Tichys Einblick
Das verdruckste Ende der Impfpflicht

Politik absurd: Eine Oppositionspartei will eine stärkere Regierung sehen

Die Union gibt ein erbarmungswürdiges Bild in der Opposition ab. Statt eine Alternative anzubieten, ruft sie die Regierung auf zu regieren. Sie drückt sich in der Frage der Impfpflicht vor der Verantwortung.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) geben sich im Bundestag die Faust, 15.12.2021

IMAGO / Emmanuele Contini

Die Union bietet derzeit ein absurdes Theater, das man aus demokratischen Gemeinwesen sonst nicht kennt. Üblicherweise greift eine Oppositionspartei die Regierenden an, kritisiert sie, bietet Alternativen zu deren Politik an, versucht jedenfalls mit allen demokratischen Mitteln die Macht der Regierenden zu schwächen. Die Union dagegen fordert den Kanzler stattdessen zum Regieren auf, konkret zu einem Machtwort bei der Impfpflicht. So musste man jedenfalls die Aussagen des bayrischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder und die des CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen verstehen. Hendrik Wüst sagte dem Sender Phoenix: „Ich glaube, da ist die Regierung in Berlin jetzt gefordert, Klärung herzustellen, einen Entwurf vorzulegen“, und der Rheinischen Post: „Der Bundeskanzler hat die Impfpflicht für Februar angekündigt – dieses Wort muss gelten.“ Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hatte Scholz vorgeworfen, „dass der Bundeskanzler nicht in die Führungsrolle reingeht, sondern mal schaut, wie sich die Sache entwickelt“.

Die größte Oppositionspartei im Bundestag – oder man sollte wohl treffender sagen: die größte an der Regierung nicht beteiligte Partei – gibt damit ein erbarmungswürdiges Bild ab. In der CDU hat man womöglich noch gar nicht recht begriffen, dass man in der Opposition sitzt und welche Verantwortung das bedeutet. Die Fähigkeit der Opposition, Kritik und Alternativen zu liefern, ist essentiell für das Funktionieren der Demokratie. Eine Opposition, die der Regierung nur vorwirft, nicht genug zu regieren, stellt sich damit selbst ein politisches Armutszeugnis aus.

Konkret treibt die Union damit ein Versteckspiel. Sie versucht, der Ampel unterzuschieben, was sie selbst mit verbockt hat. Wochenlang hat sich die gesamte  politische Klasse, getrieben von einer Corona-hysterischen Medienöffentlichkeit, zum Ruf nach einer allgemeinen Impfpflicht gegen Corona hochgeschaukelt. Nun wird immer deutlicher, dass dieses Projekt weder seinen vermeintlichen Zweck erfüllen kann, noch überhaupt einigermaßen sinnvoll umsetzbar sein dürfte. Und da glauben sich Söder, der bis vor kurzem noch besonders laut nach der Impfpflicht rief, und andere Unionspolitiker auf diesem Feld unsichtbar machen zu können. Sie wissen, dass die Impfpflicht nicht kommen kann und wird – aber trauen sich nicht, dies offen zuzugeben und selbst die Umkehr auf dem einmal eingeschlagenen Holzweg anzutreten und einzufordern. Da soll die Regierung vorangehen auf dem Weg der Peinlichkeit, der nun bevorsteht.

Der Ruf nach der allgemeinen Corona-Impfpflicht und die verdruckste Abkehr davon ist ein beschämendes Beispiel für die hysterische Schwarm-Unintelligenz der deutschen Politik – und die Rolle der Unionsparteien dabei eine besonders unrühmliche.

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