Nicht genug damit, dass man sich im Deutschland des 21. Jahrhunderts mit neuen Bedrohungen abfinden muss; Nein, es ist mittlerweile unschöner Brauch, dass führende Politiker und Beamte an selbst eingebildeter oder tatsächlich tragender Stelle in unserem Staat meinen, sich alsbald und regelmäßig im Internet oder vor Kameras und Mikrofonen zu Schrecklichkeiten melden zu müssen. Obwohl sie diese Anlässe immer wieder als „unbegreiflich“ oder „unfassbar“ bezeichnen, ihnen dazu also in Wahrheit die Worte fehlen.
Zwölf verletze Soldaten: Frau Kramp-Karrenbauer tritt kurz vor die Mikrofone und betont, dass heute „alle bei den verletzen Kameraden“ seien. Trotzdem: niemand erwartet, dass sie nach dem kürzlichen Anschlag in Mali händeringend in ihrem Büro an die Verletzten denkt, oder dass „unsere“ Gedanken (wessen, des Einsatzführungsstabes?) sich um alle Betroffenen drehen. Dass die Ministerin an den Fahneneid der Soldaten erinnert, der sich nun und leider auch schon früher in seiner schlimmsten Konsequenz hat bewähren müssen, klingt in ihrem sechs-minütigen Auftritt arg schulmeisterlich.
Weniger ist Mehr
Nach dem Anschlag von Würzburg zeigt sich bei der Pressekonferenz: Reden ist Silber, aber Schweigen ist bei diesen Anlässen Gold. Sonst ruiniert man sich den vielleicht erhofften Effekt, ja, verkehrt ihn ins Gegenteil. Nicht nur die Angehörigen der Opfer, sondern auch die Bürger könnten eine hastig einberufenen Konferenz in einer notdürftig dafür hergerichteten Turnhalle, mit sieben Spitzenleuten als zu viel des Guten erachten.
Hier bei youtube zu sehen:
Besonders, wenn soviel Gutes gar nicht dabei ist.
Die Schilderungen einiger Teilnehmender, wie sehr Bilder und Umstände der Tat das eigene Nervenkostüm und das selbst „erfahrener Einsatzkräfte“ erschüttert haben, sind entlarvend. Man weiß eigentlich nicht viel zu sagen, so im Nachhinein, deshalb rekapituliert man viel, viel zu viel. Und neben den Stilblüten, die diese Chefrunde hervorbringt z.B. dem „Bilderbuchmäßigen Schuss in den Oberschenkel“ und Opfern, die mit „dem Leben ringen“ (Herrmann) ergeht man sich ausführlich in Lob für Ärzte, Sanitäter und Polizeibeamte, wie schnell diese vor Orte gewesen seien, wie vorbildlich sie die Opfer „außer den Dreien, für die man nichts mehr habe tun können,“ versorgt haben. Die Polizei muss aber andererseits auch zugeben, dass offenbar mit „Hölzern bewaffnete Passanten“ eine nicht unerhebliche Rolle bei der Beendigung des Amoklaufes gespielt haben. Auch sie werden gelobt. Niemand mahnt, wie solcher Heldenmut ausgehen könnte.
Im Bayerischen Innenministerium hat man sich daher offenbar sehr schnell dazu entschieden, den Anschlag in Würzburg „offensiv“ zu kommentieren. Sogar einen Moderator hat man angestellt, der das Gespräch einleitet. Polizeipräsident Kallert, Vizepräsident Wilhelm, der Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Kühnert, Oberstaatsanwalt Gosselke, Innenminister Hermann, OB Schuchardt sowie der leitende Staatsanwalt Gründler sitzen an improvisierten Tischen im Angesicht der versammelten Journalisten. Schon, so erfährt man, stehe der Termin für einen Gedenkgottesdienst fest, bei dem verschiedene Kirchengemeinden Würzburgs erscheinen sollen. Dass die Zahl der Todesopfer noch steigen kann, scheint unerheblich.
Konferenz der Angefassten
Wie man das eigentlich schon beim Kartenspielen gelernt haben sollte, das „Pokerface“ gehört zur Ansage dazu. Wer kein wirklich gutes Blatt in der Hand hat, der sollte nicht bluffen. Wehklagen, Jammern und Augenrollen sollte man tunlichst unterlassen, will man nicht jeden Vorteil verspielen. Die versammelten Hochkaräter aus Polizei und Justiz irren sich, wenn Sie meinen, die Zuhörer (Ausnahmen soll es geben) würden gerne Zeuge werden, wie sehr ihre Verteidiger und Beschützer durch den Angriff getroffen wurden. Helden können sich abends seufzend in die Arme der Liebsten fallen lassen, nicht aber vor den Augen der versammelten Mannschaft. Das Gespräch, wie es einige der Beamten tun, mit einem Blick in den eigenen Schockzustand zu beginnen, ist ein Fehler.
Die Riege der immer gleichen Offiziellen sollte parteiübergreifend zu der Einsicht gelangen, dass das gebetsmühlenhafte Aufsagen holzschnittartiger Sätze und das Überbetonen des Umstands, dass man als Minister oder aber auch Präsident in Gedanken bei den Angehörigen sei, einfach nicht genügend glaubhafte Anteilnahme verströmt. Vielleicht soll es das auch gar nicht.
Man dankt den Rettungskräften, die so schnell vor Ort gewesen seien, man lobt überschwänglich das medizinische Personal und deren Professionalität, und je öfter dies geschieht, desto mechanischer und unaufrichtiger klingt es. Heruntergebetete Dankbarkeit, die schräg klingen muss. Wie in der Pandemie.
Außer den dürftigen Fakten haben die sieben Männer um Innenminister Herrmann in der Sporthalle eigentlich nichts weiter mitzuteilen, Sie bemühen sich aber nach Kräften, die ihnen offenbar verordnete Redezeit zu füllen. Die vor Ihren Geräten versammelten Bürger sollen sich sicher fühlen, den Eindruck vermittelt bekommen, dass alles getan wird, um sie zu schützen, und dass man stets Herr der Lage war. Dass sich die Straßen schnell mit Uniformierten füllten (300 sollen es gewesen sein).
Innenminister Herrmann kann nicht umhin, eine Schilderung des Erstaunens zu geben, in welches diese Tat ihn versetzt habe, verrät damit aber auch, dass er (trotz des Angriffs 2016) nicht vorbereitet war: „Dass sich so etwas überhaupt in unserem Land und in dieser herrlichen Stadt, die wir alle so lieben, ereignen kann …“ Generalstaatsanwalt Gründler: „.. die letzte Nacht ist uns an die Nieren gegangen …“
Einige Einlassungen hören sich an wie aus der Dienstanweisung verlesen (Wilhelm):
„Betreuung und Opferschutz habe einen hohen Stellenwert, das konzeptionelle Herangehen an derartige Einsatzlagen … umfangreicher Raumschutz wurde gefahren, starke polizeiliche Präsenz, Interventionskräfte waren verfügbar, Schutzwesten und Bewaffnung um entsprechend gegen weitere Täter vorgehen zu können … Betreuungsdienst der Polizei habe innerhalb der Region (ca. 30 Betreuer) mit den Fachkräften der Krisenintervention als Ansprechpartner für die Opfer zur Verfügung gestanden …“
Man habe sehr schnell vor Ort Kräfte verlagert und eine Zeugensammelstelle eingerichtet … die Ermittlungen seien am gestrigen Tage auf Hochtouren gelaufen … und man bitte die jungen und junggebliebenen Handykamera-Fotografen um ihre Aufnahmen … vor der Tat … im Uploadportal der Polizei zur Verfügung zu stellen, damit man insbesondere die „Vortatphase“ erhellen könne,“ also um festzustellen, ob der Täter alleine unterwegs gewesen ist (Kühnert).
Nach etwas über einer Stunde löst sich die Runde auf, der Moderator gibt den Korrespondenten noch den Hinweis, dass nun „die Möglichkeit bestehe, O-Töne zu bekommen … man hätte in zwei Fällen „eine Kulisse“ aufgebaut mit im Hintergrund Polizeifahrzeugen und Uniformierten ….“
Und wo blieb die Frage, weshalb nach all den „Einzelfällen” nichts getan wurde, um das Reservoir der „Einzeltäter” zu verkleinern?