München. Keine Perspektiven, keine Zukunftsvisionen, keine Kalkulierbarkeit: Ein verheerendes Zeugnis stellt der Münchner Politologie Prof. Werner Weidenfeld der aktuellen Politik aus. Während die Bürger sich Verlässlichkeit und Perspektiven wünschten, verliere sich die Politik in Inszenierungen. „Politik verkommt zur Inszenierung von Machtspielen. Die Sehnsucht der Bürger nach strategischen Zukunftsperspektiven bleibt unbeantwortet. Beim Stichwort Zukunftsvision gibt es eine Fehlanzeige“, schreibt Weidenfeld in einem Gastbeitrag für das Monatsmagazin Tichys Einblick. „Die Politik begegnet den großen historischen Herausforderungen – Friedenssicherung, Terrorbekämpfung, Gesundheitsschutz, demografischer Wandel und Digitalisierung – derzeit allenfalls mit situativem Krisenmanagement oder mit Ratlosigkeit.“
Wie wenig Verlass auf die Politik ist, zeige die aktuelle Krise. „Plötzlich wollen Grüne und SPD, die über Jahrzehnte die Bundeswehr am liebsten ganz abschaffen wollten, die Verteidigungsbereitschaft mit 100 Milliarden Euro wieder herstellen, selbst eine allgemeine Dienstpflicht steht im Raum“, beschreibt Weidenfeld. „Auch eine der ältesten Gewissheiten der Grünen – Kernenergie ist des Teufels – wird vom grünen Vizekanzler zur Diskussion gestellt. Wer soll sich da noch zurechtfinden?“
Deutschland müsse zur Überwindung der politischen Krise jetzt die fähigsten Köpfe zusammenbringen. „Die Delors, die Kissingers, die Dahrendorfs, die Hallsteins oder Bahrs unserer Zeit – deren Zusammenarbeit wäre zu organisieren. Die deutsche Politik braucht einen anspruchsvollen Diskurs, um den Aufbruch zu realisieren.“