Tichys Einblick
Interview TE 09-2019

Prof. Haller: Leitmedien müssen wieder diskursiv werden, wenn sie nicht verschwinden wollen

Große Medien müssen vom „Katheder des Besserwissers“ herabsteigen.

Berlin. Leitmedien wie die überregionalen Tageszeitungen in Deutschland müssen wieder diskursiv werden und nicht einseitig berichten, wenn sie überleben wollen. Nach Meinung des Medienforschers Prof. Michael Haller müssen die großen Tageszeitungen zurückkehren zur „Perspektive des diskursiven Qualitätsjournalismus“ und als Maßstab ihrer Berichterstattung anlegen. „Das gilt insbesondere für den tagesaktuellen Informationsjournalismus, andernfalls macht er sich selbst entbehrlich“, sagte Haller im Gespräch mit dem Magazin Tichys Einblick des früheren WirtschaftsWoche-Chefredakteurs Roland Tichy. Die Aufgabe der Leitmedien sei es, die öffentliche Debatte zu organisieren. Und das gehe nur, wenn der Informationsjournalismus „vom Katheder des Besserwissers herabsteigt und sich um den Diskurs kümmert. Hierzu muss er auch systematisch trennen zwischen Information und Meinung. Und er muss die in der Gesellschaft angetroffenen Positionen und Standpunkte thematisieren.“

Weil die großen Tageszeitungen diese Rolle aber nicht erfüllen, hätten sich alternative Medien im Internet gebildet, die eine wichtige Rolle einnehmen, weil sie „als Störer die im Diskurs der Leitmedien übergangenen Argumente, Meinungen und Stimmungen artikulieren“, so Prof. Haller. „Hier öffnet sich eine breite Lücke im politischen Meinungsspektrum. In diese Lücke stoßen die alternativen Medien.“ Haller ist aber optimistisch, dass auch die Leitmedien ihre Berichterstattung wieder Richtung Vielfalt verändern. „Die Silvesternacht (in Köln, die Red.) war der Einbruch der Realität ins Träumerland der universalistisch denkenden Journalisten. Die Informationsmedien konnten nun nicht mehr als Verfechter der Willkommenskultur ihre Gesinnung demonstrieren. Seit Frühjahr 2016 kommen sie verstärkt ihren Berichtspflichten auch über Probleme des Asylbewerberalltags nach.“ Nicht zuletzt, um nicht noch mehr Leser und Auflage zu verlieren und um zu überleben, glaubt Prof. Haller, dass sich die Leitmedien weiter öffnen werden. „Für die überregionalen Tageszeitungen und ihre Onlineangebote könnte die Öffnung in Richtung Diskursivität zu einem wichtigen Erfolgsfaktor werden.“ Denn sie hätten inzwischen schon so viel Auflage und Reichweite verloren, dass sich die Leitmedien ausrechnen können, „wann sie vom Markt verschwinden werden“.


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