Die Europäische Union muss unter der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine neue Vision der europäischen Idee entwickeln, sonst werden sich die Bürger in der EU „frustriert und verängstigt weiter abwenden“. Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld, Direktor des Zentrums für angewandte Politikforschung an der Universität München, sieht die EU aktuell im Krisenmodus und in einer „Ära strategischer Sprachlosigkeit“. In einem Gastbeitrag für das Meinungsmagazin Tichys Einblick schreibt Weidenfeld: „Die Europapolitik begegnet den großen Herausforderungen – von der neuen Völkerwanderung über die terroristischen Gefahren, von der Klimadiskussion bis hin zur aktuellen weltpolitischen Krisenlandschaft – entweder mit Ratlosigkeit oder mit situativem Krisenmanagement. Die Sehnsucht der Bürger nach strategischen Zukunftsperspektiven bleibt unerfüllt. Die politische Elite bleibt sprachlos.“
Trotz existentieller Herausforderungen biete die Politik keine strategischen Lösungen. „Europa zeigt sich vielmehr als ein Kontinent der Fragezeichen.“ In den fehlenden Lösungen und dem Vertrauensverlust in Politik und Demokratie sieht Weidenfeld einen Grund für das Erstarken linker und rechter populistischer Parteien. Weidenfeld: „Der Kontinent wirkt im Blick auf seine Gestaltungskraft müde, pessimistisch.“ Es sei jetzt wichtig, Europa eine neue Zielorientierung zu geben. „Es existiert keine Agenda, die Europa in Krisen und Konflikten eine zuverlässige Orientierung geben könnte. Erst wenn es gelingt, eine Kultur strategischen Denkens zu entwickeln, wird es eine markante gestalterische Relevanz nach innen und außen erhalten. Dazu bedarf es einer Neubegründung des europäischen Integrationsprojekts.“