Eigentlich eine einfache Sache: Es gibt gute Meinungsumfragen und bessere. Und der Bessere ist, wer bei Wahlprognosen näher am Endergebnis ist. Aber so einfach ist es nicht, schon gar nicht, wenn es um die AfD geht: So mutmaßte DIE ZEIT-Online beim jungen Erfurter Meinungsforschungsinstitut INSA, dessen Zahlen auch TE gerne benutzt und das die größere Konkurrenz schlägt, auch gleich eine Nähe zum Befragungsgegenstand. „Meinungsforscher im postfaktischen Umfeld“ lautet die Überschrift, und schon damit ist klar: Das kann nicht gut ausgehen für INSA und ihren Gründer Hermann Binkert.
Klar ist: Binkert hat ein Händchen für derartige Umfragen; er war als langjähriger CDU-Politiker und Staatssekretär in der Thüringischen Staatskanzlei nah dran am Geschehen, insbesondere in den für Hamburg fremden Neuen Ländern. Frühzeitig hat Binkert der AfD dort die Kraft zugetraut, auf Größe der Volksparteien aufzuwachsen – was mittlerweile geschehen ist. Tatsächlich stellt auch ZEIT ONLINE am 25. September 2017, einen Tag nach der letzten Bundestagswahl, selbst fest: „Das Erfurter Unternehmen (Redaktion: INSA) hatte in den Monaten vor der Wahl die AfD beständig viel höher platziert als alle übrigen Institute und lag damit nach dem Erfolg der Partei genau richtig.“
Aber macht ein richtiges Ergebnis verdächtig, bloß weil die Zahlen für die AfD richtig prognostiziert werden? Wahlumfragen sind prestigeträchtig; der Name der Institute taucht in den Medien auf, sogar in ARD und ZDF. Umsatzträchtig ist das Gewerbe weniger – aber wer bei Wahlumfragen vorne liegt, hat den Leistungsnachweis für hochdosierte Konsumentenumfragen erbracht. Zwischen den konkurrierenden Instituten geht es nicht immer fein zu. Die Drängelei am Trog gehört zum Geschäft. „Niemand in der Branche hat auf INSA gewartet“, weiß Binkert. Doch ist, wer den Sieg einer Partei voraussagt, auch ihr Anhänger?
Wer recht hat, ist rechts?
Der OnlineDienst der ZEIT jedenfalls, wohl überrascht vom guten Prognose-Ergebnis, legt nach, und versucht Binkert Nähe zur AfD nachzuweisen: Gespräche, Beratungsaufträge, Reden auf Veranstaltungen, Spenden an die damalige Lucke-Partei, die Binkert bedacht hat wie andere Parteien auch und die wohl auch von anderen Parteien eingefordert werden wie Schutzgelder: Nähe zur Politik gehört für alle Institute dazu. Ihre Spitzenleute sind meist auch gute Interpreten gesellschaftlicher Trends; Gäste auf Parteitagen, Gesprächspartner.
Das Ohr am Volk zeigt mehr als nüchterne Zahlenkolonnen, die interpretiert werden müssen. Nähe wird vermutet; dem Allensbacher Institut, gegründet von der legendären Elisabeth Noelle-Neumann, wird historisch die Nähe zur CDU nachgesagt. Die Forschungsgruppe Wahlen berät Merkel (in Richtung Schwarzgrün wird in der Branche gemunkelt), nachdem sie Noelle-Neumann schon bei Kohl verdrängt hatte. Über Manfred Güllners Sonderbeziehung von Forsa zur SPD wird immer wieder gestritten.
Wer Wahlforschung betreibt, kann kein politischer Eunuch sein; Professionalität liegt im ständigen Clinch mit politischer und persönlicher Sympathie. Das Leben ist nie so neutral, wie die Ergebnisse sein sollen. Dazu kommt: Wahlprognosen wird nachgesagt, die Wahl zu beeinflussen. Das gilt klar für die 5-Prozent-Klausel: Sackt eine Partei von oben auf diese Grenze zu kann eine negative Prognose ihr Ende bedeuten – viele Wähler wollen ihre Stimme nicht in eine Partei investieren, die nicht in die Nähe der Macht kommt. Die FDP fürchtet solche Zahlen.
Bei der Landtagswahl im Herbst 2018 profitierte umgekehrt die CSU von schlechten Prognosen: Ihren Spitzenkandidat Markus Söder trieben die schlechten Zahlen in einen fulminanten Schlussspurt; und Wähler mögen erschrocken gewesen sein angesichts einer ins Reich des Möglichen gerückten Rot-Grünen Mehrheit: Das scheuchte Wähler zurück auf den Pfad zur CSU. All das erzählen die Handvoll namhafter Wahlforscher gerne unter der Hand, aber nie laut.
Schließlich haben sie alle einen Ruf zu verteidigen, den der Objektivität. Andere Wähler wiederum wollen bei den Siegern mitwählen; daher sollten die Umfragen Stärke signalisieren, aber auch nicht zu viel Stärke. Dann bleiben Anhänger der Siegerpartei daheim oder am Strand, statt an die Urne zu pilgern. Mit Umfragen wird Politik gemacht; die „Rohdaten“, also die Umfrageergebnisse, werden „gewichtet“, um aus Prozenten Ergebnisse zu destillieren – ein schon lange umstrittener Vorgang.
Aber davon ist nicht die Rede, wenn Zeit-Online die Unabhängigkeit von INSA-Wahlumfragen bezweifelt: „Wie unabhängig sind angesichts solcher Nähe die Wahlumfragen von Insa, wenn es um die AfD geht?“ Es riecht fast danach, als ob der Newcomer aus der Randlage Erfurt weggedrückt werden soll – der Osten stört die Platzhirsche, die ihr Revier behaupten wollen. Wer Recht hat, kann nur rechts sein, das ist die krude Logik.
Wer trifft, trifft
Aber das Autoren-Trio der ZEIT unterschlägt für die Beantwortung der Frage entscheidende Fakten: Keine Wahlumfrage im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 lag näher am amtlichen Endergebnis als die des Meinungsforschungsinstituts INSA. Egal was man vergleicht, die Abweichungen insgesamt, die mittlere Abweichung, die Parteienwerte, die am genauesten getroffen wurden, immer schneidet INSA am besten ab. Besser als ALLE anderen Institute (Forschungsgruppe Wahlen, Infratest Dimap, Allensbach, YouGov, Emnid, GMS, Forsa, Civey). Diese entscheidende Informationen, die für die Einordnung der Qualität und der Unabhängigkeit von Umfragen eigentlich selbstverständlich sein müsste, verschweigt der Autor wie den Jubel des eigenen Blatts über Binkert vorher: So schnell wird ein Held zum Fußabstreifer.
Weiter behauptet der Autor: „Hermann Binkert selbst kann man dazu nicht fragen. Er hat über mehrere Monate hinweg sämtliche Gesprächsanfragen von ZEIT ONLINE ausgeschlagen und fand keine Zeit, über die Arbeitsweise seiner Firma zu reden.“
Eine Kleinigkeit? Aber auch die sollte stimmen. INSA sagt dazu: „Tatsächlich gab es aber einen abgestimmten Termin (13. November 2018), der von ZEIT ONLINE einen Tag vorher abgesagt wurde. Zwei weitere Terminvorschläge von INSA (16. bzw. 23. Januar 2019) wurden wochenlang nicht beantwortet, als dann doch noch eine Rückmeldung kam, waren die Termine bei INSA schon anderweitig verplant. Erst daraufhin entschied sich INSA, von einer weiteren Terminfindung abzusehen.”
Inzwischen hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass ZEIT ONLINE die genannten Behauptungen nicht wiederholen darf: 20190218084944966 .
Nach Gericht geht der Kampf um die Prognosen weiter. Mit sauberen und unsauberen Mitteln, so ist Politik. Aktuell mag Binkert den totalen Absturz der SPD nicht bestätigen; sieht sie besser als die derzeitigen Zahlen sonst zumeist. Die AfD allerdings auch. Bessere Zahlen für SPD und AfD als die anderen Institute: Was sagt das jetzt?
Der Gastautor war Wahlforscher.