Ähnlich wie die allgemeine Kriminalität haben auch die politisch motivierten Straftaten im Jahr 2022 deutlich zugenommen, nämlich um sieben Prozent. Es geht um insgesamt 58.916 mutmaßliche Straftaten und damit um so viele wie nie zuvor, seit das Bundeskriminalamt (BKA) diese Statistik vor rund zwanzig Jahren begann. Es bleibt – zumal im Vergleich mit der gewöhnlichen, nicht politisch motivierten Kriminalität – ein überschaubares Feld, natürlich mit teils starken Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik.
Politisch motivierte Straftaten – das scheint auch Nancy Faeser aufgefallen zu sein – sind Ausdruck politischer Konflikte und steigen insofern an, wenn sich die politische Stimmung im Lande erhitzt, aus welchem Grund auch immer. Die zugrundeliegenden Konflikte müssen sich dabei nicht einmal hauptsächlich in Deutschland abspielen. Es gibt auch importierte Probleme. 2015 und 2016 hatte es einen ersten „Buckel“ in der PMK-Statistik gegeben, der 2017 und 2018 wieder abflachte. Dann folgte der erneute, steile Anstieg zum Heute.
Was nahm am stärksten zu? Das könnte ein Gradmesser für Aktualität sein. Es waren die Straftaten aufgrund einer ausländischen Ideologie (mehr als 200 Prozent), daneben Straftaten von Klimaklebern (+73 Prozent) und deutschfeindliche Hassverbrechen (+63 Prozent), um nur die am meisten herausstechenden zu nennen. Die als rechts codierten Straftaten haben nach einem Rückgang 2021 im letzten Jahr wieder leicht zugenommen, nämlich um knapp sieben Prozent. Bei den links motivierten Straftaten gab es einen Rückgang um 31 Prozent. Sehr stark stiegen die Straftaten im Zusammenhang mit einer „ausländischen Ideologie“, nämlich um ganze 237 Prozent auf nun 3.886 Taten. Zu einem Teil waren das „Resonanzstraftaten“ im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, etwa durch die Verwendung des verbotenen Buchstaben „Z“.
Ein Zehntel der Gewalttaten ist mit importierten Konflikten zu verbinden
Die Taten wegen einer religiösen Ideologie (das ist fast immer der radikale Islam) stabilisierten sich bei 481 Taten (2021: 479). Man muss annehmen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden hier ganze Arbeit bei der Verhinderung leisten. Auch die jüngsten Festnahmen von hochgefährlichen Terrorplanern in Hamburg und Kempten deuten darauf hin. Leider kam es in diesem Jahr dennoch zu einer mutmaßlichen Terrortat mithilfe eines Messers: In zwei Taten verletzte ein syrischer Attentäter Menschen in Duisburg lebensgefährlich, unter anderem in einem Fitnessclub. Wie viele weitere Messertaten in diesen Zusammenhang einzuordnen sind, bleibt offen und wird kaum von den Medien diskutiert.
Neu war 2022 vor allem eins: Der größte Teil der politisch motivierten Taten war nicht mehr eindeutig in das Schema links, rechts, ausländische oder religiöse Ideologie einzuordnen. Insgesamt 24.080 begangene Straftaten – also nicht ganz die Hälfte, aber doch 41 Prozent – gelten als „diffus motiviert“.
Politisch motivierte Gewalttaten nahmen im letzten Jahr um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu und überstiegen damit knapp die 4000er-Marke. Mehr als die Hälfte waren Körperverletzungen, bei einem deutlichen Anstieg um ein gutes Viertel. Es gab Zunahmen im Bereich „rechts“ und „nicht zuzuordnen“ um elf bis zwölf Prozent. Die links motivierten Gewalttaten gingen um 30 Prozent zurück. Im Vorjahr hatte es noch deutlich mehr links motivierte Gewalttaten gegeben. Die Mehrheit der Gewalttaten war aber schon 2021 diffus motiviert gewesen. Vermutlich spielen hier die Corona- und andere Proteste eine Rolle. Denn allgemein bleibt kein Protestgeschehen ohne Straftaten.
Sehr stark nahmen Gewalttaten aufgrund einer „ausländischen Ideologie“ zu, nämlich um 166 Prozent (auf nun 372 Taten). Insgesamt gab es 51 Gewalttäter mit „religiöser Ideologie“ (gleich Islamistischem Extremismus). Das ergibt zusammen etwa elf Prozent der politisch motivierten Gewalttaten. Jede zehnte politisch motivierte Gewalttat hat demnach mit importierten Konflikten zu tun. Bei den Körperverletzungen stiegen die Taten aus dem Phänomenbereich „ausländische Ideologie“ noch stärker, mit einem Plus von 248 Prozent, das ist mehr als eine Verdreifachung (261 Taten).
Deutlich mehr Klimakriminalität und deutschfeindliche Straftaten
Bei den Straftaten im Themenfeld „Klima- und Umweltschutz“ dominierten die links zugeordneten Straftaten mit 1.391 von insgesamt 1.716 Taten deutlich. Insgesamt gab es hier eine Zunahme um 73 Prozent. Die links motivierten Taten in diesem Bereich nahmen im Vergleich zum Vorjahr noch klarer um 84 Prozent zu. Es gab 165 Gewaltdelikte (knapp ein Zehntel der Klima-Straftaten), hauptsächlich aber 516 Sachbeschädigungen, 424 Nötigungen bzw. Bedrohungen, 209 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und 97 Hausfriedensbrüche. Nancy Faeser zeigte in der Pressekonferenz kein Verständnis für die Straftaten der Klimasekte – das wäre ja auch noch schöner –, wohl aber für deren Anliegen. Faeser zeigte sich besorgt, dass „häufig Rettungswagen behindert werden“. Weitere Radikalisierungstendenzen bei den Klebe-Brigaden will sie aber nicht erkennen. Es reicht ja auch so schon. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz ist die „Letzte Generation“ keine extremistische Vereinigung.
Bei der Hasskriminalität zeigt sich ein diverses Bild mit insgesamt 11.520 Taten, die sich gegen die unterschiedlichsten Gruppen richten konnten. In absoluten Zahlen mögen hier fremdenfeindliche, ausländerfeindliche und rassistische Straftaten dominieren. Die stärksten Zunahmen gab es aber bei deutschfeindlichen (+63 Prozent), antiziganistischen (+33 Prozent) und christenfeindlichen (+24 Prozent) Straftaten. Insgesamt gab es damit bereits knapp 500 deutsch- und christenfeindliche Straftaten, die im Berichtsjahr polizeibekannt wurden. Antisemitische Straftaten nahmen laut Bericht um knapp 13 Prozent ab, auf nun 2.641 Fälle. Sorge löst aber der zunehmende Antisemitismus von Muslimen aus, jetzt auch bei der Innenministerin, zumindest in Worten auf der Pressekonferenz.
Corona, Ukraine und Gaskrise sorgten für Fallzahlensteigerung
Die diffus motivierte, nicht eindeutig einem politischen Lager zuzuordnende Kriminalität wuchs im vierten Jahr, aber vor allem seit 2020 stark. Man könnte auch sagen: Seit der Lagebericht von Nancy Faeser präsentiert wird, ist die nicht eindeutig auf links, rechts, ausländisch oder religiös zu verteilende politische Kriminalität in die Höhe geschnellt. Lag sie 2020 noch – leicht erhöht gegenüber dem früheren Jahresmittel – bei 8.624 Straftaten, so stieg sie 2021 auf über 21.000 Taten an, um im letzten Jahr nochmals darüber hinaus zu gehen zu einem letzten Stand von 24.080 Straftaten. Man muss ehrlicherweise von Spätfolgen der Ära Merkel sprechen, die durch eine eifrige Transformationspolitik Druck auf bis dahin uneindeutige Kreise ausübte und sie so zum Protest auf die Straße trieb.
78 Prozent der politisch motivierten Straftaten im Zusammenhang mit der Pandemie wurden im Umfeld von Demonstrationen begangen. Weitaus am häufigsten waren die mutmaßlichen Verstöße gegen das Versammlungsrecht (9.172, mit starkem Anstieg gegenüber 2021: 1.873). Beleidigungen (1.198), Widerstandsdelikte (433) und Propagandadelikte (278) waren weitaus seltener. Die Grünen hatten letztes Jahr darauf gedrungen, dass alle diese Taten dem Phänomenbereich „rechts“ zugeschlagen würden. Alles andere erwecke „den Anschein sicherheitspolitischer Ratlosigkeit“. Man kann das als eine Art umgekehrten Exorzismus verstehen: Durch die Überweisung in den Phänomenbereich „rechts“ wollte man die Corona-Proteste politisch noch eindeutiger schuldig sprechen. Man versuchte auf grün-linker Seite, sich des Phänomens mit dem Verweis auf rechte Akteure im Hintergrund zu entledigen. Das BKA blieb aber zuallermeist bei einer „diffusen“ Einordnung.
Die Kohlhaasierung der Protestbewegungen
Diese Protestbewegung, das merkt man auch dem veröffentlichten Bericht an, hat die Regierenden und Behörden auf dem falschen Fuß erwischt. Man mühte sich, die begangenen Straftaten und Gesetzesüberschreitungen in handliche Kategorien zu pressen und kam zu den Überschriften „Gesundheitswesen“, „Gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole“, „Gegen sonstige politische Gegner“, „Amtsträger“ oder auch „Polizei“. Mehrfachnennungen waren möglich. Jede Straftat, egal mit welchem Motiv und Ziel, ist abzulehnen. Man sollte aber auch sagen: Die weit überwiegende Mehrheit der Corona-Demonstranten und Maßnahmengegner sah und sieht sich nicht als Gegner, sondern als Bürger dieses Staates, den man aber gerade deswegen besonders kritisch betrachtete.
Die Vielfalt an Angriffspunkten für die berichteten Straftaten, die in vielen Fällen gegenüber 2021 noch einmal zunahmen, zeigt, dass neben der Gesundheitsgesetzgebung auch der Staat insgesamt ins Visier der Proteste geriet. Daneben gibt es sogar ein Themenfeld „Ukraine/Versorgungsengpass“. In gewöhnliches Deutsch übersetzt, heißt das, dass der Unmut der Bürger über einen Krieg in Europa und die damit verbundene Gas- und Energiekrise plus Inflation zu Demonstrationen und Protesten führte, in deren Umfeld dann wiederum die bekannten Straftaten begangen wurden, insgesamt 5.510 an der Zahl – teils sicher durch den Irrtum, der vor Strafe nicht schützt.
Dabei gab es 2.721 Taten, die man sich durch das Wirken einer „ausländischen Ideologie“ erklärt und mehr als zweitausend Taten ohne sichere politisch-ideologische Zuordnung. Das ist besonders enthüllend, weil das genannte Problem natürlich jeden Bürger angeht, und wenn er so recht von den Regierenden allein und im energielosen Regen stehen gelassen wird, wird der Bürger entsprechend ärgerlich und lässt sich am Ende auch zu nicht-gesetzeskonformem Verhalten hinreißen. Der Novellenstoff von Michael Kohlhaas ist in Deutschland noch immer aktuell und zeigt, dass sich auch der festeste Legalismus einer gegebenen Bevölkerung irgendwann bricht.
„Weltweite Krisenherde haben Konsequenzen für Sicherheitslage“
Den Anstieg um 26 Prozent im Bereich „Kurden“ und den um 94 Prozent im Bereich „Türkei“ ordnet der Bericht als „moderat“ ein. Man würde eigentlich eher von einem deutlichen bis starken Anstieg sprechen, auch wenn die absoluten Zahlen nicht besonders hoch sind. Für den deutschen Verfassungsschutz spielen extremistische Organisationen mit türkischem und kurdischem Hintergrund seit langem eine große Rolle.
Der Bericht stellt fest: „Seit Jahren ist festzustellen, dass weltweite Krisenherde verstärkt Konsequenzen für die Sicherheitslage in Deutschland haben, auch wenn auf den ersten Blick kein unmittelbarer Deutschlandbezug gegeben ist.“ In der Pressekonferenz sagte BKA-Präsident Holger Münch dazu, die Gesellschaft werde „diverser“.
Dominiert wird der Bereich „ausländische Ideologie“ laut dem Zahlenwerk vom Ukraine-Krieg, der für 2.821 Taten verantwortlich sei, das heißt für knapp drei Viertel (73 Prozent) aller Taten mit ausländisch-ideologischem Hintergrund. Doch alleine 1.169 Mal ging es dabei lediglich um die Billigung von Straftaten (nach § 140 StGB), also Propagandadelikte, offenbar vor allem das Zeigen des verbotenen Buchstabens „Z“.
Im Unterfeld „Iran“ stiegen die Straftaten um ganze 584 Prozent an, versiebenfachten sich also knapp auf 212 Straftaten. Meist standen die Taten im Zusammenhang mit Solidaritätskundgebungen zugunsten der Kopftuch-Proteste im Iran. Dabei kam es auch zu „Steinwürfen, Farbschmierereien, Brandstiftungen, Körperverletzungen, Landfriedensbrüchen sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Sicher sind auch das Einzelfälle. Das Beispiel zeigt, dass es kaum ein Protestgeschehen gibt, bei dem es nicht zu Gesetzesverstößen kommt.
Politischer Islamismus verantwortlich für meiste Taten mit Terrorqualität
Die religiöse Ideologie, also in fast allen Fällen der radikale Islamismus, spielte 2022 in der Summe eine ähnlich starke Rolle wie auch im Vorjahr. Etwa doppelt so viele Propagandadelikte (neu: 57) standen einem leichten Rückgang bei den Gewalttaten (von 60 auf 51) und bei Delikten mit Terrorqualität (von 95 auf 74) gegenüber. Es bleibt aber dabei, dass die „Mehrzahl der Straftaten mit Terrorismusqualität nach wie vor auf den Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie-“ entfällt. Das wiederum führt zum „Fortbestehen der anhaltend hohen Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus“ in Deutschland, so der PMK-Bericht. Die BRD und ihre Institutionen im In- wie Ausland stünden nach wie vor im „erklärten Zielspektrum“ von Organisationen wie dem IS und Al-Qaida plus Sympathisanten.
Ein besonderer Zusammenhang besteht dabei mit den Konflikten in Syrien und dem Irak – die zugleich zu den wichtigsten Asylherkunftsländern gehören. Die Ausreisen von „Jihadfreiwilligen“ nach Syrien und in den Irak tendierten 2022 zwar gegen Null, es wurden aber vor allem rückkehrwillige Frauen aus diesen Gebieten zurückgeholt. Außerdem bewegen sich laut Schätzung des BKA noch hunderte „Personen mit Deutschlandbezug“ auf freiem Fuß in Syrien.
Reichsbürger, Selbstverwalter, Staats-Delegitimierer?
Reichsbürger und „Selbstverwalter“ fielen vor allem und teils verstärkt durch Nötigungen und Bedrohungen (neu 778, alt 437) sowie Beleidigungen (221) auf. Daneben gab es 333 Gewaltdelikte (2021: 239). Insgesamt stieg die Kriminalität in diesem Themenbereich um knapp 40 Prozent, nachdem sie im Vorjahr noch deutlicher um 73 Prozent zugelegt hatte. Das hat vermutlich mit dem Ermittlungseifer der Behörden zu tun.
Die meisten der aus dem Reichsbürger-Milieu begangenen Straftaten (1.603) sind in der politischen Gesäßgeographie nicht eindeutig zu verorten. Nur 253 Taten wurden als „rechts“, zwei als „links“ eingeordnet, sechs mit einer „ausländischen Ideologie“, eine sogar mit einer „religiösen Ideologie“ verbunden. Insgesamt bei 1.865 Straftaten ein doch überschaubares Feld mit freilich erheblichem Provokationspotential für den Staat.
Aufschlussreich ist auch, dass die Querdenken-Bewegung von Michael Ballweg hier eigens mit einer „tragenden Rolle“ erwähnt wird: Die Querdenken-Bewegung sei „mit einer Fülle regionaler Ableger durch zahlreiche Versammlungsanmeldungen in Erscheinung getreten“. Daneben sieht man hier auch die „rechte Szene“ besonders aktiv, auch wenn „eine umfassende Beeinflussung bzw. Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene“ nicht festgestellt werden konnte, wohl aber das Gewinnen zusätzlicher „Resonanzräume“. Man kann das als Zusammenwachsen verschiedener Protestbewegungen verstehen, jener, die es schon länger gibt, mit anderen, die neu dazu kommen. Alle eint ein gesundes Maß an Skepsis, was die Handlungsfähigkeit und Klugheit des eigenen Staates angeht.