Deutsche Polizisten, vor allem wenn sie von der Bundespolizei kommen, verstehen allmählich die Welt nicht mehr. Die Bundesregierung will nun, Jahre nach Beginn der anhaltenden Migrationskrise, prüfen, ob Deutschland Migranten, die kein Anrecht auf Asyl hierzulande haben, an der deutschen Grenze zurückweisen darf. Für Heiko Teggatz, Chef der Bundespolizeigewerkschaft in der DPolG, ist „schleierhaft, wie man drei Stunden lang in einer Runde sitzen kann und diese einfache Frage, ob die Bundespolizei zurückweisen darf an der Grenze oder nicht, in dieser Zeit nicht geklärt bekommt“. Er hält das für einen „ein Riesenskandal“. Die deutschen Bürger hätten „eine andere Politik verdient“.
Für Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), ist jener Prüfauftrag, ob die deutsche Bundespolizei an der Grenze zurückweise darf oder nicht, ein Stück groteskes Theater. Deutschland sei „das einzige Land auf der Welt, das diese absurde Frage überhaupt rechtlich prüft“, sagte Wendt kurz nach der ersten „Probe-Gipfelei“ im Interview mit dem Fernsehsender Welt.
Und das begründet er zudem: Zum einen besagen die einst in Dublin beschlossenen EU-Verträge eindeutig, dass Asylverfahren dort stattzufinden haben, wo einer (oder seltener: eine) zuerst ein „sicheres Land betreten“ hat. Dieses Land kann offenbar auch außerhalb der EU liegen.
Zum zweiten habe das nationale Recht, also das deutsche Aufenthaltsrecht „in diesem Fall eindeutig Vorrang“, so Wendt. Und das zwinge die Grenzbehörden sogar dazu, „Menschen abzuweisen, die kein Recht haben, nach Deutschland einzureisen“. Das wiederum steht bei Dublin-Fällen normalerweise fest. Auch hier geht es also nicht um die freie Wahl der Beamten. Im Aufenthaltsgesetz steht nicht etwa, dass sie sich aussuchen dürfen, ob sie zurückweisen oder nicht – sie müssen es, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.
„Jedes Land auf der Welt darf bestimmen, wer seine Grenzen übertritt“
Einziges verbleibendes Problem: Die bisherige Rechtsauslegung, die der politisch gewollten Grenzöffnung nachstolperte und heute vor allem von Roten, Grünen und der noch nicht ganz untergegangenen Merkel-CDU vertreten wird, meint, dass Deutschland aufwendig prüfen müsse, in welchem anderen EU-Staat ein Asylant denn nun seinen Antrag stellen müsse. Und in dieser Prüfung verlieren sich dann die Behörden und gehen am Ende mit der „Asylausrichtungspflicht“ nach Hause, wo eine Zurückweisung unmittelbar Klarheit schüfe – vielleicht auch Konflikte mit den Nachbarn, die aber lösbar sein sollten. Letztlich ginge es darum, genügend Druck aufzubauen, um damit den EU-Außengrenzschutz für alle beteiligten Partner alternativlos zu machen. Übrigens ist diese Idee schon in vielen EU-Ländern beliebter als noch in Deutschland und dem hier aufgeführten polit-medialen Zirkus. Man dürfte damit also Eulen nach Athen tragen.
Wendt erwartet außerdem, dass die mit der Migration verbundene Kriminalität mittelfristig, also vielleicht ein, zwei Jahre nach einer solchen Grenzschließung zurückgehen dürfte, auch gerade in „dem schlimmen Bereich der Messerkriminalität“.
Jedes andere Land auf der Welt sehe es als „selbstverständlich an, selbst bestimmen zu dürfen, wer die Grenzen in dieses Land übertritt“. Damit ist Wendt im Grunde nahe an der Position der ungarischen Regierung, die zuletzt das eigene Verfassungsgericht befragt hatte, ob das von der EU den Ungarn nahegelegte Recht auf Asyl notwendig ist. Heraus kam, dass jeder Staat, jedes Volk das Recht hat, die eigene Zusammensetzung zu bestimmen (Selbstbestimmungsrecht der Völker).
Der Keleti-Marsch feiert neunten Geburtstag
Übrigens feiert die Migrationskrise gerade in diesen Tagen ihren neunten Geburtstag. Am 4. September 2015 jährt sich der sogenannte „Marsch der Flüchtlinge“ vom Bahnhof Budapest-Keleti Richtung Österreich und – in vielen Fällen – weiter nach Deutschland. Tatsächlich liefen die Migranten aber nicht die gesamte Strecke, wie nun eine erzählt, die dabei war. Einstmals-Reporterin Nina Brnada vom Wiener Falter erinnert sich, dass „nach rund 30 Kilometer Busse kamen“ und die Migranten „an die österreichische Grenze“ brachten.
In jenen Tagen beschloss Angela Merkel, einsam im Kanzlerstübchen, die Öffnung der deutschen Grenzen, also die Aufhebung des Kontrollgebots durch die Bundespolizei und andere Behörden, ebenso die Aufhebung der Dublin-Verordnung der EU, die seitdem nur noch als Gerippe im Schrank hängt, fleißig abgestaubt von der Migrationslobby, um sie noch immer als neu herzeigen zu können.
In den folgenden Jahren hat sich wenig verändert. Brnada vermisst bis heute „sichere Fluchtrouten“. Aber wenn Grüne in Deutschland diese zu schaffen versuchten, endete auch das nur in Vetternwirtschaft und Korruption – namentlich bei der Baerbockschen Luftbrücke zwischen Islamabad und diversen deutschen Stadtflughäfen.
Teggatz: Auch über Abschiebungen reden
Aus der Sicht des Bundespolizisten Teggatz wären umfassende Zurückweisungen an der Grenze „personell und technisch auf jeden Fall umsetzbar“. Und diese Zurückweisungen wären daneben auch rechtlich zulässig und umsetzbar. Schon jetzt weise man an den Grenzen zurück, etwa wenn ein Migrant – durch einen Unfall – kein Schutzersuchen äußert oder mit einer Wiedereinreisesperre belegt ist. Diesen Personenkreis müsste man laut Teggatz nur erweitern auf „Menschen, die aus einem anderen EU-Staat nach Deutschland kommen und hier einen Asylantrag stellen“.
Offensichtlich ist für Teggatz, dass der Außengrenzschutz der EU nicht funktioniert, und daher müssten die Außenkontrollen eben an den Binnengrenzen nachgeholt werden. Teggatz fordert zudem eine Verlängerung und wohl auch Ausweitung der Kontrollen an deutschen Grenzen, die bei der EU-Kommission lediglich „angezeigt“, keineswegs aber von ihr genehmigt werden müssten. Das ist also nicht kompliziert, und es gab auch nie einen hörbaren EU-Kommentar dazu.
Daneben wünscht sich Teggatz eine Straffung bei den Abschiebungen, die derzeit in der Hand von fünf verschiedenen Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene liegen. Wenn dann noch eine dieser Stellen einem ausreisepflichtigen Migranten sagt, er möge sich am nächsten Tag am Flughafen „melden“, dann wird unmittelbar klar, dass das nicht funktionieren kann. Auch bei „renitenten“ Migranten würden Abschiebungen regelmäßig abgebrochen. Dieses Thema gehört für Teggatz ebenfalls in die Migrationsgespräche von Ampel und Union.
Patzelt: Rechtsnormen können verändert werden
Daneben häufen sich die kritischen Stimmen, die sich nicht erst seit heute erheben und die ebenfalls kaum noch verstehen, warum das politische System der Bundesrepublik gerade in der Frage der Migrationsbegrenzung so schwerfällig ist. Sie machen die Politik darauf aufmerksam, wie viel sie in den letzten Jahren versäumt hat.
Für den Politikwissenschaftler Werner Patzelt, derzeit am Brüsseler Nebensitz des ungarischen Mathias-Corvinus-Collegiums tätig, sind Zurückweisungen an der deutschen Grenze die „einzige Stellschraube“, mit der man das Migrationsproblem lösen kann. Im Nachrichtensender Welt stellte Professor Patzelt fest, dass dieses Problem sich noch vor 30 Jahren nicht in dieser Form stellte. Da das heute anders sei, müsse man gegebenenfalls auch „Rechtsnormen verändern“. Ach, richtig, das ist ja sogar ganz offiziell die Arbeit und Aufgabe der Gesetzgeber in Berlin.
Für ganz natürlich hält Patzelt zudem etwas, das Friedrich Merz in diesen Tagen nicht als seinen Wunsch genannt hat: dass das Thema Migration und die Frage nach Zurückweisungen an der Grenze 2025 zum Wahlkampfthema wird, bei dem auch Grüne und Union verschiedene Positionen beziehen könnten. Ob es so kommt, ist derzeit offen. Die Unionsführung zeigt eher den Wunsch, das Altparteienkartell ausgerechnet an dieser Stelle aufrechtzuerhalten und die bisherige Politik im alten Trott fortzusetzen. Im anderen Fall – Migration wird zum großen Wahlkampfthema – glaubt Patzelt nicht ganz unplausibel an ein Scheitern der Grünen an der Fünfprozenthürde.
Schröter: Kritische Stimmen werden seit Jahren tabuisiert
Die kritische Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter beschreibt die derzeitigen Geschehnisse anschaulich als „Turbodebatte über etwas, was jahrelang unter den Teppich gekehrt worden ist“. Aber sie zweifelt erkennbar an der Ernsthaftigkeit der Absichten bei diesen Migrationsgesprächen zwischen Ampel und Union. Die Positionen, gerade von Union einerseits, SPD und Grünen zum anderen, lägen ja auch ziemlich weit auseinander. Schröter wünscht sich ein grundsätzliches Überdenken der Migrationspolitik, die immer auch mit Integration einhergehen müsse: „So wie es im Moment läuft, geht es einfach nicht mehr weiter.“ Jahrelang sei jede kritische Diskussion über die negativen Seiten der Zuwanderung von den Grünen, von SPD und der Linkspartei „tabuisiert“ worden.
Kritiker – wie Schröter selbst – wurden permanent als „Rassisten“, als „Fremdenfeinde“ beschimpft, obwohl die wenigsten das wirklich sind. Die Grundannahme im Gegenlager beschreibt Schröter so: „Man hat geglaubt, dass sich die Probleme irgendwann in Luft auflösen, weil die Migranten so begeistert sind von unserer Gesellschaftsordnung, dass sie irgendwann nicht mehr anders können als überzeugte Demokraten zu werden.“ Dieser Glaube sei aber „naiv in einer Weise, die man eigentlich gar nicht mehr glauben kann“.
Sarrazin: Zur Not können wir die Syrer auch am Strand absetzen
Für Thilo Sarrazin hat sich die Politik „festgefressen“, wie sich an den verschiedenen Statements zeige, die immer wieder nur sagten, dass jede der möglichen Maßnahmen nicht gehe. Im Interview mit Welt legte Sarrazin seinen eigenen Maßnahmenkatalog vor, um die unerwünschte Zuwanderung nach Deutschland zu kappen und umzudrehen: „Man streicht erst mal die Sozialleistungen. Wenn das verfassungswidrig ist, dann muss man eben die Verfassung ändern.“
Man müsse den Migranten „Angebote machen“, sie auch „in gewissem Sinne unter Druck setzen: also positive und negative Anreize zur Rück- oder Ausreise setzen. Wo all das nicht funktioniert, da müssten „die Menschen zurück, ausdrücklich auch gegen den Willen des aufnehmenden Staates“, also in diesem Fall des Herkunftslandes. „Syrien hat eine Seegrenze. Im Extremfall müsste man eben so weit gehen, dass man Syrer, die das nicht wollen, im Mittelmeer am Strand absetzt. Das wäre auch eine Abschiebung.“ Durch zahllose Vorschriften, die sich mittlerweile angesammelt hätten, habe Deutschland sich „praktisch handlungsunfähig“ gemacht.
Und was Sarrazin mit der unerwünschten Zuwanderung zum großen Teil meint, ist auch klar: „Wenn wir Millionen von der Kultur fremden jungen Männern islamischen Glaubens ins Land lassen, kann das für unser Land nicht ohne Folgen bleiben.“ Jedes Jahr stürben 400 Menschen durch die Hand von Gewalttätern aus dem islamischen Raum.