Tichys Einblick
Nach Scholz-Besuch in Moskau

Putin würdigt erstaunlich breit die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland

Das Treffen zwischen Putin und Scholz war offensichtlich ein Erfolg. Jedenfalls ist die unmittelbare Kriegsgefahr gebannt. Putin betont danach den hohen Stellenwert der deutsch-russischen Beziehungen. Und Scholz zeigt sich konziliant und standfest zugleich.

Bundeskanzler Olaf Scholz und der russische Präsident Wladimir Putin in Moskau, 15.2.2022

IMAGO / SNA

Die Kuh ist noch nicht ganz vom Eis, aber immerhin steht sie schon auf halbwegs gefestigtem Ufergrund. Diesen Eindruck musste im Konflikt um die Ukraine jeder aufmerksame Beobachter der gemeinsamen Bilanz von Putin und Scholz nach ihrem mehrstündigen Gespräch ziehen. Zumindest kann man davon ausgehen, dass nicht schon gleich morgen die russischen Panzer Richtung Kiew zu rollen beginnen. Ganz offensichtlich spielt das Verhältnis zu Deutschland für Putin eine zentrale Rolle.

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So überraschte als erstes, dass nahezu die Hälfte seines Statements einer ausführlichen Würdigung insbesondere der gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen galt. Für jeden, der den russischen Nationalstolz als Teil der eigenen Identität kennt, musste es eine Überraschung sein, dass der russische Präsident den Beitrag deutscher Manager zu Innovationen der heimischen Wirtschaft lobte. Weiter kann ein Kreml-Herrscher nicht gehen. Aus seiner Sicht sollten die Beziehungen beider Länder intensiviert werden.

Über die Kritik an der Rolle des Alt-Bundeskanzlers Gerhard Schröder im beidseitigen Verhältnis gab Putin sich erstaunt: „Es sei doch im Interesse der Deutschen, wenn ein Deutscher in den entscheidenden Gremien der für die Energieversorgung Deutschlands wichtigen Unternehmen säße.“ Ein Argument, das hier in Deutschland, wo nationale Gefühle längst als rechts-außen diffamiert werden, nur schwer zu verstehen sein dürfte. Eines schaffte die Nummer Eins der Russen allerdings nicht. Er konnte den Gast aus Berlin nicht aus der geschlossenen Front des Westens herausbrechen.

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Scholz betonte mit fester Stimme, dass für den Westen die Aufgabe prinzipieller Bestandteile des Völkerrechts, insbesondere das Absprechen der Souveränität einzelner Staaten und die Festlegung von Einflusszonen, nicht zur Debatte stünde. Und weiter fügte der Deutsche erneut hinzu, dass ein militärisches Vorgehen gegen die Ukraine gravierende Folgen auch für Russland nach sich zöge. Dabei ließ er wieder offen, ob das Ende des Nord-Stream-2-Projektes zum Katalog der Vergeltungsmaßnahmen gehören würde, aber er garantierte auch nicht den Fortbestand. Konsens bestand mit Putin über die Fortführung der diplomatischen Versuche zur Lösung der Krise. Das klang vor zwei Tagen noch ganz anders. 

Bemerkenswert ist neben diesem wesentlichen Punkt auch das sonstige Auftreten des deutschen Kanzlers. So sprach er deutlich das rigide Vorgehen gegen die Menschenrechtsorganisation Memorial an, ebenso wie den „nicht rechtsstaatlichen“ Umgang mit dem Kreml-Kritiker Nawalny. Auch die Behinderung der Arbeit deutscher Organisationen – gemeint sind die Tätigkeit der Partei-Stiftungen und der NGOs – brachte der Kanzler zur Sprache. Sicher war es auch kein Zufall, dass die erste Frage in der Pressekonferenz ostentativ von einer Mitarbeiterin der seit kurzem in Russland mit Sendeverbot belegten „Deutschen Welle“ gestellt wurde. Putin wird all dies zur Kenntnis genommen haben, obwohl er erwartungsgemäß mit keiner Silbe darauf einging. 

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Zu registrieren ist auch, dass Putin seine ursprünglichen Maximalforderungen, wie den Rückzug der NATO auf den Status von 1979 (also vor dem Beitritt der ehemaligen Staaten des Ostblockes zur NATO) nicht mehr in den Vordergrund stellte. Vielmehr legte Moskau diesmal den Schwerpunkt auf das Verhalten der ukrainischen Regierung und deren Nicht-Einhaltung von bereits im „Minsker Protokoll“ getroffenen Vereinbarungen. Auch hier relativierte Scholz sofort, indem er anfügte, dass wohl beide Seiten Korrekturen im Verhalten vornehmen müssten.

Unter dem Strich war der Scholz-Besuch ein Erfolg! Einen Durchbruch konnte niemand erwarten. Die unmittelbare Kriegsgefahr aber scheint gebannt. Jetzt kommt es wieder auf die Diplomatie an.

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