Merkel hat im Herbst 2015 „den Eindruck erweckt, als müssten wir unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig so getan, als sei jeder, der Bedenken äußerte, entweder rechtsextrem oder ein Dummkopf“, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) Spiegel-Online. Er hatte wohl neue Umfragen im Sinn.
Am bevorstehenden Wahlsonntag werden wir lernen, ob Sellering so Wähler dazu bringen kann, SPD statt AfD zu wählen. Nach meiner Erfahrung nein. Anders herum wird ein Schuh draus. Sellering erleichtert es Zweiflern, der AfD die Stimme zu geben. Sollte die SPD in MeckPomm eines Tages die erste Partei sein, die mit der AfD koaliert, würde mich das nicht wundern. Nach dem 5. September 2016 ist das wohl zu früh, aber wie schaut das nach einer Bundestagswahl aus, deren Ergebnis Schwarz-Grün ist? Jedenfalls wird es die erste Koalition mit der AfD in einem östlichen Bundesland geben – wie es mit der Linkspartei geschah.
In Österreich gibt es das aktuellste Muster zu besichtigen. Burgenland – wie MeckPomm im Norden Nachbar von Polen – in Österreichs Osten Nachbar von Ungarn, dessen Puszta sich als kleine Puszta, dem Land der ehemaligen Magnaten Esterhazy bis an den Neusiedler See erstreckt, in diesem Burgenland koalieren SPÖ und FPÖ. Mit dem früheren Polizeichef des Bundeslandes, Hans Peter Doskozil, als Verteidigungsminister hat das Burgenland einen starken Mann in Wien. Sollte die nächste österreichische Bundesregierung nicht mehr Rot-Schwarz sein, sondern Rot-Blau, würde mich das ebenfalls nicht wundern.
Warum soll es bei der AfD anders verlaufen als mit der Addition der Nachfolgerin der SED und der Abspaltung von der SPD, der Partei, die sich PR-technisch gekonnt „Die Linke“ nennt? Erst jahrelang von ihr weil linksradikal abgrenzen, Beobachtung durch den Verfassungsschutz verlangen und dann mit ihr koalieren. Und für alle, die es vergessen haben: Nach demselben Muster lief es bei den Grünen ab.
Dass die SPD mit 27 oder 28 Prozent deutlich vorne liegt, sagen alle drei Umfragen des Augusts. Die Zahlen unterscheiden sich bei der Frage, wer wird zweitstärkste Partei im Landtag zu Schwerin. Die CDU mit 22% meinen die Auftragnehmer von ARD und ZDF, die AfD mit 23 INSA, dem eine politische Nähe zur AfD nachgesagt wird. Die Grünen bei 5 bis 6, die Linkspartei zwischen 13 und 15, FDP und NPD je zwischen 2 und 3, also draußen, da liegen alle drei Institute gleich. Da uns alle Institute ihre „Rohdaten“ nicht geben, sondern von ihnen „gewichtete“ Ziffern, ist ihr Spielraum für politische Frisur unbekannt groß. Dass die Spezialisten in den Parteizentralen von „ihren“ Medien als Auftraggeber auch die Rohdaten kriegen, unterstelle ich. Früher wälzten die Parteien die Kosten der Umfragen gern auf ihre politischen Stiftungen ab, bis es ihnen das Bundesverfassungsgericht verbot. Nun sparen Medien den Parteien solche Ausgaben. Verdeckte Parteienfinanzierung? Juristisch wohl nicht. Außerdem ist es für die Parteien natürlich viel wirkungsvoller, wenn Umfrageziffern im Gewande unabhängiger Medien daherkommen.
Umfragen sind Politik
Zur Information der Öffentlichkeit wurden Umfragen schon immer nicht veranstaltet und veröffentlicht. Mit Umfragen wird Politik gemacht, was allerdings oft daneben geht, weil die Wirkung auf die Wähler den Wünschen der Umfrage-Veröffentlicher umso weniger entspricht, je öfter die Bürger an Wahlabenden erleben, dass die Institute fast immer zu den Wahlverlierern gehören. Weil ihre Prognosen bei weitem nicht stimmen. Und weil sie nicht stimmen können, wenn die Medien auch kleinste Veränderungen innerhalb der statistischen Fehlermargen unbekümmert interpretieren, wenn ihnen die Bewegung passt – negativ wie positiv. Wer nicht weiß, welche politische Richtung in welchem Medium vorherrscht, hier merkt er es zuverlässig.
Wer nun im einzelnen mehr oder weniger nahe am tatsächlichen Ergebnis liegen wird, ist für mich auch gar nicht die wirklich spannende Frage. So oder so wird es für die Koalition Rot-Schwarz in Schwerin reichen und ein Jahr vor der Bundestagswahl wäre alles andere eine Sensation – oder stellte die Weichen für Berlin jetzt schon neu. Dann herrschte ab sofort nur noch Wahlkampf. Ein Blick auf die Umfragergebnisse für die Bundestagswahl zeigt, Schwarz-Grün geht spätestens zusammen mit Gelb.
Worauf ich an diesem Wahlabend gespannt bin, ist, wie sehr die Schweigespirale als Folge der Spaltung des Landes weiter angewachsen ist? Kann es sein, dass Befragten, die ihre tatsächlichen Wahlabsichten durch falsche Antworten tarnen, noch viel mehr geworden sind? Und wenn, wie ich vermute ja, wie viel mehr? Bringt Schwerin die neue Rekorddifferenz zwischen Prognosen und Ergebnissen? Gibt es dann eine neue Debatte darüber, wie viele Tage oder Wochen vor Wahlen Umfragen nicht mehr veröffentlicht werden dürfen?
Nach MeckPomm geht es verschärft zur Merkel-Kandidatenfrage für 2017. Denn aus ihrem Image-Tief kommt sie nicht mehr raus.
Alle Daten www.wahlrecht.de