Ob nun das amtliche Endergebnis der Stimmauszählung heute Abend dem Kandidaten Hofer oder dem Kandidaten Van der Bellen eine Stimme mehr oder ein paar Stimmen mehr als dem Konkurrenten bringen wird, ist für die Gesamtbeurteilung der politischen Lage in Österreich irrelevant. Mit zur Not einer Stimme Mehrheit zieht der Wahlgewinner ins Präsidentenamt und macht seine Politik für oder gegen die Menschen in Österreich – das ist auch bei der Richtungswahl, um die es sich nach allgemeiner Einschätzung handelt, dann sehr bedeutsam, wer der Präsident ist, der Grüne oder der Blaue. Aber: Beide Kandidaten haben mit gut 2,2 Millionen Stimmen einen gleichgroßen „Marktanteil“ errungen und es steht genau 50:50.
Da nun der eine Präsidentschaftskandidat systematisch und natürlich politisch korrekt „Populist“ genannt wird, ist der andere Kandidat mit exakt dem gleichen Stimmergebnis in exakt gleichem Umfang kraft Definition in gleicher Weise „Populist“ wie der andere.
Das Wort Populist sagt es bereits, der Populist giert nach der Mehrheit und macht sich eben populistisch lieb Kind bei seinen Wählern. Jeder, der für ein politisches Amt kandidiert, ist scharf auf die Macht und begehrt im demokratischen Prozess nach der Mehrheit, die ihn ins Amt hievt. In Österreich hat man es also jetzt mit zwei gleich machtgierigen/gleich erfolgreichen 50-Prozentern zu tun. In diesem Sinne hat Hofer seinen 50 Prozent geflüstert, dass er der bessere ist und Van der Bellen hat in gleicher Weise seinen 50 Prozent geflüstert, dass er für sie das Nonplusultra wäre. Damit wäre also geklärt, dass das permanente Geschrei von Kreti und Pleti, in den Medien und in der Politik und bei den Netzjunkies, dass es nur einen Populisten, den Populisten Hofer gäbe, bereits ad absurdum geführt.
Ein Unterschied zwischen Van der Bellen und Hofer wäre vor allem, so Van der Bellen ständig und auch nach Schluss der Wahllokale, ein unterschiedlicher Ansatz in der Europa-Politik, der allerdings de facto ziemlich marginal sein könnte. Van der Bellen trumpft mit einer Art Vision von den Vereinigten Staaten von Europa auf, also von einem europäischen Zentralstaat mit unterschiedlichen regionalen Facetten. Hofer befürwortet den Staatenbund Europa. Beide Varianten, die, je nach Ausgestaltung, kleinere oder auch sehr große gemeinsame Schnittmengen aufweisen, sind nicht geeignet die Anhänger der einen oder der anderen politischen Denkschule als gut oder böse auszuweisen, den einen zum Populisten oder den anderen zum moralischen Überflieger zu qualifizieren.
Es ist grauenvoll langweilig, aber auch furchtbar falsch Nazi-Assoziationen in Bezug auf Österreich zu wecken und zu schüren, weil die Blauen einen europäischen Staatenbund präferieren.
Betrachtet man den zweiten wesentlichen Streitpunkt zwischen grün und blau, nämlich die Einwanderungsfrage/Islamfrage, die wahrscheinlich vor allem bei den Wählern die Entscheidung in die eine oder andere Richtung bewegt hat, bestätigt sich das Bild, dass die Kandidaten nicht weit genug auseinander sind, um die eine Seite als anrüchig und die andere als edel und perfekt zu erkennen, wie es sich in allzu vielen Köpfen ganz selbstverständlich festgesetzt hat: Auch hier ist die Differenz zwischen den Kandidaten vielleicht kleiner als manchem Etablierten lieb sein mag. Van der Bellen hat sich relativ diffus geäußert und eine Festlegung wie Hofer vermieden.
Van der Bellen steht für das bisherige Establishment Österreichs unter grüner Führung und verspricht nichts Anderes als ein „weiter so“ der offenbar gescheiterten österreichischen Politik, die sich allerdings vor der Präsidentschaftswahl und mit dem Rücktritt Faymanns auch mittendrin in Sachen Masseneinwanderung schon in Richtung Grenzschließung entwickelt hatte. Hofer ist eigentlich mehr der vom Establishment und den gentrifizierten Milieus als Störenfried empfundene Anführer der sich benachteiligt fühlenden kleinen Leute, wie es heißt. Es handelt sich eigentlich mehr um einen subkulturellen Unterschied zwischen arrivierten ideologischen Grünen und dem großen Heer deren Anhänger, die Österreichs Wohlstand in vollen Zügen genießen und jenen, die von dem hysterischen Moment der ideologischen Beschwichtigung nicht erreicht werden, die das Vertrauen, dass alles gut gehen wird, nicht entwickeln können.
Die Vergiftung der politischen Kultur
Die beiden Lager blau und grün unterscheiden sich im Wesentlichen im Stallgeruch und in artifiziell aufgeblasenen objektiv weit weniger wichtigen Detailunterschieden. Noch am ehesten als krass zu bezeichnen ist die Differenz zwischen grün und blau in der Genderpolitik und -erziehung. Die Genderideologie findet im blauen Lager erkennbar keinen Zuspruch. Im jetzt grün dominierten etablierten Lager gibt es einen teils fanatischen Genderismus, der allerdings, von wenigen lautstarken Aktivisten angeheizt wird. Wie ernst die scheinheiligen Befürworter der Masseneinwanderung den Genderismus tatsächlich nehmen, zeigt sich in deren willenlosen Akzeptieren der genderfreien oder besser noch genderfeindlichen Räume der wachsenden Parallelgesellschaften, die von vielen Migranten und Einwanderern etabliert werden.
Die Vergiftung der politischen Kultur durch die etablierte Verteufelung des Gegenkandidaten Hofer mit aufgeladenem Nazi-Ressentiments, reißt gesellschaftliche Gräben auf. Dabei geht es weniger um Sachpolitik als mehr um Sympathie und Antipathie. Die grünlinke Leitkultur reagiert mit Hass auf den blauen Erfolgskandidaten Hofer und schlägt mit ihren Vorwürfen á la rechtsextrem gegen inzwischen die Hälfte des österreichischen Souveräns weit über die Stränge. Daran ändert auch die gönnerhafte Feststellung vieler etablierter Stimmen, dass nicht alle Hofer-Wähler Nazis wären, ziemlich wenig.
Auch das Gerede vieler österreichischer Medienprofis in der Wahlnacht, dass das Konsenssystem gescheitert wäre, um dann fortzufahren, dass der neue Bundespräsident – tunlichst Van der Bellen – die Lagergrenzen überwinden müssten, in dem die sogenannten Sorgen des Lagers der nicht Etablierten ernst genommen würden, also jetzt eine grüne Konsenssuppe über die ganze Gesellschaft gegossen werden müsste, sind ein Beleg dafür, dass das österreichische Establishment nicht versteht, dass es tatsächlich abgewirtschaftet hat.
Die verpönte Formel des Norbert Hofer, Österreich zuerst, hat übrigens wenig mit rückwärtsgewandtem Nationalismus zu tun. Darin einen gefährlichen Rückfall in braune Zeiten zu wittern, sagt etwas über den irritierten Geistes- und Seelenzustand der um ihre Pfründe fürchtenden Etablierten aus – sonst gar nichts.
In der EU der derzeit 28 souveränen Staaten ist jedes Land der europäischen Idee verpflichtet und auch moralisch gehalten, sein Bestes zu geben und seine eigene Gesellschaft, seine eigene Wirtschaft möglichst voran zu bringen. Wenn es allen europäischen Ländern gut geht, geht es Europa gut. Natürlich ist das Europa der Wettbewerbsfreiheit auch ein Europa der positiven Wettbewerbsfreiheit der europäischen Mitgliedsstaaten untereinander.
Die Franzosen oder Engländer machen französische oder englische Politik und die Deutschen machen eine teutonisch aufgeheizte undeutsche Politik, die man auch als antideutsche Politik bezeichnen kann. Letzteres ist allerdings keine Unterart einer gekonnten internationalen Politik.
De facto ist die Europäische Union, so wie sie steht und liegt, eine Staatenunion, die darauf angewiesen ist, dass jedes Mitgliedsland sein Ding macht und hinkriegt. Deswegen ist der Gedanke, dass Österreich zuerst kommen muss, die Verbalisierung der Realität.
Nun hat sich das Allparteienbündnis im Konzert mit dem Medienestablishment gegen den blauen Hofer eine selbstgemacht Blamage zugezogen. Die aufgetakelten Hofer-Verhinderer konnten nicht mehr als gerade mal 50 % der Wählerstimmen mit Ach und Krach akkumulieren, aber die Probleme Österreichs bleiben, und sie werden, wie dies auch für die gesamte EU zutrifft, exponentiell steigen. Um das festzustellen, muss man kein Pessimist sein. Da hilft auch das sich gegenseitig auf die Schulter klopfen „Uns geht’s doch noch gut“ nichts.
Dass sich die österreichische Konsensgesellschaft unter Beteiligung der Blauen und der Grünen, die einfach die Positionen von ÖVP und SPÖ übernehmen, jetzt wiederholen wird, dass sich also von einem Austausch der Namen abgesehen nichts ändert, wie es manche österreichische Kommentatoren angedeutet haben, ist unwahrscheinlich.
Die grün-rote Dampfwalze, die bisher noch alle gesellschaftlichen Unebenheiten platt gemacht hat, ist kaputt. Und die Ersatzteile fehlen. Das Ding ist nicht mehr wirklich zu reparieren – und die eilfertigen grün-roten Mechaniker haben sich bisher nichts Neues einfallen lassen.