Vergleiche aus der Nazi-Zeit sind böse. Sie sind das Übelste, was in der Debatte passieren kann – eigentlich ein Verbrechen, weil sie die Verbrechen zwischen 1933 und 1945 verharmlosen. Wenn diese von Rechts gegen Links kommen. Als in der Pandemie eine junge Frau aus Kassel ihre Situation mit der von Sophie Scholl verglich, fielen grüne Journalisten, ARD-Aktivisten, kurz: die vereinte linke Wokeria über sie her – wie ein Rudel Hyänen über ein hinkendes Zebra.
Kommen die Vergleiche mit der Nazi-Zeit jedoch von Links und zielen gegen Rechts sind sie die gängigste Währung der politischen Debatte: Den Linken in seinem Lauf, hält Doppelmoral nicht auf. Die Welt am Sonntag gab diesem Chor den Ton vor mit der Schlagzeile: „Marsch auf Rom“. Über die Jahre 1922 und 2022 ist zu lesen: „Hundert Jahre später ähnelt die Lage in Italien der Situation 1922 erstaunlich.“
Gut. Damals gab es keine Neuwahl. Anders als heute putschte der ehemalige Linke Benito Mussolini lokal und drohte mit einer Revolution in der Hauptstadt. Nach der Machtübernahme schlug die neue Regierung Aufstände blutig nieder, es gab unter anderem in Rom Tote. Aber lässt man außer Acht, dass das alles vor hundert Jahren komplett anders war, ist es für die Welt heute ganz genauso. Zumindest wenn man als Linker rechten Wahlerfolgen zusehen muss. Dann ist der Vergleich mit Benito Mussolini eigentlich noch viel zu wenig.
Deutschland zahlt, damit Italien seine Staatsschuld problemlos weiter bedienen kann“, schreibt das Handelsblatt. Das stimmt. Schon seit Jahren. Nun entdeckt das Handelsblatt diesen Zusammenhang. Die neue Regierung ist noch nicht im Amt und schon trägt sie für deutsche Medien die Schuld an etwas, das sie bei Mario Draghi ein Jahr lang wegnuschelte. Der war für deutsche Medien eine Art Retter und Volkstribun. Ihn zu kritisieren wäre rechts gewesen. Jetzt ist das bei den gleichen Inhalten was ganz anderes.
Folglich drücken die Springer-Zeitungen aufs Gaspedal: „Das neue Italien wird zum Risiko für den Euro“, legt die Welt nach. „Nach der Wahl steigen die Zinsen in Italien auf den höchsten Stand seit der Euro-Krise und der Euro verliert weiter.“ Der stünde nun bei 96 Cent im Vergleich zum Dollar. Gut. Einen Werktag vor der Wahl stand er bei 97 Cent. Das erwähnt die Welt nicht, weil das die schöne Erzählung über die hässlichen Rechten nur mit politisch verdächtigen Fakten belasten würde.
Italien werde nun wieder zum politischen Wackelkandidaten, heißt es weiter. Das war es demnach vorher nicht. Also ist Draghi nochmal zurückgetreten, weil… – aber Recherchen machen im Haltungsjournalismus nur die Fakten kaputt. Mit der neuen Regierung werde nun alles viel schlimmer, weiß die Welt: Investoren fürchteten eine „Ausgabenlawine“. Das deutsche Entlastungspaket hatte die Springer-Zeitung aber auch hart kritisiert – weil da die „Ausgabenlawine“ nicht heftig genug runterkam. Kinderreiche Familien seien vergessen worden, kritisierte die Welt. Als es gegen die eigene Regierung ging. Außerdem titelte sie: „Entlastungspaket geht ,in die richtige Richtung`“.
Mit ihrem Tweet zu Italien fasst Hollstein nun die deutsche Berichterstattung über Italien gut zusammen: Sie versteht nicht, was dort passiert ist. Geschweige denn, warum. Allerdings machen sich die deutschen Journalisten auch nicht die Mühe, es verstehen zu wollen. Wer eine klassische deutsche Tageszeitung sucht, die erklärt, warum es zu dem Ergebnis gekommen ist, der muss es in der Schweiz versuchen. Die Neue Zürcher Zeitung geht auf Ursachensuche unter: „Giorgia Melonis Wahlsieg ist ein Zeichen des Protests.“
Immerhin vergleicht keine Zeitung Meloni mit Hitler. Wobei. Die Welt: Sie zitiert Hitlers Propagandaleiter Hermann Esser, der 1922 mit Blick auf Italien gesagt habe, nur eine nationale Diktatur könne Ordnung schaffen. „Das ist ein Gefühl“, so die Welt, „das ganz ähnlich auch im italienischen Wahlkampf 2022 formuliert wurde.“ Um einen Nazi-Vergleich sind deutsche Medien nie verlegen. Solange sie von Links kommen.