Tichys Einblick
Ballweg über Freiheitsbewegungen

Querdenken-Demo in Berlin: Von einem Ausnahmezustand in den nächsten

Querdenker-Happening in Berlin: Am Sonnabend zogen Zehntausende durch die Bundeshauptstadt, neben Deutschen auch Schweizer und Österreicher. Sie alle einte wohl eine Erfahrung: die der Corona-Jahre – quasi Vergangenheit, die nicht vergehen will. Manch einer zog eine direkte Linie zum Krieg von heute.

Berlin, 03.08.2024

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Der Berliner Hauptbahnhof stand angeblich kurz vor dem Kollaps, doch das lag nicht so sehr an der Querdenker-Demo. Vor allem hatte es einen Brandanschlag auf Kabel der Bahn gegeben, so wie in Frankreich. Und wie dort wohl auch bekannten sich Linksextremisten zu der Tat. Der Verkehr bleibt noch einige Tage eingeschränkt. Es scheint ein Chaos am Hauptbahnhof gegeben zu haben an diesem Samstag. Derzeit sollen sich Reisende erst fünf Minuten vor Abfahrt zum Gleis begeben. Und diese Maßnahme erinnert zumindest ein wenig an das Grundthema der Querdenken-Demo: Corona und seine Freiheitsberaubungen.

Tichys Einblick Talk
Corona und kein Ende - Tichys Einblick Talk mit Michael Ballweg
Laut Polizei waren mindestens 12.000 Demonstranten dabei. Einzelne Beobachter gingen vom Zehnfachen aus. 5.000 Teilnehmer waren ursprünglich angemeldet worden, zur Schlusskundgebung rechnete man mit 17.000, aber das können nur Schätzwerte im Vorhinein sein. Angesichts zahlreicher Gäste aus Nah und Fern scheinen auch größere Zahlen durchaus denkbar. Sogar die Freiheitstrychler aus der Schweiz mit ihren Glocken waren ja dabei, ebenso Österreicher, daneben Besucher aus dem ganzen Bundesgebiet.

Am späten Nachmittag war die Hofjägerallee am Großen Stern im Tiergarten jedenfalls noch immer gut gefüllt mit Demonstranten aus Berlin und anderswo, die vor allem durch die Corona-Jahre, das aber nachhaltig, geprägt zu sein schienen. Eine stille Gelassenheit und Festigkeit hat sich seitdem in den Gesichtern und Körpern der Teilnehmer abgesetzt. Sie wollen sich nicht mehr alles gefallen lassen.

Ein medialer Ausnahmezustand jagt den nächsten

Die Folgen des pandemischen Ausnahmezustandes bewegen in diesem Großmilieu auch weiterhin, umso mehr als die RKI-Protokolle und andere Enthüllungen heute beweisen, wie viel Schein damals im politischen System existierte. Hinzu kommt nun der Krieg in der Ukraine, der von einigen als der nächste Ausnahmezustand begriffen wird – zuerst in den Medien, aber vielleicht bald auch im Leben der Bürger. Das befürchten viele. Häufig sind die Forderungen zu lesen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und andere „Kriegstreiber“ als erste an die Front zu schicken. Friedenstauben haben sich auf vielen T-Shirts abgedruckt.

Auch die Reden drehen sich genauso um das Thema Krieg und Frieden wie um die Integrität des eigenen Körpers. Gibt es zwischen all dem einen geheimen Zusammenhang? Vielleicht gar ein einheitliches globalistisches Polit-Programm? Das sagen nicht alle so deutlich, aber viele doch. Anderen wird es dann aber doch etwas zu spirituell zwischen gesungenen Mantras, Meditationen und dem Weg nach innen. Aber das ist sicher auch ein Teil des Erfolgs von Querdenken, dass man ein explizit politisches Motto vermeidet und die Selbstsuche ins Zentrum gestellt hat.

Alle Foto: Matthias Nikolaidis

Die Demonstration lief dabei unter dem Grundmotto „Einigkeit und Recht und Freiheit“, zeigte sich also republiktreu oder auch schlicht von der Fallersleben-Hymne inspiriert. Es war die erste Querdenken-Demo, seit der Gründer der Bewegung Michael Ballweg im Frühjahr aus seiner neun Monate währenden, dabei schlecht begründeten Untersuchungshaft freikam.

Ballweg will den unterdrückenden Systemen die Energie entziehen

Ballweg hielt nun eine Rede über Freiheitsbewegungen, eingeleitet mit den Worten: „Achtung, das Friedens-, Freiheits- und Wahrheitsvirus ist ausgebrochen!“ Unter den verschiedenen Freiheitsbewegungen, die Ballweg in seiner Haft studieren konnte, haben ihn am meisten die von Mahatma Gandhi und jene um Václav Havel beeindruckt. Wandel durch Gewaltlosigkeit war das Motto beider Denker. Dem bestehenden System wurde „die Energie“ entzogen, so wurde die Abhängigkeit vom jeweils unterdrückenden System gemindert. Die Stasi, so Ballweg, hätte ihre helle Freude an der „mobilen Wanze“ Mobiltelefon gehabt. Ballweg wirbt für den Ausstieg aus Google, Apple und Co. Das sind also die „unterdrückenden Systeme“ (neben dem Staat), denen man sich heute entziehen soll. (Wir wissen natürlich, dass auch Youtube zu Google gehört. Trotzdem hier ein Link zur Information. Anm. d. Red.)

Zahlreiche Auflagen galten für die Versammlung, so durfte weder das Logo des verbotenen Magazins „Compact“ gezeigt werden, noch durften Redner anscheinend auch nur den Namen des Magazins in den Mund nehmen. Das ist eine absonderliche Auflage, die das Redeverbot – im Wortsinne – eine Stufe weiterdreht. Oder war es doch nur eine Übertreibung des Redners, der seinem Publikum etwas zu verstehen geben wollte?

Tatsächlich wurden Fahnen und Transparente mit dem verbotenen C im Kreise alsbald einkassiert. Es gab zahlreiche Stände, darunter auch solche von Parteien wie der „Basis“ und der AfD und solche von engagierten Medizinern und Juristen. Hinzu kam ein großer LKW, der an das Wirken des Whistleblowers Julian Assange erinnerte. Auf dem großen Demonstrationszug von dem Charlottenburger Steinplatz bis zum Großen Stern wurden – vereinzelt – auch halb-verbotene Lieder gespielt.

Das Vor-Corona-Lebensgefühl kehrte nicht ganz zurück

Und dabei war die Versammlung, wie von Querdenken gewohnt, von einer großen Vielfältigkeit geprägt. Was früher als links oder rechts galt, traf sich hier. Bewegend die Anwesenheit so vieler älterer Damen und Herren, die „nichts zu verlieren haben“ (O-Ton) und sich deshalb trauen, zu ihrer Meinung zu stehen. Eine Dame berichtet, dass sie ihre vier Kinder fast ganz vor den mRNA- und sonstigen Spritzen bewahren konnte. Nur eine Tochter habe dem Druck durch ihre Clique einmal nachgegeben. Aber das alte Vor-Corona-Lebensgefühl scheint für das Ehepaar noch nicht wiedergekehrt zu sein. Und das ist das eigentlich Bemerkenswerte an dieser politischen Versammlung, die sich ja nicht an einen konkreten Anlass heftete. Vielmehr ging es um eine große Reflexions- und Übertragungsleistung. Man versucht, die Realität als Gesamtbild zu lesen, zu verstehen und sich darin zurechtzufinden.

Aber es gab auch die Vereinfachungen, die Russland-Fahnen und Blumen-Botschaften an die russischen Brüder bis hin zum feilgebotenen Pali-Friedens-Schal, den viele wohl nicht mit-tragen würden. Aber das war wohl eher eine Kleinigkeit am Rande, die von der großen Toleranz der Veranstalter spricht.

Winzig war ebenfalls der Gegenprotest der „antiverschwurbelten Aktion“, alias Antifa.


Anzeige
Die mobile Version verlassen