Tichys Einblick
Politischer Wortschatz

Verschwörungstheoretiker

In der Coronakrise macht ein achtsilbiges Wort politische Karriere, das vorher nur wenig in Diskussionen auftrat: Ver-schwö-rungs-the-o-re-ti-ker. Was bedeutet es, und wer verwendet es zu welchem kommunikativen Zweck? Eine linguistische Analyse.

imago images / Eibner

Niemand bezeichnet sich selbst mit dem Wort, es ist eine abwertende Fremdbezeichnung und schreckt ab: „Ich glaube nicht“, meinte Ministerpräsident Söder in einer Talkshow (ARD 20. Mai 2020), „dass es Sinn macht, mit einem Verschwörungstheoretiker ein ernsthaftes Gespräch zu führen“. Die diskursive Abwertung wird auch deutlich in sonstigen Bezeichnungen für diese Personengruppe: „Spinner“, „Esoteriker“, „Rechte“ oder – so ein Online-Kommentar (TE 21. Mai: Die schalltote Kammer) – „Verschwörungstheoretiker ist das neue Nazi!“.

Nicht diskussionswürdig

Die kommunikative Funktion des Wortes ist also, bestimmte Personen und deren Meinung als nicht diskussionswürdig abzustempeln. In diesem Sinne meinte ein Leserbriefschreiber (ZEIT 28. Mai) zur aktuellen politischen Kommunikation über Corona:

„Die Bundesregierung hat es mit demokratischen Mitteln geschafft, die Medien gleichzuschalten [und] anderslautende Meinungsäußerungen als Verschwörungstheorien zu titulieren.“

Achtung: Verschwörung!

Warum haben Verschwörungs-theoretiker einen so schlechten Ruf? An der Wortform kann es nicht liegen; denn die nach demselben Muster gebildeten Rechts-, Sprach- oder Wissenschafts-theoretiker gelten als respektable Forscher. Bleibt der Unterschied im ersten Bestandteil dieser Wortzusammensetzungen (Komposita), hier: Verschwörung. Unter einer „Verschwörung“ versteht man im allgemeinen Sinn einen geheimen (früher unter Eid geschlossenen) Bund mehrerer Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles. Diese weite Definition macht es allerdings schwierig, „Verschwörung“ und „vertrauliche Absprache“ abzugrenzen. Zur Verschwörung im engeren Sinne gehört, dass der geheime Bund – wie es das Wörterbuch der deutschen Sprache von Jacob und Wilhelm Grimm (1905) formuliert – „feindselig gegen andere“ gerichtet ist und „einer bösen Sache“ dient.

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Die Verschwörung im Sinne „dunkler Mächte“, die sich in böser Absicht „gegen das Gute“ verbünden, ist ein schlagendes Argument, um den politischen Gegner als „Feind“ zu bekämpfen, ja zu vernichten: Während der Französischen Revolution wurde 1793 König Ludwig XVI. wegen „Verschwörung gegen die Freiheit der Nation“ (conspiration contre la liberté de la nation) hingerichtet. In der DDR gab es in den 1950er Jahren Todesurteile wegen „Verschwörung gegen die DDR“, und der Mauerbau 1961 wurde damit gerechtfertigt, „Westberlin [sei] das Zentrum der gesamten Verschwörung gegen die DDR“. Kurzum: Das Verschwörungsargument ist ein Kampfbegriff, der den Gegner – religiös gesprochen – zum „Teufel“ macht, der ausgetrieben werden muss.
Ein missverständlicher Begriff

Verschwörungstheoretiker sind keine Verschwörer. Aber was tun sie? Dem Wortsinne nach müssten sie – so wie der Versicherungstheoretiker die Risiken einer Versicherung modelliert – ein Erklärungsmodell für die Faktoren geben, welche eine Verschwörung auslösen und beeinflussen. Im tatsächlichen Sprachgebrauch meint Verschwörungstheoretiker aber „Personen, die Verschwörungstheorien vertreten und/oder verbreiten“.

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Dieser Wortgebrauch wird – ebenso wie der von Verschwörungstheorie – in der Wissenschaft häufig als „missverständlich“ kritisiert; denn der Begriff „Theorie“ beinhalte eine rationale Erklärung. Stattdessen solle man von „Verschwörungsfantasien“, „Verschwörungsmythen“ oder – bestenfalls – „Verschwörungsthesen“ sprechen und ihre Vertreter nicht als „Theoretiker“ bezeichnen, sondern „Anhänger“ oder „Gläubige“. Diese Kritik ist berechtigt, ändert aber nichts daran, dass sich das Wort Verschwörungs-theoretiker im Sprachgebrauch durchgesetzt hat: Bei Google hat es über zwei Millionen Einträge, die Alternativen Verschwörungs-anhänger bzw. -gläubige kommen nur auf einige Tausend.
Verschwörungstheoretiker für „Kampf gegen rechts“ gesucht

Trotz des missverständlichen Wortgebrauchs gibt es auch „echte“ Verschwörungstheoretiker, die sich analytisch mit Verschwörungen befassen, was im heutigen Deutschland in erster Linie heißt: Die (angebliche) Verschwörung von rechts. Seit 2015 führen Regierung, Sicherheitsbehörden und Medien einen intensiven „Kampf gegen rechts“, der auf dem Wege ist, zur Staatsdoktrin zu werden – wie einst in der DDR der „Kampf gegen den Faschismus“.

Der ideelle Kredit schwindet
Die schalltote Kammer
Verschwörungstheoretisch ist der „Kampf gegen rechts“ durchaus ernsthaft gemeint: So wurden beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) 400 neue „zivile“ (also nicht kampfeinsatzfähige) Stellen geschaffen, um Soldaten, die dem „rechten Spektrum zuzuordnen sind“, zu „finden und zu entfernen“ (O-Ton Bundeswehr). Das Ganze erinnert an Don Quijote, der mit eingelegter Lanze gegen Windmühlen galoppiert und vorher mit wohlgesetzten Worten begründet, dass es sich um eine Verschwörung vielarmiger Riesen handelt.

Don Quijote wird übrigens von seinem Wahn zu Ende des Romans geheilt. Die DDR blieb unheilbar: Sie endete 1989, nach vierzig Jahren und trotz ihres 1961 errichteten „antifaschistischen Schutzwalls“ (vulgo: Mauer), durch das eigene Volk, das die Regierung stürzte und dann abwählte. Erich Honecker, der langjährige Staatchef (1971–1989), sah das rückblickend anders: Es habe eine „internationale Verschwörung gegen die DDR“ gegeben. Noch ein Verschwörungstheoretiker!

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