenen Ausgaben und solchen des Vereins unterscheidet – weil er der Verein ist und der Verein er. Und dann stelle man sich vor, dass plötzlich im Laufe einer Hausdurchsuchung sämtliche Vermögenswerte des Kaninchenzüchter-Präsidenten beschlagnahmt und die Bankkonten eingefroren werden. Und im Laufe dieser Ermittlung wegen eines Anfangsverdachtes der Geldwäsche und des Betrugs wird der kleine Vorsitzende dann abgeführt und am Ende von einem Richter in Untersuchungshaft gebracht, weil, so das Gericht, die Gefahr einer Absetzung ins Ausland mitsamt den Vermögenswerten bestanden hätte.
So könnte man etwas zugespitzt und metaphorisch übertragen den Fall Ballweg beschreiben. Denn Michael Ballweg war das Haupt des Vereins der Corona-Querdenker, die ihm, vielleicht aus persönlicher Geneigtheit und sicher mit politischen Absichten, Spenden überwiesen. Laut Anklageschrift in 9.450 Fällen, wobei dann insgesamt mehr als eine Million Euro zusammenkamen. 640.000 Euro von diesen Spendeneingängen soll Ballweg angeblich für eigene Zwecke genutzt haben, wie Bild berichtet. Seine Verteidiger sagen freilich, dass der Unternehmer Ballweg zuvor und daneben umfänglich eigenes Vermögen für seine Sache einsetzte. Außerdem soll er weitere 430.000 Euro in vier Barabhebungen zweckentfremdet und damit vielleicht sogar „gewaschen“ haben. Vier weitere Vorwürfe der Geldwäsche wurden, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, fallengelassen.
Eher als Ballwegs Geld scheint man seine Argumente zu fürchten
So steht es in der nun ergangenen Anklageschrift, ergangen wohlgemerkt erst neun Monate, nachdem Ballweg seine U-Haft in Stuttgart-Stammheim angetreten hat. Außerdem werden ihm darin Steuerstraftaten vorgeworfen. Dabei könnte es sich laut Gerüchten um die Nichtabgabe der Steuererklärung 2020 handeln, die am 31. August 2022 fällig gewesen wäre. Aber zwei Monate zuvor war Ballweg ja verhaftet, waren seine Steuerunterlagen konfisziert worden. Die Abgabe der Steuererklärung wurde also von den Ermittlern selbst verhindert.
Die Anklageschrift, die nun endlich nach neun Monaten des Wartens erschien, ist aber nur die eine Nachricht. Daneben kam Ballweg nun endlich frei, wie es viele seine Anhänger in allen großen Städten wie vor der JVA Stammheim selbst immer wieder bei Demonstrationen und mit Transparenten gefordert haben. Viele Gewaltkriminelle und Vergewaltiger kommen vermutlich rascher wieder frei, wenn sie in U-Haft geraten sollten. Sogar bei einem polizeibekannten Messertäter zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg war es in diesem Frühjahr nicht anders. Die monatelange Inhaftierung Ballwegs dürfte daher andere Gründe gehabt haben.
Michael Ballweg war einer der frühen Protagonisten des Protests gegen den umfangreichen Maßnahmenkatalog, der damals nach und nach auf der Grundlage der Corona-Pandemie eingeführt wurde. An ihm war ein Großteil der Querdenken-Bewegung ausgerichtet, die noch immer sehr lebendig ist und noch interessante Nachwirkungen in der deutschen politischen Landschaft hinterlassen könnte.
Die Vermutung eines politischen Verfahrens stand daher unmittelbar im Raum, als im letzten Sommer die Verhaftung Ballwegs bekannt wurde. Die lange, kaum durch Sicherheitsgründe gerechtfertigte Verweildauer in der Untersuchungshaft schien diese Vermutung zu bestätigen, ähnlich wie bei anderen, offenbar politischen Prozessen, etwa dem um die „Putschisten” gegen Lauterbach, die ebenfalls mehr als sechs Monate auf eine Anklageschrift warten mussten. Eigentlich ist die Untersuchungshaft, die von einem Staatsanwalt beantragt wird und von einem Richter beschlossen werden muss, auf sechs Monate begrenzt. Diese Zeitdauer sollte für das Verfassen der meisten Klageschriften ausreichen. Zur Not kann die U-Haft aber verlängert werden wie auch in Ballwegs Fall.
Die Zeit, in der Querdenken allgemein als etwas Positives eingeschätzt wird, scheint ja auch vorbei. Und so galten entsprechende Forderungen als randständig. Die Untersuchungshaft eines prominenten Kritikers zweier Bundesregierungen und der kontinuierlich durchgeführten Maßnahmenpolitik schlug daher kaum größere Wellen. Allerdings wurden die Wellen schon etwas höher, als die Untersuchungshaft nach sechs Monaten in die Verlängerung ging, ohne dass eine Anklageschrift ergangen war. Auch TE fragte bei einem Berliner Staatsanwalt nach, wie das sein könne.
Oberstaatsanwalt Ralph Knispel erklärte dazu, man müsse natürlich sehen: „Wie umfangreich ist ein Verfahren? Wie verhalten sich Beschuldigte oder Angeklagte und Verteidigung? Bedarf es weiterer Gutachten?“ Außerdem werde in solchen Fällen meist „mit scharfen Schwertern gekämpft, und dann können Sie davon ausgehen, dass die Verteidigung, die in aller Regel auch fachlich wirklich gut und personell stark aufgestellt ist, große und scharfe Geschütze auffährt“. Dass Knispel hier den Fall Ballweg so nachzeichnete, wie er ist, scheint wenig plausibel. Mehr als Ballwegs Geld hat die baden-württembergische Staatsanwaltschaft wohl die validen Gegenargumente von Ballwegs Verteidigerteam zu fürchten.
Ein Vorgehen, das sich auf viele Mutmaßungen stützt
Nach neun Monaten scheint die Staatsanwaltschaft ihre Möglichkeiten aber genügend geprüft zu haben. Heraus kam eine eingedampfte Anklageschrift. Aus dem Vorwurf des Betrugs wurde nun in merkwürdiger Zaghaftigkeit – der des versuchten Betrugs. Das geschah angeblich, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass die von Ballweg mutmaßlich „für private Zwecke genutzten Gelder von denjenigen Unterstützern stammten, die zumindest auch mit einer entsprechenden Handhabung einverstanden gewesen seien“. Das aber klingt schon beim ersten Hinhören merkwürdig.
„Versuch“ bedeutet ja, dass man eine Handlung in zumindest theoretischen, besser wohl praktischen Ansätzen verwirklicht, sie aber letztlich nicht vollendet. Der Begriff hängt also nicht etwa von der Einwilligung der Spender ab. Wenn die Spender mit dem Vorgehen nicht einverstanden gewesen waren, dann wäre diese Handlungsweise ein richtiggehender Betrug. Waren Ballwegs Unterstützer mit dem Vorgehen aber ganz und gar einverstanden – was anscheinend der Fall war –, dann gab es weder den Betrug noch den Versuch dazu. Der Anwalt Alexander Christ berichtet, dass es den allermeisten Schenkern tatsächlich egal war, was Ballweg mit ihren Spenden tat. Insofern handle es sich in deutscher Rechtssprache um einen „untauglichen Versuch“, weil eine Schädigung gar nicht möglich war.
Es wird also, kurz gesagt, Anklage erhoben wegen einer Tat, die bei Erhebung der Beweismittel noch in der Zukunft lag und zudem niemanden geschädigt hätte, wenn sie vollendet worden wäre. Auch das wirft kein gutes Licht auf diese Anklageschrift. Eine Festnahme und eine neunmonatige Untersuchungshaft im berüchtigten Gefängnis Stammheim wurden anscheinend auf reine Mutmaßungen gegründet.
Daneben ist auch die lange Inhaftierung nicht verständlich. Ballwegs Verteidiger hatten schon vor einiger Zeit angekündigt, dass ihr Mandant Meldeauflagen akzeptieren würde, wenn er nur freigelassen wird. Seine Konten seien ohnehin eingefroren, so dass eine Absetzung mit Vermögen ins Ausland nicht mehr als möglich gelten kann. Man kann die ganze Verzögerung dieser unabwendbaren Freilassung von Michael Ballweg also wohl am ehesten mit den Nöten der Anklage beim Verfassen der eigenen Klageschrift und mit einem Versuch erklären, das eigene Gesicht zu wahren.
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